Touchless- statt Touchscreen

Berührungslose Bildschirme sprechen auf Feuchtigkeit an, die der menschliche Körper abgibt

24. September 2015

Touchscreens sind praktisch, noch praktischer aber wären Touchless-Screens. Denn auch wenn mit berührungsempfindlichen Bildschirmen der Siegeszug der Smartphones begann und Bank- oder Fahrkartenautomaten über sie gesteuert werden, haben sie einige Nachteile. So zeigen Touchscreens mit der Zeit mechanischen Verschleiß und wirken als Übertragungsweg für Bakterien und Viren. Um das zu vermeiden, haben Forscher des Stuttgarter Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung und der Ludwig-Maximilians-Universität München nun Nanostrukturen entwickelt, die ihre elektrischen und wahlweise auch ihre optischen Eigenschaften ändern, sobald sich ihnen ein Finger nur nähert.

Ein berührungsloser Bildschirm könnte sich eine menschliche Eigenschaft zunutze machen, die lebenswichtig, aber manchmal auch unangenehm ist: Unser Körper schwitzt – und gibt durch winzige Poren in der Haut ständig Wassermoleküle ab. Forscher vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart haben jetzt die Transpiration eines Fingers sichtbar gemacht – mit einem besonderen Feuchtigkeitssensor. Dieser spricht sofort an, sobald sich ihm etwa ein Zeigefinger bis auf wenige Millimeter nähert. Dabei wird die distanzabhängige Feuchtigkeitsmenge in ein elektrisches Signal oder in eine Farbänderung umgewandelt und kann somit gemessen werden.

Antimon-Phosphorsäure bringt dafür die nötigen Voraussetzungen mit. Dabei handelt es sich um einen bei Raumtemperatur kristallinen Feststoff, dessen Struktur aus schichtartig angeordneten Antimon-, Phosphor-, Sauerstoff- und Wasserstoffatomen aufgebaut ist. „Von diesem Material weiß man schon länger, dass es Feuchtigkeit gut aufnehmen kann und dabei stark quillt“, erklärt Pirmin Ganter, Doktorand in der Gruppe von Bettina Lotsch am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung und am Department Chemie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Diese Wasseraufnahme verändert auch die Eigenschaften des Materials. So nimmt mit der Anzahl der eingelagerten Wassermoleküle etwa die elektrische Leitfähigkeit zu. Diese kann somit als Maß für die umgebende Feuchtigkeit dienen.

Eine feuchtigkeitsempfindliche Sandwich-Nanostruktur ändert auch ihre Farbe

Doch die Forscher haben gar nicht so sehr im Sinn, einen neuen Feuchtigkeitssensor zu entwickeln. Ihnen geht es um den Einsatz in berührungslosen Displays. „Da diese Sensoren sehr lokal auf Feuchtigkeitserhöhung reagieren, ist es vorstellbar, dass sich ein solches Material mit feuchtigkeitsabhängigen Eigenschaften auch für berührungslos steuerbare Displays und Monitore verwenden lässt“, so Ganter. Bei derartigen Touchless-Screens müsste sich ein Finger dem Bildschirm nur nähern, um etwa die elektrischen oder optischen Eigenschaften – und damit das Eingabe-Signal – an einer konkreten Stelle des Bildschirms zu verändern.

Auf Basis der Antimon-Phosphate entwickelten die Stuttgarter Forscher nun eine photonische Nanostruktur, die auf Feuchtigkeit mit einer Farbänderung reagiert. „Im Falle einer Bildschirmanwendung hätte der Nutzer dann ein sichtbares Feedback für seine Fingersteuerung“, erklärt Katalin Szendrei, ebenfalls Doktorandin in der Gruppe von Bettina Lotsch. Zu diesem Zweck erzeugten die Forscher ein mehrlagiges Sandwich, in dem sich ultradünne Antimon-Phosphat-Schichten jeweils mit Lagen entweder aus Siliciumdioxid- (SiO2) oder Titandioxid-Nanopartikeln (TiO2) abwechseln. Der Stapel aus insgesamt mehr als zehn Schichten erreichte am Ende eine Höhe von wenig mehr als einem Millionstel Meter.

