Warum erforschen Wissenschaftler Primaten?

Warum erforschen Wissenschaftler Primaten?

Aufgrund ihrer großen biologischen Ähnlichkeit zum Menschen ist, die Übertragbarkeit von Tierversuchen mit Affen auf den Menschen sehr hoch. Sie werden daher vor allem für die letzten Sicherheitsprüfungen von zukünftigen Medikamenten vor dem Einsatz am Menschen eingesetzt. Darüber hinaus untersuchen Wissenschaftler an Affen wichtige grundlegende Fragen zur Funktion des gesunden Organismus oder sie wollen tödliche (wie Ebola) beziehungsweise schwer belastende Krankheiten (wie Alzheimer) heilen. In der Infektionsforschung sowie in den Neurowissenschaften spielen Affen als Versuchstiere daher eine wichtige Rolle.

Um zukünftig neurodegenerative Erkrankungen zu behandeln, ist es zunächst wichtig, die neuronalen Grundlagen der normalen kognitiven Prozesse zu verstehen, denn erst dann können die pathologischen Mechanismen gezielt erforscht werden. Trotz enormer Fortschritte in den vergangenen Jahrzehnten ist unser Wissen über das Gehirn immer noch sehr unvollständig, insbesondere was die höheren kognitiven Leistungen anlangt. Vieles von dem, was wir wissen, basiert auf Studien an relativ einfachen Gehirnen. Diese Informationen sind jedoch nur eingeschränkt von Nutzen, wenn man neurologische und psychiatrische Erkrankungen verstehen und behandeln möchte, die auf komplexen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Teilen des Gehirns beruhen. Affen sind derzeit das einzige Modell, das es ermöglicht, beispielsweise die Beziehungen zwischen der Aktivität einzelner Nervenzellen und höheren kognitiven Funktionen systematisch zu untersuchen.

In der Hirnforschung werden vor allem Javaneraffen (Macaca fascicularis) und Rhesusaffen (Macaca mulatta) und in jüngster Zeit zunehmend auch Marmosetten eingesetzt, da sie ein komplexes Sozialverhalten aufweisen und viele kognitive Leistungen besitzen, die denen des Menschen ähnlich sind. Seltener wird an Eulenaffen (Aotus trivirgatus) oder Krallenaffen (Callithrix) geforscht. 2015 waren 0,1 Prozent aller Versuchstiere in Deutschland Affen, das entspricht 2.424 Tiere (Max-Planck-Gesellschaft: 0,01 Prozent). 17 Prozent der Affen (412 Tiere) nutzten Wissenschaftler für die akademische Forschung. Die restlichen 83 Prozent der Tiere wurden von der Industrie in erster Linie für vorgeschriebene Sicherheitsprüfungen eingesetzt.

Medizinischer Fortschritt durch Primatenversuche

Affen haben als Versuchstiere bereits wichtige Erkenntnisse für die Medizin geliefert. So wurde die Rhesusfaktor-Unverträglichkeit des Blutes von Müttern und ihren ungeborenen Kindern bei Untersuchungen an Rhesusaffen entdeckt, daher der Name. Die Impfungen gegen Kinderlähmung, Masern, Gelbfiber und Hepatitis B beruhen auf Forschung an Affen. Die Behandlung von Diabetes-Patienten mit Insulin wurde an Affen erforscht, ebenso wie die Behandlung von Patienten mit Lepra und rheumatoider Arthritis. Auch die Entwicklung der Stammzelltechnologie, auf der heute so viele Hoffnungen ruhen, geht auf die Arbeit mit Affen zurück.

Tiefe Hirnstimulation für Parkinson-Patienten

Ein eindrucksvolles Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung von Erkenntnissen aus der Forschung mit Rhesus-Affen ist die Entwicklung einer neuen Therapie für Parkinson-Patienten. Bei der sogenannten Tiefen Hirnstimulation werden Elektroden in den geschädigten Gehirnbereichen platziert und diese elektrisch stimuliert. Dadurch können bestimmte Symptome der Krankheit, die sich pharmakologisch nicht oder nicht mehr behandeln lassen gelindert werden. Auch wird gegenwärtig versucht, mit der Tiefen Hirnstimulation gewisse Zwangserkrankungen, krankhaftes Übergewicht und bestimmte Formen von Depression zu behandelt, wenn diese nicht auf verfügbare Medikamente ansprechen. Allerdings sind diese Verfahren noch wenig erprobt und nicht frei von Nebenwirkungen. Damit diese eingegrenzt werden können, untersuchen Wissenschaftler die genaue Wirkungsweise der Tiefen Hirnstimulation auch an Affen.

Seit einiger Zeit wird auch an einer neuen Methode geforscht, bei der nicht das Gehirn, sondern das Rückenmark mit Elektroden stimuliert wird. Diese Untersuchungen finden aktuell an Ratten statt. Bevor die Ergebnisse jedoch auf den Menschen übertragen werden können, müssen sie an Affen getestet werden.

