Synthese aus Wissenschaft und Wirtschaft

Das Start-Up Vaxxilon will synthetische Impfstoffe auf der Basis von Mehrfachzuckern kommerzialisieren

3. Juli 2015

Mit Vaxxilon haben die Max-Planck-Gesellschaft und das Schweizer Biotech-Unternehmen Actelion ein Start-Up gegründet, um synthetische Impfstoffe auf der Basis von Mehrfachzuckern zu kommerzialisieren. Der Forschungszweig des Unternehmens wird in Berlin-Adlershof angesiedelt, also nur 45 Minuten entfernt vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam-Golm. Dort hat Peter Seeberger mit seinem Team und in Kooperation mit Gennaro de Libero vom Universitätsspital Basel den neuen Ansatz in der Identifizierung und Produktion von Impfstoffen entwickelt. Jörn Erselius, Geschäftsführer der Max-Planck-Innovation (MI), erklärt, wie die Gründung des Unternehmens vonstatten ging.

Dr. Erselius, Vaxxilon ist gegründet – ein Grund zu feiern für Sie und Ihre Kollegen bei Max-Planck-Innovation?

Jörn Erselius: Ja, eine Ausgründung, die mit 30 Millionen Euro Startkapital für die ersten vier Jahre ausgestattet ist, haben wir nicht alle Tage. Und mit Actelion haben wir einen Partner und Investor, der nicht nur viel Kapital zur Verfügung stellt, sondern auch erfahrenes Management mit zu Vaxxilon bringt. Und ich glaube, weil Actelion selbst so eine Erfolgsgeschichte in der Biotech-Branche hat – der Börsenwert liegt nach 18 Jahren jetzt bei rund 15 Milliarden Euro –, konnte man auch den Verwaltungsrat, das Pendant zum Aufsichtsrat, sehr hochkarätig besetzen. Da sitzt jetzt zum Beispiel der ehemalige Chair von GlaxoSmithKline Biologicals und der ehemalige „President Pharmaceutical Operations“ von GlaxoSmithKline drin. Außerdem bringt Actelion viel Know-how mit, etwa wenn es um Zulassungen neuer Arzneimittel geht.

Impfstoffe schützen bereits heute sehr effektiv vor Infektionen. Wieso ist die Forschung von Peter Seeberger und die weiterführende Entwicklung bei Vaxxilon trotzdem so wichtig?

Impfstoffe sind in der Tat sehr effektiv, aber sie haben auch ihre Limitationen. Wir hoffen, dass in einigen Fällen die Effektivität noch erhöht werden kann und die Verabreichung einfacher wird. Und das bei hoffentlich kürzeren Entwicklungszeiten, niedrigeren Kosten, weniger komplexer Produktion und einfacheren Vertrieb. Besonders wichtig ist aber, dass durch die Arbeiten von Peter Seeberger auch Erreger adressiert werden können für die es bis heute keine Impfstoffe gibt. Mit vermehrten Impfungen und weniger Infektionen haben wir vielleicht auch eine weitere Handhabe gegen das immer größer werdende Problem von Antibiotika-Resistenzen.

Was ist das Besondere an den Impfstoffen, die Vaxxilon auf den Markt bringen will?

Die Kohlenhydrat-basierten Impfstoffe können voll synthetisch hergestellt werden und enthalten keine Proteine. Daher ist die Produktion einfacher, und das Ergebnis ist reproduzierbarer als bei herkömmlichen Kohlenhydrat-basierten Impfstoffen, die in der Regel aus einer Kultur der Erreger isoliert werden. Und es gibt die Hoffnung, dass man auf Adjuvantien, die normalerweise die Wirkung von Impfstoffen verstärken, verzichten kann. Wenn Impfstoffe keine Proteine enthalten, müssen sie möglicherweise auch nicht mehr durchgehend gekühlt werden. Das ist gerade für Anwendungen in heißeren Regionen und vielen Entwicklungsländern wichtig. Da sind die Substanzen oft schon verdorben, wenn sie beim Patienten ankommen.

Ist der Erfolg von Vaxxilon also programmiert?

Wir sehen in dem Unternehmen tatsächlich ein sehr großes Potenzial und sind zuversichtlich, dass aus dem Unternehmen etwas Bedeutendes werden kann. Die Gründung hat bei uns aber natürlich auch einige Kapazitäten gebunden. Da waren vier Leute von Max-Planck-Innovation in den letzten beiden Jahren zeitlich stark eingebunden.

Wie kommt es denn zu einer solchen Gründung?