Zum einen lässt sich die Farbe des Sandwich-Materials über die Schichtdicken der Lagen einstellen. Zum anderen verändert sich die Farbe des Sandwichs, wenn die Forscher, etwa durch einen sich nähernden Finger, die relative Luftfeuchtigkeit in unmittelbarer Nähe des Materials erhöhen. „Der Grund dafür liegt in der Einlagerung von Wassermolekülen in die Antimon-Phosphat-Schichten, wodurch die Schichten stark aufquellen“, erklärt Katalin Szendrei. „Da sich auf diese Weise die Schichtdicke ändert, wechselt auch die Farbe des Sensors, die ähnlich erzeugt wird wie die Farbe etwa eines Schmetterlingsflügels oder in Perlmutt.“

Das Material spricht binnen weniger Millisekunden auf die Feuchtigkeitsänderung an

Dieses Verhalten ist prinzipiell bekannt und charakteristisch für sogenannte photonische Kristalle. Noch nie zuvor allerdings hatten Forscher eine so starke Farbänderung beobachtet wie jetzt in Stuttgart. „Die Farbe der Nanostruktur schlägt bei der Annäherung eines Fingers beispielsweise von Blau nach Rot um. Somit lässt sich die Farbe abhängig von der Menge des aufgenommenen Wasserdampfs durch das gesamte sichtbare Spektrum durchstimmen“, betont Bettina Lotsch.

Der neue Ansatz der Forscher besticht aber nicht nur durch seinen deutlichen Farbumschlag. Wichtig ist auch, dass das Material binnen weniger Millisekunden auf die Feuchtigkeitsänderung ansprach – und damit vergleichsweise schnell. Bei früher untersuchten Materialien waren Ansprechzeiten von etlichen Sekunden oder mehr üblich. Viel zu langsam also für den Einsatz in der Praxis. Und noch etwas kommt hinzu, das frühere Materialien nicht immer erfüllten: Die Sandwich-Struktur aus Antimon-Phosphat und den Oxid-Nanopartikeln erweist sich als chemisch äußerst stabil und spricht selektiv auf Wasserdampf an.

Eine Schutzschicht vor chemischen Einflüssen muss Feuchtigkeit passieren lassen

Die Forscher können sich ihre Materialien nicht nur in künftigen Generationen von Smartphones, Tablets oder Notebooks vorstellen. „Vielerorts wo Menschen derzeit Displays berühren müssen, um zu navigieren, sind schließlich auch berührungslos arbeitende Bildschirme denkbar“, so Bettina Lotsch. Etwa an Bank- oder Fahrkartenautomaten oder auch an der Gemüsewaage im Supermarkt. Gerade bei Displays im öffentlichen Raum, die von vielen Menschen genutzt werden, hätte eine berührungslose Variante klar hygienische Vorteile.

Bevor es zu solchen Einsätzen kommt, müssen die Wissenschaftler aber noch weitere Herausforderungen meistern. Wichtig ist zum Beispiel, dass sich die Nanostrukturen wirtschaftlich herstellen lassen. Um Verschleiß zu minimieren, müssten die Strukturen bei einer Verwendung etwa als Display noch mit einer Schutzschicht überzogen werden. Diese wiederum muss hinsichtlich der Anforderungen einen Spagat machen: Einerseits muss sie die feuchtigkeitsempfindlichen Schichten vor chemischen und mechanischen Einflüssen schützen. Zum anderen muss sie Feuchtigkeit natürlich passieren lassen. Die Stuttgarter Forscher haben dafür aber schon eine Idee. Mit einem Kooperationspartner wollen sie diese nun umsetzen.

KH

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