Primaten als Modell in der Demenz-Forschung

Affen gehören zu den wenigen Tierarten, die wie der Mensch an Alzheimer erkranken können. Dabei kommt es zu Proteinablagerungen im Gehirn, die denen des Menschen weitgehend gleichen, wie Untersuchungen an Langschwanz-Makaken ergeben haben. Das entsprechende Protein bei Mäusen und Ratten unterscheidet sich dagegen sehr viel stärker von dem des Menschen. An Langschwanzmakaken und möglicherweise anderen Affenarten könnten Forscher daher sehr viel wirkungsvoller untersuchen, wie diese Proteinablagerungen im Gehirn entstehen und vor allem, wie ihnen vorgebeugt werden kann.

Primaten als Modell für die Huntington-Krankheit

Patienten mit Huntington leiden an der fortschreitenden Zerstörung eines Bereichs des Gehirns, der für die Bewegungssteuerung und grundlegende mentale Funktionen wichtig ist. Die Gehirnzellen dort werden durch ein fehlerhaftes Protein (Huntingtin) zerstört, das infolge eines Defekts des entsprechenden Gens gebildet wird. Die äußeren Krankheitserscheinungen umfassen Störungen des Gefühlslebens, der Körperbewegung einschließlich der Mimik und schließlich der Hirnfunktion insgesamt – das Endstadium ist die Demenz. Auch diese Erkrankung lässt sich möglicherweise besser an Affen als an Mäusen oder Ratten entschlüsseln. Genetisch veränderte Makaken mit einer mutierten Form des Huntingtin-Proteins im Gehirn bilden Proteinablagerungen wie sie auch bei Huntington-Patienten auftreten. Auch die Krankheitssymptome sind beim Affen und Menschen ähnlich. Die weitere Erforschung dieser Tiere könnte deshalb zu neuen Behandlungsformen dieser bislang unheilbaren Erkrankung führen.

Brain-Machine-Interfaces für Patienten mit Locked-in-Syndrom

Bestimmte Verletzungen des Gehirns führen zu dem sogenannten Locked-in-Syndrom. Die Patienten büßen dadurch die Fähigkeit ein, sich mitzuteilen – ob durch Sprache, durch Mimik oder Gestik. Und das, obgleich sie bei vollem Bewusstsein sind und alles um sie herum wahrnehmen. Die einzige Möglichkeit, den Patienten ein Minimum von Kontaktaufnahme mit der Umwelt zu ermöglichen, beruht auf der Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen (engl. Brain Machine Interfaces). Dabei wird Hirnaktivität über Elektroden abgeleitet und über Computer in Signale verwandelt, mit denen Tastaturen oder Roboterarme angesteuert werden können. Die bisher besten Ergebnisse wurden mit implantierten Elektroden erzielt, wobei die Umsetzung der Signale in sinnvolle Bewegungen vorher in Versuchen mit Affen optimiert wurde. Inzwischen können Patienten, die vollständig gelähmt sind, auf diese Weise eine gewisse Autonomie zurückgewinnen. Sie lernen, mit ihrer Hirnaktivität Greifarme zu bewegen und sich damit Nahrung an den Mund zu führen oder Tastaturbefehle auszuführen um zu schreiben. Man versucht natürlich auch, Hirnaktivität von der Kopfoberfläche mit EEG-Elektroden nicht-invasiv abzuleiten, um den Patienten eine Operation zu ersparen. Leider ist die räumliche Auflösung dieser weniger invasiven Verfahren zu gering, um komplexere Kommandos zu dechiffrieren

In Zukunft sollen diese Neuroprothesen nicht nur für Patienten mit Locked-in Syndrom und aus anderen Gründen vollständig bewegungsunfähigen Patienten zur Verfügung stehen, sondern auch bei Patienten eingesetzt werden, die Gliedmaßen verloren haben, um ihnen über Prothesen, die direkt vom Gehirn angesteuert werden, ihre Beweglichkeit zurückzugeben. Dafür erforschen Neurowissenschaftler die Signale in den Bewegungszentren des Gehirns von Makaken.

Brain-Machine-Interfaces bei Querschnittslähmung

Erst 2016 gelang es Forschern aus der Schweiz durch "drahtlose" Übertragung der entsprechenden Hirnaktivität ins Rückenmark, gelähmte Affen wieder ganz normal zu mobilisieren. Die Rhesusaffen, deren rechtes Hinterbein jeweils gelähmt war, waren mit Mikrochips im Gehirn ausgestattet worden. Der Mikrochip erfasst dabei die Aktivität der Nervenzellen in der Region, die die Bewegung des rechten Hinterbeins steuert. In dem registrierten Aktivitätsmuster erkennt ein Computer in Echtzeit die Absicht zu gehen und sendet entsprechende Signale an einen Stimulator. Dieser aktiviert die neuronalen Schaltkreise im Rückenmark, welche die rhythmischen Muskelaktivitäten beim Gehen – ein fein abgestimmtes An- und Entspannen – steuern.

Die Tiere konnten ihr gelähmtes Bein tatsächlich ganz ohne Training wieder bewegen. Ziel der Forscher ist, mit dieser Technik eines Tages Querschnittgelähmten Menschen die Kontrolle über ihre Beine zurückzugeben. Auch aus diesem Grund wurden in den Versuchen technische Komponenten verwendet, die bereits für klinische Tests zugelassen sind.

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