Bryan Stanley Turner
Es ist ein breites Spektrum an Themen, mit dem sich Bryan S. Turner auseinandergesetzt hat: vom Islam über die Zusammenhänge von Religion und Politik bis hin zu einer Soziologie der Menschenrechte. Damit gilt Turner weltweit als einer der bedeutendsten Religionssoziologen unserer Zeit.
Bereits mit seiner ersten größeren Veröffentlichung hat Bryan S. Turner Standards gesetzt: Mit „Weber and Islam: A Critcal Study“ von 1974 begann er, den Islam als Thema soziologischer Analysen zu etablieren – und das zu einer Zeit, als diese wichtige Weltreligion kaum wissenschaftliche Beachtung fand. Er hat sich seither immer wieder mit dem muslimischen Glauben befasst und dafür zahlreiche Faktoren wie Kapitalismus, Orientalismus, Moderne, Gender und das Bürgertum einbezogen.
Während Religionen im ausgehenden 20. Jahrhundert kaum eine Rolle spielten, änderte sich das schlagartig mit den Anschlägen vom 11. September 2001. Turners Analysen waren plötzlich gefragt. „Das war eines dieser Ereignisse, für das die Redewendung ‚danach war nichts mehr, wie es vorher war‘, tatsächlich zutrifft“, beschreibt der Soziologe, wie er 9/11 erlebte. „Alle Religionen stehen jetzt in der öffentlichen Aufmerksamkeit, und sie schaffen ein neues politisches Klima, das bedrohlich wirken kann. Aber sie eröffnen auch neue Chancen für die Entwicklung der Zivilgesellschaft.“
Neben dem Islam als neues Forschungsfeld hat Bryan S. Turner die gesamte Religionssoziologie nachhaltig geprägt. Eine elementare Rolle spielte dabei, dass er die Bedeutung des Körpers in die Untersuchung von Religionen wiedereinführte. Zuvor war das Verständnis ganz wesentlich vom Protestantismus geprägt, der Religion ausschließlich über Werte, Normen und die Kultur charakterisiert. Turner hat dagegen die Körpergebundenheit von religiösen Zeremonien und Praktiken herausgearbeitet und sie erfolgreich in die sozialwissenschaftliche Debatte eingebracht. Gerade vor dem Hintergrund religiöser Konflikte hat diese Sicht auf die Körperlichkeit heute eine große Bedeutung für das Verständnis religiös motivierter Gewaltbereitschaft.
Bryan S. Turner befasst sich darüber hinaus mit den Zusammenhängen von Religion, Moderne und Säkularisierung sowie mit den sozialen Konsequenzen dieser Prozesse. Er betrachtet dabei vor allem, wie sich die soziale Kohäsion ändert, wenn Religion als Bindeglied wegfällt und die Gesellschaft zunehmend pluralistischer wird. Dadurch – so lautet seine Feststellung – stellen sich für viele bisher vermeintliche Selbstverständlichkeiten des Zusammenlebens ganz neue Fragen, etwa für sozialpolitische Maßnahmen.
Angesichts religiöser, sozialer und kultureller Pluralisierung analysiert Turner, wie eine soziale Ordnung gesichert werden kann. Die Antwort gibt Turner mit seinem Konzept des „legal pluralism“: Er rückt damit das Recht als zentrale und entscheidende Institution moderner Gesellschaften in den Mittelpunkt, insbesondere die Bürger- und Menschenrechte. In der Argumentation dafür kommt wiederum Turners Verständnis von Körperlichkeit zu Tragen. Denn er sieht in der Verletzlichkeit des menschlichen Körpers die Letztbegründung für die Gültigkeit der Menschenrechte, da alle Menschen körperliche Wesen sind, denen Leid angetan werden kann. Auf dieser Grundlage findet Bryan S. Turner eine Perspektive für das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Religionen und Konfessionen.
Zur Biografie:
Bryan Stanley Turner wurde 1945 in Birmingham, England, geboren. Er studierte Soziologie und wurde 1970 an der University of Leeds promoviert. In den folgenden Jahren wirkte er an Universitäten in England, Schottland, Australien, in den Niederlanden und den USA sowie als Stipendiat der Humboldt-Stiftung an der Universität Bielefeld.
Seine letzten wichtigen Stationen waren unter anderem die University of Cambridge, an der er von 1998 bis 2005 Professor für Soziologie war, und die National University of Singapore, wo er in einem interdisziplinären Cluster zum Thema Religion forschte. Derzeit ist Turner Presidential Professor of Sociology und Director for the Study of Religion an der City University of New York und leitet das Institut für Religion, Politik und Gesellschaft an der Australian Catholic University.