Evolution des Hodens

Forscher lösen das Rätsel um die Lage der männlichen Geschlechtsorgane bei Säugetieren mithilfe molekularer Überbleibsel

28. Juni 2018

Wale ohne Beine, Menschenaffen ohne lange Schwänze – im Laufe der Evolution kommt es immer wieder zum Verlust von anatomischen Merkmalen. Beweise für deren einstiges Vorhandensein liefern Fossilien. Bei Fossilienfunden sind allerdings überwiegend nur harte Strukturen wie Knochen oder Zähne erhalten. Wie sich allerdings Weichteile evolutionär entwickelt haben, ist ungleich schwerer herauszufinden, da diese nur äußerst selten in Fossilien erhalten sind. Ein interdisziplinäres Forscherteam des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik, des Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme, der Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden und dem Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt hat nun am Beispiel der Entwicklung des Hodens bei Säugetieren eine neue Methode entwickelt, um die evolutionäre Entwicklung von Weichteilen zu untersuchen.

Um der Evolution von Weichteilstrukturen auf die Spur zu kommen, benötigt man eine genaue Kenntnis evolutionärer Beziehungen zwischen verschiedenen Arten. Sind diese Beziehungen nicht vollständig bekannt, bleibt die evolutionäre Entstehung von Weichteilstrukturen unklar. „Statt Weichteile direkt zu untersuchen, haben wir die Evolution von Genen verfolgt, die für ihre Bildung notwendig sind“, erklärt Michael Hiller, der an den beiden Max-Planck-Instituten und dem Zentrum für Systembiologie forscht.

Für ihre Untersuchungen haben sich die Forscher die Evolution des Hodens bei Säugetieren vorgenommen. Während der Entwicklung des Embryos entstehen die Hoden in der Bauchhöhle nahe der Nieren, wandern aber bei fast allen Säugetieren mit zunehmenden Alter in den Unterbauch oder sogar in einen Hodensack. Eine Ausnahme bilden hier einige afrikanische Arten wie beispielsweise Elefanten, Rüsselspringer, Seekühe oder Borstenigel – bei diesen Spezies bleibt der Hoden an der ursprünglichen Position und es erfolgt kein Hodenabstieg.

„Bisher war ungeklärt, ob bei diesen afrikanischen Arten der Prozess des Hodenabstiegs verloren ging oder ob alle anderen Arten diese Eigenschaft im Laufe der Evolution erlangt haben“, erläutert Heiko Stuckas von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden. Thomas Lehmann vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt ergänzt: „Die Entwicklung ist auch deshalb umstritten, weil nicht vollständig verstanden ist, wie die afrikanischen Arten mit anderen Säugetieren verwandt sind.“

Funktionslose Gene für den Hoden-Abstieg

Um die Evolution des Hodenabstiegs zu klären, haben die Forscher die DNA von 71 Säugetieren analysiert. „Wir haben festgestellt, dass die besagten afrikanischen Säugetiere nicht-funktionelle Überbleibsel von zwei Genen besitzen, die bei den anderen Säugetieren für den Hodenabstieg benötigt werden“, erklärt der Erstautor der Studie, Virag Sharma von den Dresdner Max-Planck-Instituten. Diese ‚molekularen Rudimente’ deuten darauf hin, dass die Hoden auch bei den Vorfahren der afrikanischen Säugetiere nach unten gewandert sind und dies erst im Laufe der Evolution dann verloren ging.

„Wichtig ist, dass diese Schlussfolgerung unabhängig von laufenden Kontroversen über die evolutionären Beziehungen zwischen bestimmten Säugetieren Bestand hat“, resümiert Stuckas. Da immer mehr DNA-Sequenzen von verschiedenen Arten verfügbar sind, bietet die Suche nach solchen ‚molekularen Rudimenten’ also neue Möglichkeiten, um Fragestellungen zur Evolution anatomischer Merkmale zu lösen.

KB/HR

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