Bild: "zur Sache", MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht.

Scheidung ohne Grenzen

Mit ihrer privat geförderten Max-Planck-Forschungsgruppe leistet Nadjma Yassari in Hamburg Aufklärungsarbeit zum islamischen Familienrecht und zeigt, wie vielschichtig und wandelbar das Recht in den islamischen Ländern ist.

Scheidung auf syrisch oder saudi-arabisch? Was ist mit dem Anspruch auf die sog. "Morgengabe"? Wie wird das Wohl des Kindes berücksichtigt? Ist eine Anerkennung der Adoption nach deutschem Recht möglich? Das große Ganze erfassen und nicht im Klein-Klein des Nationalen verhaftet zu bleiben – das ist eine der Motivationskräfte, die hinter der engagierten Arbeit von Nadjma Yassari und ihrer Forschungsgruppe "Das Recht Gottes im Wandel: Rechtsvergleichung im Familien- und Erbrecht islamischer Länder" steht. Am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg blickt sie mit langem Atem hinter die Dinge und erforscht Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten in den Rechtsordnungen.

„Das islamische Recht hat kein gutes Image“, beklagt Yassari. „In der Regel wird es auf das islamische Strafrecht und seine Körperstrafen reduziert. Dabei verkennen viele, wie vielschichtig und reformfähig das islamische Recht ist – und damit auch das Recht in den islamischen Ländern“, sagt die Leiterin der Forschungsgruppe. Da bedarf es schon spezieller Kenntnisse der Rechtssysteme, die sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei Tagungen und Fortbildungen, aber vor allem in den Ländern vor Ort aneignen. Sie verfolgen Gerichtsverhandlungen und analysieren die Rechtsprechung im Austausch mit den lokalen Akteuren. Sie erfassen die historischen, sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe der jeweiligen Länder und bemühen sich um das Verständnis der herrschenden Rechtskultur.

Vor dem Hintergrund verstärkter Zuwanderung nach Europa und insbesondere Deutschland gewinnt die Arbeit der Forschungsgruppe immer mehr an Bedeutung. Die deutschen Gerichte müssen das Recht islamischer Länder kennen, denn es muss hier genauso angewendet werden wie italienisches, türkisches oder spanisches Recht. Heiraten etwa zwei italienische Menschen in München, unterliegt die Ehe dem italienischen Recht. Wollen sich zwei iranische Menschen, die in ihrer Heimat geheiratet haben, in Hamburg scheiden lassen, greift iranisches Recht.

Der Mythos der Unwandelbarkeit des islamischen Rechts hält einer wissenschaftlichen Prüfung nicht stand

Gerichte und Behörden beziehen sich immer öfter auf Gutachten von Nadjma Yassari. Ihre weltweit einzigartige Forschungseinheit widmet sich fächerübergreifend und rechtsvergleichend den über 30 Rechtsordnungen, deren Familien- und Erbrecht ganz oder teilweise auf dem religiösen Recht des Islams beruhen. Die Aufgabe scheint fast unlösbar, denn es sind die Richterinnen und Richter, die das positive Recht durch Interpretation auslegen und fortbilden. Sie müssen Stellung nehmen zu sozialen und technischen Fortschritten, aber auch zu religiösem Fanatismus. Wie steht das religiöse Recht zu künstlicher Befruchtung, wie zur Emanzipation der Frauen, wie zur Interpretation der Scharia durch den selbsternannten, sogenannten "Islamischen Staat", der archaische Strafen praktiziert? „Das Wesentliche am islamischen Recht ist die Dynamik seiner Rechtsfindung“, sagt Yassari. „Weil das islamische Recht aus den Quellen abgeleitet und ausgelegt werden muss, mischt sich in das Göttliche die menschliche Analyse, die fehlbar und pluralistisch ist.“ Damit benennt sie auch die wichtigste Erkenntnis ihrer Forschungsarbeit: Der Mythos der Unwandelbarkeit des islamischen Rechts hält einer wissenschaftlichen Prüfung nicht stand. „Der Islam verbietet keine liberalen Ansichten“, betont die Wissenschaftlerin Imen Gallala-Arndt und räumt mit einer stereotypen Sichtweise auf. „Reformen lassen sich durchaus mit dem Islam vereinbaren.“

So schlägt die Forschungsgruppe von Nadjma Yassari eine Brücke zwischen der Wahrnehmung des islamischen Rechts in Europa und seinen so unterschiedlichen Auslegungen in den islamischen Ländern. Der Bundesgerichtshof hat sich 2009 auf die Schriften von Yassari berufen und die islamische Morgen- oder Brautgabe als "ehevertragliche Zusage" anerkannt und somit sichergestellt, dass geschiedene muslimische Frauen finanziell abgesichert sind. Auch hat das Bundesamt für Justiz jüngst seine ablehnende Haltung gegenüber Adoptionen in den islamischen Ländern geändert und damit den Rechtsstatus von Kindern gesichert, die aus dem Iran und Irak adoptiert wurden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützen deutsche Behörden und Gerichte bei Übersetzungen und Gutachten. Sie halten Vorträge für Standesbeamte und Polizei und werden als unabhängige Stimmen auch von Ministerien, Parlamenten, politischen Think Tanks oder der Deutschen Islamkonferenz angefragt. Dabei verstehen sie sich nicht nur als Datenübermittler, sondern vor allem als Katalysatoren eines fremden Rechtsverständnisses.

Es ist eine besondere Herausforderung, das Recht in einer Region zu erforschen, die in den letzten Jahrzehnten vielerlei politische Umbrüche erfahren hat. Das gilt aktuell vor allem für das syrische Familienrecht, dessen Kenntnis gerade wegen vieler Familienzusammenführungen von syrischen Asylberechtigten stark nachgefragt ist. Die Forschungsgruppe hat deshalb zusammen mit Juristinnen und Juristen unter den Geflüchteten ein Projekt ins Leben gerufen, um die gegenwärtige Rechtslage in Syrien zu erfassen. Dieser integrative Teil ihrer Arbeit ist der gebürtigen Iranerin Yassari, die neben Deutsch, Persisch, Französisch und Englisch auch Kenntnisse der arabischen Sprache hat, sehr wichtig. Denn die syrischen Juristinnen und Juristen erfahren durch ihre Integration in die Gruppe Wertschätzung und Einbindung. Für das deutsche Rechtssystem wiederum liefern sie wertvolle Informationen, wie das Familienrecht in ihrem Herkunftsland ausgelegt wird und sie tragen bedeutend dazu bei, unseren sich zunehmend internationalisierenden Alltag zu bewältigen.
 

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