Die Biotech-Community kennt normalerweise die Publikationen von Max-Planck-Wissenschaftlern, die für eine Anwendung interessant sind. Das war auch im Fall von Peter Seeberger und seinen Glyko-Impfstoffen so. Da haben wir zunächst verschiedene Kontakte zu Pharmaunternehmen und Investoren geknüpft. In Deutschland ist es allerdings derzeit sehr schwierig an Venture-Kapital zu kommen. Wenn überhaupt, bekommen Start-ups in Deutschland in der Regel nur am Anfang eine kleinere Finanzierung mit einem niedrigen einstelligen Millionenbetrag zum Beispiel über Business-Angels und den High-Tech-Gründerfonds.  Die zweite und dritte Finanzierungsrunde mit institutionellen Venture Capital-Investoren gelingt dann meist nicht mehr oder nicht im benötigten Ausmaß. So hatten wir an einer deutschen Börse im vergangenen Jahr keinen einzigen Börsengang eines Biotech-Unternehmens, in den USA waren es etwa 70.

Warum ist es in Deutschland so schwierig, Investoren zu finden?

Die Kapitalgeber haben selbst Schwierigkeiten Mittel für ihre Fonds einzuwerben und sind nach den Zeiten des Neuen Marktes, wo viele Start-Up-Unternehmen gescheitert sind, viel vorsichtiger geworden – gerade bei risikoreichen Pharmaentwicklungen. Am liebsten hätten die Investoren hierzulande Substanzen die sich schon in klinischer Entwicklung  befinden. Aber das kann die Max-Planck-Gesellschaft, die Grundlagenforschung betreibt, natürlich nicht leisten. Dennoch bemüht  sich die Max-Planck-Gesellschaft auch hier mit dem Lead Discovery Center in Dortmund die Lücke zwischen Grundlagenforschung und Anwendung zu schließen. Etliche Projekte konnten so bereits erfolgreich lizenziert werden.

Wäre es dann eine Alternative gewesen, Vaxxilon mit einem US-amerikanischen Investor zu gründen?

Venture Capital-Investoren in den USA möchten Firmen gerne in ihrem unmittelbaren Umfeld gründen, um nah an dem Start-Up zu sein und es vielleicht auch mit einem Interims-Management zu führen. Aber in den USA, wo es potentiell interessierte Investoren gegeben hätte, wollten wir nicht gründen, damit am Ende auch Deutschland profitiert, wenn Vaxxilon Erfolg hat.

Wie haben Sie dann Herrn Seeberger und Actelion zusammengebracht?

Den ersten Kontakt hat Peter Gruss, der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, eingefädelt. Nachdem Herr Seeberger seine Arbeit dann bei Actelion präsentiert hatte, war das Interesse dort von Anfang an sehr groß, und es hieß: ‚Wir können uns die Finanzierung auch alleine vorstellen.‘

Und anschließend war Vaxxilon ein Selbstläufer…

Nicht ganz. Erst einmal haben wir gemeinsam mit Peter Seeberger und dem jetzigen CEO von Vaxxilon, Tom Monroe, einen Business-Plan aufgestellt, haben abgestimmt, wie viel Geld wir brauchen, und wie wir die Gründung patentrechtlich bestmöglich untermauern können. Immerhin war ab Anfang 2014 klar, dass Actelion diese gemeinsame Gründung will. Da herrschte große Begeisterung für den Ansatz von Peter Seeberger. Seither haben unsere Verhandlungspartner bei Actelion mit uns immer konstruktiv nach einer Lösung gesucht, wenn es Diskussionsbedarf gab. Wir haben zwar teilweise hart verhandelt, aber in sehr angenehmer, respektvoller und vor allem konstruktiver Atmosphäre.

Welche Schwierigkeiten mussten Sie bei den Verhandlungen überwinden?

Neben der Verhandlung sämtlicher relevanter Gesellschafts- und Finanzierungsvereinbarungen sowie einer Kooperationsvereinbarung mit dem MPI waren wir bei Max-Planck-Innovation vor allem mit den Lizenzverhandlungen beschäftigt und mussten verschiedene patentrechtliche Fragen lösen.

Haben sich die unterschiedlichen Ansprüche eines Unternehmens und einer Forschungsorganisation bemerkbar gemacht?

Die Max-Planck-Gesellschaft kann als Forschungsorganisation kein finanzielles Risiko eingehen. Wenn Unternehmen untereinander zusammenarbeiten, garantieren sie einander bestimmte Leistungen. Das zum Beispiel können wir nicht machen. Außerdem wollen Max-Planck-Wissenschaftler anders als Forscher eines Unternehmens Forschungsergebnisse vor allem publizieren, das steht manchmal mit patentrechtlichen Kriterien im Konflikt. Hier müssen sich Wissenschaft und Wirtschaft aufeinander einstellen. Um die Interessen der Max-Planck-Gesellschaft auch in Zukunft vertreten zu können, werden wir einen sogenannten Observer im Board der Vaxxilon stellen.

