Das Gen, das die Lebensuhr zurückdreht
Max-Planck-Forschern ist es gelungen, Körperzellen mit einem einzigen Faktor in pluripotente Zellen zu verwandeln
Früher war die Sache klar: Sobald ein Mensch geboren ist, gibt es kein Zurück. Ob Leber, Muskel oder Haut - keine Körperzelle, so schien es, kann je wieder etwas anderes werden als sie ist. Dieses Dogma freilich ist inzwischen widerlegt. Selbst ausgereifte Zellen, so weiß man heute, lassen sich in einen embryonalen Zustand zurückversetzen - wenn auch nur mithilfe krebsfördernder Gene und heikler genetischer Tricks. Forscher des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster haben jetzt jedoch entdeckt, dass es einfacher und risikoärmer geht als geahnt. Mit einem einzigen Gen konnten Wissenschaftler um Hans Schöler Zellen erwachsener Mäuse erfolgreich reprogrammieren. Damit ist es geglückt, induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) ohne eingeschleuste Tumor-Gene zu erzeugen. Das macht die Zellen sicherer und könnte so ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Entwicklung künftiger Stammzelltherapien sein. (Cell, Online-Vorab-Publikation, 6. Februar 2009)
Seit Jahren wird mit Hochdruck nach einer Methode gesucht, mit der sich ausgereifte Zellen so umprogrammieren lassen, dass sie sich wie embryonale Stammzellen verhalten. Denn diese sind pluripotent, das heißt, in der Lage, jeden der mehr als 200 Zelltypen des Körpers zu bilden. Mit diesen patienteneigenen, pluripotenten Stammzellen könnte ein Traum vieler Mediziner und Patienten in Erfüllung gehen: die Schaffung einer unerschöpflichen Quelle für körpereigene Ersatzgewebe zur Behandlung diverser Krankheiten wie Parkinson, Herzleiden oder Diabetes.
Vor gut zwei Jahren erregten japanische Forscher daher Aufsehen, als es ihnen als Ersten glückte, Hautzellen einer Maus in ihren embryonalen Urzustand zurückzuversetzen. Das Rezept wirkt einfach: Um die begehrten Multitalente zu erzeugen, hatte das Team um Shinya Yamanaka mithilfe von Viren aktive Zusatzkopien von lediglich vier normalerweise abgeschalteten Genen in die Zellen eingeschleust.
In Wirklichkeit steckte dahinter eine detektivische Meisterleistung. Schließlich wusste bis dahin niemand, ob und wenn ja mit welchen Faktoren sich eine Zelle überhaupt reprogrammieren lässt. Allein Yamanaka und seine Kollegen hatten 24 Kandidaten in allen erdenklichen Kombinationen getestet, bis sie die entscheidenden Faktoren - die Gene Oct4, Sox2, c-Myc und Kfl4 - dingfest gemacht hatten.
Vor gerade einmal einem halben Jahr gelang Mitarbeitern aus Hans Schölers Team ein weiterer Coup. Statt wie bisher vier, benötigten die Zellbiologen Jeong Beom Kim und Holm Zaehres nur noch zwei Faktoren. Bei der Entwicklung ihrer neuen Methode kam den Forschern neben Fleiß auch etwas Glück zur Hilfe: In einem anderen Projekt hatten Schöler und seine Mitarbeiter entdeckt, dass es im Gehirn erwachsener Mäuse Zellen gibt, die natürlicherweise drei der vier Faktoren aus dem Reprogrammier-Cocktail produzieren. In diesen neuralen Stammzellen, die als Nachschubquelle für verschiedene Nervenzelltypen dienen, sind die Gene Sox2, Klf4 und c-Myc von sich aus aktiv.
Genau diese Zellen sind es auch, mit denen Kim und Zaehres die Technik nun erneut vereinfacht haben. Wie sie herausfanden, genügt ein einziges Gen aus dem Cocktail, um die Lebensuhr in neuralen Stammzellen zurückzudrehen: der Transkriptionsfaktor Oct4.
Entscheidend dafür ist allerdings, dass man nicht nur sorgfältig arbeiten, sondern auch warten kann: Mit vier Faktoren, so zeigte sich, ist die Reprogrammierung bereits nach rund einer Woche erfolgreich abgeschlossen. Schleust man nur zwei Gene ein, dauert es mindestens 14 Tage. Hat man allein Oct4 als "Hebel", der die Zellen in Richtung "Neustart" schiebt, braucht der Vorgang drei bis vier Wochen.
Doch die Geduld zahlte sich aus. Diejenigen Zellen, bei denen der "Reset" allein mit Oct4 geklappt hatte, verfügten über die gleichen Fähigkeiten wie jene, die mit zwei oder vier Faktoren reprogrammiert wurden: Aus den 1-Faktor-iPS ließen sich ebenso gut wieder Herz-, Nerven- oder Keimzellen züchten, wie aus jenen iPS, die mit vier Faktoren in Multitalente verwandelt worden waren.
Dass ausgerechnet Oct4 - im Gegensatz zu allen anderen Faktoren - für einen kompletten Neustart ausreicht, ist für Schöler ein Déjà-vu: So hatte er bereits Ende der 80er-Jahre den Transkriptionsfaktor in Eizellen von Mäusen entdeckt. Schöler war es auch, dem es kurz darauf als Erstem gelang, das Oct4-Gen zu beschreiben. Schon damals zeichnete sich ab, dass der Faktor eine Schlüsselrolle in der Keimbahn spielt, erinnert sich Schöler. "Denn das Gen war nicht nur in Eizellen aktiv, sondern auch in frühen Embryonen und embryonalen Stammzellen und dann Keimzellen - all solchen Zellen also, die das Leben von einer Generation in die nächste tragen können und damit potenziell unsterblich sind." In allen Körperzellen dagegen war es stets abgeschaltet. Unklar war lange, ob diese Korrelation auf einer Ursache oder aber allein auf Zufall beruhte. Durch gezielte Experimente zeigte Schöler jedoch später, dass Oct4 für die Aufrechterhaltung der Pluripotenz von Zellen unerlässlich ist.
"Im Nachhinein sieht alles so naheliegend aus", sagt Schöler. Tatsächlich aber konnte bis vor Kurzem niemand wissen, ob sich ausgereifte Körperzellen in pluripotente Zellen verwandeln lassen. "Auch ich", gesteht Schöler, "hätte deshalb bis vor ein paar Jahren niemals versucht, einfach nur Oct4 auf Zellen zu geben und dann mehrere Wochen zu warten, was passiert." Fest steht für ihn aber etwas anderes: "Unser Vorteil war sicher, dass meine Mitarbeiter und ich sowohl embryonale als auch adulte Stammzellen erforschen. Ohne diese Verknüpfung hätten wir unsere jüngste Entdeckung sicher nicht so schnell gemacht."