Ein Puzzle aus Pflanzenzellen

Die Zellen in der Epidermis vieler Pflanzenorgane sehen aus wie Puzzleteile – das hilft ihnen, dem hohen Druck in ihrem Innern zu widerstehen

Pflanzenzellen stehen gewaltig unter Druck. Damit sie nicht platzen, mussten sich Pflanzen etwas Besonderes einfallen lassen: Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln zufolge können Zellen der Epidermis mit einer unregelmäßigen Form dem Druck in ihrem Innern besser standhalten als runde und andere regelmäßig geformte Zellen.

Nicht verholzte Pflanzen besitzen kein Skelett, das sie stützt. Damit sie sich trotzdem aufrecht halten und Kräften aus der Umwelt trotzen können, gleichen ihre Zellen prall gefüllten Ballons. Da in der Flüssigkeit im Zellinnern mehr Stoffe gelöst sind als in der Umgebung, strömt von außen Wasser in die Zelle und erzeugt den sogenannten Turgordruck. Dieser ist mit über 20 bar um einiges stärker als der Druck in einem Autoreifen. Pflanzenzellen halten mit einer durch Zellulose-Fasern verstärkten Gel-artigen Wand dagegen. Diese muss dann laufend umgebaut werden, damit die Zelle weiterwachsen kann.

Die Zellwand alleine würde den Erkenntnissen der Kölner Forscher jedoch nicht immer ausreichen, um die Pflanzenzellen vor dem Platzen zu bewahren. Während sich im Innern einer Pflanze der Druck in einer Zelle durch die benachbarten Zellen ausgeglichen wird, sind die Zellen an der Oberfläche besonders hohen Belastungen ausgesetzt.

Erklärt dies die außergewöhnliche Form der Oberflächenzellen vieler Pflanzen? Die Epidermiszellen gleichen nämlich Puzzleteilen, die mit Aus- und Einbuchtungen exakt ineinandergreifen. Mit einem eigens entwickelten Computermodell haben die Wissenschaftler die Druckverhältnisse in Zellen unterschiedlicher Form berechnet. „Durch ihre unregelmäßige Form können die Oberflächenzellen die mechanische Beanspruchung durch den Turgordruck deutlich verringern. Zellen, die wie Puzzleteile geformt sind, können dem Turgordruck mit einer dünneren Zellwand widerstehen. Eine Pflanze kann dadurch überlebenswichtige Ressourcen sparen“, erklärt Richard Smith vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung.

Form folgt Wachstum

Allerdings sehen nicht alle Epidermiszellen einer Pflanze aus wie Puzzleteile. Die Wissenschaftler haben deshalb unterschiedliche Pflanzen miteinander verglichen und herausgefunden, dass die Zellform vom Wachstum eines Organs abhängt: „Organe mit einer bevorzugten Wachstumsrichtung wie zum Beispiel Wurzeln oder Stängel besitzen meist zylinderförmige Zellen. Bei Blättern, die mehr oder weniger gleichförmig in alle Richtungen wachsen, finden wir dagegen fast ausnahmslos unregelmäßig geformte Epidermiszellen“, sagt Smith. Dass die Form der Epidermiszellen von der Art des Wachstums abhängt, belegen auch Experimente mit genetisch veränderten Pflanzen: Wird die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) beispielsweise genetisch so verändert, dass ihre Blätter eine Hauptwachststumsrichtung besitzen, nehmen die Epidermiszellen eine gleichmäßige anstatt einer Puzzleteilform an.

Die Berechnungen der Kölner Forscher zeigen, dass lange dünne oder unregelmäßig geformte Zellen dem Turgordruck besser standhalten können, weil sie keine großen offenen Bereiche besitzen, die ohne die Unterstützung von Querwänden zu Ausbuchtungen neigen. In einem Computermodell des Zellwachstums verändern die Zellen als Reaktion auf mechanische Beanspruchung ihre Form. Lassen die Wissenschaftler eine virtuelle Epidermis in alle Richtungen wachsen, gleicht die Epidermis einem Puzzle. Wächst die Epidermis dagegen hauptsächlich in eine Richtung, sind die Zellen gleichmäßig geformt. Durch die Veränderung anderer Parameter – zum Beispiel der Maximalgröße der offenen Bereiche oder der Festigkeit der Zellwand – kann das Programm sogar noch weitere in der Natur vorkommende Zellformen hervorbringen.

Kommunikation ohne Signalstoffe?

Dem Modell zufolge können die unterschiedlichen Zellformen entstehen, ohne dass die Zellen untereinander über Botenstoffe miteinander kommunizieren müssen. Durch solche Signalstoffe könnte eine Zelle, die eine Ausbuchtung bilden möchte, ihre Nachbarin anregen, Platz zu machen und eine Delle zu formen. „Ob chemische Signale eine Rolle spielen, wissen wir noch nicht – aber unser Modell zeigt, dass es nicht zwingend erforderlich ist“, betont Smith. Die Zellen könnten auch rein über die Kräfte, die sie auf ihre Nachbarn ausüben, kommunizieren und Formveränderungen auslösen.

Die Forschungsergebnisse demonstrieren, wie die Form die mechanischen Eigenschaften einer Zelle beeinflusst. Mit einer entsprechenden Form ihrer Zellen kann eine Pflanze also ihren Ressourcenverbrauch reduzieren. Die Puzzleteilform und die Weise, wie Pflanzen sie einsetzen, könnte wertvolle Hinweise für die Entwicklung neuer Materialien liefern, beispielsweise von selbst wachsenden Materialien oder Gebäuden, deren Form von aufblasbaren „Zellen“ vorgegeben wird.

HR

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