EU-Flüchtlingsschutz ein Flickenteppich
Rechtsvergleich benennt Ursachen zum aktuellen Scheitern des EU-Asylsystems
Mit der Flucht in die Europäische Union verbinden abertausende Menschen Hoffnungen auf ein sicheres und besseres Leben. Eine neue vergleichende Studie des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik zeigt jedoch, dass ihre Schutzrechte stark variieren. Denn die Leistungen zum Lebensunterhalt oder der Zugang zu medizinischer Versorgung sind in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich ausgestaltet. Um ein Beispiel zu nennen, das hinsichtlich der Wanderungsanreize allerdings nicht überschätzt werden sollte: Während das monatliche Bargeldbudget zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutschland bei 143 Euro für einen Asylbewerber liegt, sind es in Österreich 40 Euro und in Polen 12,50 Euro.
Unterschiede wie diese ergeben sich dadurch, dass es in der EU zwar eine verbindliche EU-Richtlinie gibt, die die Normen für die Aufnahme von Flüchtlingen festlegt. „Gerade in der Zusammenschau aber wird deutlich, dass die Mindeststandards national ganz unterschiedlich umgesetzt wurden und dies zum Teil gravierende Folgen für den Einzelnen hat“, sagt Ulrich Becker, Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München und Leiter des Projektes, bei dem die Rechtsordnungen von elf EU-Staaten analysiert wurden.
So zeige der Vergleich der Leistungen zum Lebensunterhalt nicht nur die Diskrepanz der Bargeldzahlungen, die als Teil des sogenannten sozio-kulturellen Existenzminimums die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben ermöglichen sollen. Deutlich werde auch, dass etliche Staaten ihre Leistungen nicht an dem im Land allgemein gültigen Hilfeniveau festmachten. In Großbritannien können Asylbewerber zum Beispiel lediglich eine Leistung beanspruchen, die sich auf die Hälfte des Sozialhilfesatzes beläuft. Auch in Schweden liegen die gewährten Tagessätze deutlich unter dem Sozialhilfeniveau. „Das ist ganz offensichtlich mit der Gefahr verbunden, die Einhaltung des Existenzminimums zu verfehlen“, schlussfolgert die Studie. Generell gebe es den Trend, Geldleistungen zurückzufahren und durch Sachleistungen zu ersetzen.
Um die Dimensionen des sozialen Schutzes analytisch fassen zu können, haben die 16 beteiligten Wissenschaftler neben den Leistungen zum Lebensunterhalt drei weitere Kategorien definiert: medizinische Versorgung, Zugang zum Arbeitsmarkt und die Art der Unterbringung. So sind alle untersuchten EU-Länder verpflichtet, geeignete Unterkünfte bereit zu stellen. Dass dies angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise besonders in Erstaufnahmestaaten nicht gelingt, liege auch an „der unzureichende Vorbereitung in vielen Ländern“.
Hinsichtlich der Gesundheitsversorgung räumen, so stellen die Autoren fest, zwar alle untersuchten Länder Asylbewerbern einen Zugang zu medizinischer Versorgung ein, jedoch sei das Leistungsspektrum sehr heterogen: Es reicht von der Einbettung in die allgemeinen Gesundheitssysteme wie in Großbritannien, Italien und Polen bis hin zu einer Akutversorgung, auf die sich etwa Schweden und Deutschland beschränken. In Ungarn erhielten Asylbewerber nur dann eine ambulante fachärztliche oder stationäre Behandlung, wenn Gefahr für das Leben besteht oder bleibende Gesundheitsschädigungen drohen.
Gerade die Aufnahme einer Beschäftigung könnte es Asylbewerbern ermöglichen, sich selbst zu versorgen. Allerdings erlaubt Schweden als einziges der untersuchten Länder Flüchtlingen, bereits ab Stellung des Asylgesuchs und ohne Arbeitserlaubnis einer regulären Beschäftigung nachzugehen. Demgegenüber hat die Mehrzahl der Länder den Zugang zum Arbeitsmarkt sehr restriktiv geregelt: „Regelmäßig darf eine Beschäftigung erst sechs bis neun Monate nach Antragstellung aufgenommen werden, in vielen Fällen wird die Arbeitserlaubnis zeitlich befristet und nur für bestimmte Tätigkeiten erteilt“, heißt es. Hinzu komme in Ländern wie Deutschland, Österreich und Griechenland eine Vorrangprüfung zu Gunsten der Bürger der EU und mit ihr assoziierter Staaten. „Ganz offensichtlich bezwecken die nationalen Regelungen eher nicht, einer möglichst großen Zahl an Asylbewerbern die Aufnahme einer Beschäftigung zu ermöglichen“, so das Fazit.
Quotenstreit als Grundproblem
Die Ergebnisse sind in einzelnen Länderberichten dargestellt. In den vergleichenden Kapiteln reflektiert die Studie bestehende Defizite des EU-Asylsystems insgesamt und liefert Impulse zu einer Weiterentwicklung. „Wenn die Europäische Union sich als Binnenmarkt versteht, muss sie auch die Einreise von außen gesamteuropäisch lösen“, sagt Becker. Nötig sei eine europäische Asylpolitik, die die Verantwortung für die Flüchtlingsaufnahme verbindlich und solidarisch regelt. Dazu gehöre auch, dass die EU im Rahmen des Dublin-Systems die Grenzstaaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen unterstütze. Zudem sei es erforderlich, die Anerkennungspraxis stärker zu vereinheitlichen und sich über einen verbindlichen Schlüssel zur Verteilung der Flüchtlinge in die EU-Staaten zu verständigen.
Die Studie erscheint in Kürze in der Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht (ZIAS). In den Vergleich einbezogen wurden aus der EU die südeuropäischen Staaten Spanien, Italien und Griechenland. Aus Osteuropa wählten die Wissenschaftler Bulgarien und Ungarn als wichtige Grenz- beziehungsweise Transitländer aus. Untersucht wurden mit Frankreich, den Niederlanden, Österreich und Polen auch Nachbarstaaten Deutschlands. Hinzu kommen Großbritannien mit der niedrigsten Aufnahmequote und Schweden, das gemessen an der Bevölkerung die meisten Flüchtlinge aufnimmt. Schließlich wurden auch die Türkei, Russland und die USA aufgrund jeweils besonderer Problemlagen berücksichtigt.
JE/JH