Vaxxilon will erste Impfstoffe innerhalb der nächsten drei Jahre bereits an Menschen testen. Das klingt sehr ambitioniert. Dauert es nicht eine Weile bis die Firma richtig loslegen kann?

Das wird sehr schnell gehen. Da vier Wissenschaftler aus der Abteilung von Herrn Seeberger in das Unternehmen wechseln, kann Vaxxilon einen fliegenden Start hinlegen. Außerdem hat man im Technologiezentrum in Berlin-Adlershof auch schon geeignete Labors gefunden. Wichtig war dabei, dass man darin auch Chemie machen kann, was in den üblichen Biotechnologie-Laboren nicht immer möglich ist. Denn es gehört zur Arbeit von Vaxxilon dazu, dass man in den Synthesen der Glykane auch noch viel chemische Synthese betreiben muss. Ein paar Impfstoffkandidaten haben in Tierexperimenten auch schon gezeigt, dass sie geimpfte Tiere vor Infektionen schützen. Und wenn weitere Untersuchungen an Tieren nötig werden, wird die nicht Vaxxilon selbst vornehmen, sondern an Firmen, sogenannte Contract Research Organizations (CRO) outsourcen, die darauf spezialisiert sind. Auch bei anderen Schritten der Kommerzialisierung wird man mit CROs und gegenbenfalls Kooperationspartnern zusammenarbeiten. Es ist auch noch nicht ganz klar, ob Vaxxilon die Impfstoffe später selbst produzieren wird. Wenn ja, wird das aber wahrscheinlich in der Schweiz geschehen. 

Welche Möglichkeiten haben Sie generell, um Ausgründungen aus unseren Instituten auf die Beine zu helfen?

Wir werden vor allem im Vorfeld der Gründungen tätig. Die Mitarbeiter von Max-Planck-Innovation unterstützen die Optimierung des Geschäftsmodells, die Businessplanung, die Einwerbung von Fördermitteln aus Gründungsprogrammen sowie einer Finanzierung durch externe Investoren. Auch bei der Komplementierung des Management-Teams engagiert sich MI. Schließlich gewährt MI den Ausgründungen über eine Lizenz Zugang zu der jeweiligen an den Max-Planck-Instituten entwickelten Technologie, auf der das Gründungsvorhaben basiert. Außerdem konnten wir Gründerteams über eine Förderinitiative des Bundesforschungsministeriums neben den eigenen Coaching-Aktivitäten auch Unterstützung durch Experten aus der Industrie und durch erfahrene Interim-Manager bieten.

Wie profitiert die Max-Planck-Gesellschaft davon, wenn ein Unternehmen zum Erfolg wird?

Zum einen werden wir über die Lizenzierung der Patente an späteren Produktumsätzen beteiligt. Aber gerade Erkenntnisse aus der pharmazeutischen Grundlagenforschung brauchen oft noch eine sehr lange und risikoreiche Entwicklung, bis daraus marktreife Produkte werden. Die  nach Markteinführung noch verbleibende Patentlaufzeit ist daher oft entsprechend kurz. Deshalb ist es uns zum anderen sehr wichtig, dass wir auch Beteiligungen an Ausgründungen halten, um unabhängig von der Patentlaufzeit an der Wertentwicklung des Unternehmens mit profitieren zu können.

Was muss sich in Deutschland ändern, um Firmengründungen aus der Wissenschaft zu erleichtern?

Am Umfeld kann manches verbessert werden. Der Zugang zum Kapitalmarkt könnte erleichtert werden. Die steuerlichen Voraussetzungen für Investoren und Start-ups sind in Deutschland nicht sonderlich gut. Im Gegensatz zu Medienfonds und Schiffsbeteiligungen gibt es für die Investition in Start-ups kaum relevante steuerliche Anreize. Helfen würden eine steuerfreie Re-Investitionsmöglichkeit von Beteiligungskapital für Business Angels sowie die Möglichkeit für Start-ups Ausgaben für Forschung und Entwicklung steuerlich geltend zu machen. Am ehesten würde die Bereitschaft zu Ausgründungen aber zunehmen, wenn wir mehr sichtbare Erfolgsgeschichten hätten. Hoffentlich wird Vaxxilon solch eine Erfolgsgeschichte.

Das Interview führte Peter Hergersberg

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