Menschen spielen anders als Computer

Spontane Strategiewechsel sind in bestimmten Spielsituationen weit häufiger als bisher angenommen

22. Februar 2010

Die evolutionäre Spieltheorie untersucht, wie sich erfolgreiche Verhaltensweisen in einer Gruppe durchsetzen. Die Erfolgschancen jedes Einzelnen hängen dabei von der Interaktion mit anderen ab. Verhaltensmuster bilden sich dann im Zusammenspiel von spontanen Strategiewechseln, die den Mutationen der Genetik entsprechen, und der Imitation erfolgreicher Strategien, dem Analogon zur Selektion. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie konnten nun in einem Verhaltensexperiment zeigen, dass solche Strategiewechsel weit häufiger auftreten, als in den meisten theoretischen Modellen bisher angenommen. "Unsere experimentelle Studie der individuellen strategischen Anpassungen wird hilfreich sein für mathematische Modelle der kulturellen Evolution", sagt Arne Traulsen, einer der Autoren der Studie. (PNAS, 21. Januar 2010)

Dem Experiment, das Wissenschaftler um Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie durchgeführt haben, liegt ein wichtiges Instrument der Spieltheorie zugrunde, das Gefangenendilemma. Zwei Spieler werden dabei unabhängig von einander befragt, ob sie "kooperieren" möchten. Entscheidet sich ein Spieler gegen die Kooperation, sein Gegenüber dafür, so gilt dies für ersteren als der bestmögliche, für letzteren als der schlechteste Spielausgang. Beiderseitige Kooperation wird für jeden Spieler als das zweitbeste Ergebnis, beiderseitige Verweigerung als das drittbeste angesehen. Bei jeder der möglichen Entscheidungen des Spielpartners ist es also erfolgreicher, die Kooperation zu verweigern. Tun dies allerdings beide Spieler, so stehen sie beide schlechter da, als wenn sie sich jeweils kooperativ verhalten hätten. Dieses Schema ist auch auf die Evolution vieler Verhaltensweisen anwendbar.

Ein Ziel der Spieltheorie ist es nun, die Strategiewahl der Spieler zu erklären. Die klassische Spieltheorie nimmt dabei an, dass voneinander abhängige Spieler rationale Entscheidungen treffen und davon ausgehen, dass ihr jeweiliges Gegenüber ebenfalls rational entscheidet. Da diese Hypothese erwiesenermaßen sogar bei Menschen problematisch ist, wurde die evolutionäre Spieltheorie entwickelt, bei der sich erfolgreiche Strategien mit der Zeit durchsetzen. Man kann so die Dynamik der genetischen ebenso wie die der kulturellen Evolution beschreiben. Die Anwendungsgebiete reichen von der Evolution von Mikroorganismen bis zum Verhalten von Tieren und Menschen. Viele Aspekte des evolutionären Prozesses hängen davon ab, wie sich erfolgreiche Strategien im Detail verbreiten. Speziell in strukturierten Populationen haben mathematische Modelle gezeigt, dass diese Details den evolutionären Ausgang entscheidend beeinflussen können und bestimmen, ob sich zum Beispiel Kooperation weiterentwickelt oder nicht. Daher ist es wichtig, diese Strategieänderungen im Detail zu verstehen.

Zu diesem Zweck haben die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie ein Verhaltensexperiment entwickelt, das typische Eigenschaften von theoretischen Modellen imitiert, aber die künstlichen Spieler im Computer durch menschliche Studienteilnehmer ersetzt. Jeder der Teilnehmer spielt mit vier anderen, seinen Nachbarn und jeder Nachbar hat wieder vier Nachbarn, usw. 25 Runden einer Version des Gefangenendilemmas. Der Gewinn und die bisherige Strategie seiner vier Spielpartner sind dem Spieler dabei bekannt, sodass er auf dieser Grundlage seine eigene Strategie für die nächste Runde wählen kann. 5760 Entscheidungen von insgesamt 400 Teilnehmern haben die Wissenschaftler analysiert. "Als erstes Modell nahmen wir an, dass jedes Individuum versucht, die Strategie zu verfolgen, die am meisten Erfolg verspricht, indem der Spieler zum Beispiel die Strategie des erfolgreichsten Nachbarn übernimmt", erläutert Arne Traulsen. "Diese Methode kann das menschliche Verhalten aber nicht vollkommen beschreiben. Es zeigte sich, dass in unserem Experiment zunächst 62 Prozent der Teilnehmer die erfolgreichste Regel imitierten. Die restlichen 38 Prozent können jedoch nicht durch Imitation erklärt werden. Dieser Anteil nimmt im Verlauf des Experiments allerdings ab." Hohe Übereinstimmung zeigte sich zwischen den experimentellen Ergebnissen und einem Modell, in dem die Spieler mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die beste Strategie in ihrer Umgebung imitieren, im anderen Fall zufällig zu einer neuen Strategie wechseln. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen zufälligen Wahl ist dabei deutlich höher, als bisher typischer Weise angenommen wurde.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis brachte ein Kontrollexperiment, bei dem die Spielpartner in jeder Runde nach dem Zufallsprinzip wechselten. Da die Spieler im eigentlichen Experiment immer mit denselben Partnern interagierten und so stabile Gruppen aufbauen konnten, könnte man zunächst annehmen, dass so ein höheres Maß an Kooperation erreicht werde, als bei wechselnder Zusammensetzung. "Diese theoretische Vorhersage konnte aber nicht bestätigt werden", so Arne Traulsen. "Falls man jedoch spontane Strategiewechsel in den Modellen zulässt, ändern sich auch die theoretischen Vorhersagen und stimmen mit unseren experimentellen Ergebnissen überein. Diese Resultate sind äußerst überraschend und weichen von den Annahmen einer Generation bisheriger theoretischer Arbeiten ab. An dieser Stelle muss nun die Theorie ansetzen, um die Modelle realitätsnaher zu machen. "

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