Entscheidungen im Fliegenhirn
Wenn Nahrung gleichzeitig anziehend und abstoßend riecht, hilft das Lernzentrum Entscheidungen zu treffen
Eine frisch aufgebrühte Tasse Kaffee duftet für die meisten von uns herrlich. Einzelne Komponenten dieses Dufts können jedoch allein oder in einer anderen Kombination sehr abstoßend sein. Das Gehirn setzt die einzelnen Komponenten eines Dufts somit in Relation und beurteilt sie dann. Erst so ist eine fundierte Entscheidung, ob ein Duft und seine Quelle "gut" oder "schlecht" sind, möglich. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried haben entdeckt, wie widersprüchliche Gerüche im Pilzkörper des Gehirns einer Fruchtfliege verarbeitet werden. Die Ergebnisse weisen dieser Hirnregion eine neue Aufgabe zu und zeigen, dass Sinnesreize situationsbedingt bewertet werden. So können die Tiere schnell eine geeignete Entscheidung treffen.
Sinneseindrücke sind meist komplex. So kommt zum Beispiel ein Geruchsstoff in der Regel in Kombination mit anderen Gerüchen vor – der Geruch der besagten Tasse Kaffee setzt sich beispielsweise aus über 800 Einzelgerüchen zusammen, darunter auch unangenehme Düfte. Für die Fruchtfliege Drosophila ist solch ein abstoßender Duft Kohlendioxid (CO2), das unter anderem von gestressten Fliegen abgegeben wird, um andere Fliegen zu warnen. Riechen die Tiere CO2, reagieren sie mit einem angeborenen Fluchtverhalten. Allerdings wird CO2 auch von überreifen Früchten produziert – einer begehrten Futterquelle. Fliegen auf Futtersuche müssen daher ihre angeborene CO2-Abneigung ignorieren können, wenn CO2 in Kombination mit Futterdüften vorkommt. Wie das Gehirn die einzelnen Sinneseindrücke vergleicht und je nach Situation einstuft, um zu einer sinnvollen Entscheidung zu kommen (hier: Futter oder Gefahr), ist bislang kaum verstanden.
"Die widersprüchliche Bedeutung von CO2 für Fruchtfliegen ist ein idealer Ansatzpunkt um zu erforschen, wie das Gehirn einzelne Sinneseindrücke je nach Situation richtig bewertet", sagt Ilona Grunwald Kadow. Zusammen mit ihrem Team am Max-Planck-Institut für Neurobiologie untersucht sie, wie das Gehirn Düfte verarbeitet und darauf aufbauend Entscheidung fällt. Nun konnten die Wissenschaftler zeigen, dass komplexere oder widersprüchliche Sinnesinformationen im Pilzkörper verarbeitet werden. Bislang galt dieses Hirnareal als Zentrum für Lernen und zum Speichern von Erinnerungen. Die neuen Ergebnisse zeigen, dass der Pilzkörper noch eine andere Aufgabe hat: Hier werden Sinneseindrücke lern- und erinnerungsunabhängig bewertet und schnelle Entscheidungen gefällt.
Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass CO2 im Nervennetzwerk, zu dem auch der Pilzkörper gehört, Nervenzellen aktiviert, die das Fluchtverhalten der Fliegen auslösen. Kommt CO2 jedoch zusammen mit Futterdüften vor, so erregen die Nervenzellen andere Nervenzellen, die den Botenstoff Dopamin ausschütten. Dopamin kommt bei vielen Tierarten und auch beim Menschen häufig in Verbindung mit positiven Erfahrungen vor. In den Fruchtfliegen tragen diese dopaminergen Nervenzellen die Information, dass neben CO2 auch Futterdüfte vorhanden sind, in den Pilzkörper, wo sie die angeborene CO2-Reaktion durch Hemmung der "Fluchtnervenzellen" unterdrücken.
"Interessanterweise führt die Erfahrung, dass CO2 regelmäßig auch zusammen mit Futterduft vorkommt nicht dazu, dass die Tiere für immer ihre CO2-Abneigung verlieren", erklärt Grunwald Kadow. Wird die Information zum Vorkommen von CO2 zusammen mit Futtergerüchen in das "Lernzentrum" Pilzkörper geleitet, findet eine sofortige Änderung des Verhaltens statt, jedoch keine dauerhafte Veränderung der negativen Bewertung von CO2. Dies gilt wahrscheinlich auch für andere Sinneseindrücke, zum Beispiel den Sehsinn. Das Ausbleiben einer dauerhaften Verhaltensänderung könnte für viele Situationen überlebenswichtig sein, spekulieren die Forscher: So löst der Geruch von Raubtieren zum Beispiel beim Menschen eine instinktive Furcht aus. Diese Furcht verlieren wir selbst dann nicht, wenn wir schon viele Raubtiere ohne Angst im Zoo gesehen haben. Auch hier scheint das Gehirn zu vergleichen und kommt, je nach den Umständen, zu anderen Schlussfolgerungen.
SM/HR