Die Synthetische Biologie in der Gesellschaft – ethische, rechtliche und soziale Aspekte
Wissenschaftler der Synthetischen Biologie simulieren, analysieren, modellieren und synthetisieren biologische Systeme, um so neue modulierte biologische Systeme herzustellen. Dadurch erhoffen sie sich nicht nur ein umfassenderes Verständnis der Entstehung und Erhaltung von Leben, sie möchten die neuen Systeme vielmehr zukünftig auch für unterschiedliche pharmazeutische, medizinische und ökologische Zwecke anwenden.
Text: Matthias Braun
Die Synthetische Biologie kann somit als beispielhafter Fall für aktuelle Entwicklungen in den Lebenswissenschaften gelten. Bei all der Unterschiedlichkeit eint diese Entwicklungen, dass sie ambitionierte wissenschaftliche Konzepte und Visionen verfolgen, als dringlich verstandene gesellschaftliche Fragen und vor allem Anwendungsgebiete adressieren und so auch große ökonomische Potentiale besitzen.
Die Synthetische Biologie ist aber nicht nur mit Hoffnungen und Visionen für Wissenschaft wie Gesellschaft verbunden, sie weckt auch unterschiedliche Befürchtungen. Diese scheinen vor allem darin begründet, dass die Synthetische Biologie nicht nur wissenschaftliche Errungenschaften verspricht, sondern auch unterschiedliche Werthaltungen und Einstellungen herausfordert. Die Methoden und Visionen der Synthetischen Biologie stellen dabei etwa in Frage, wo die Grenze zwischen etwas Lebendigem und etwas nicht Lebendigem verläuft, wo die bislang bekannten und als Konsens geltenden Grenzen zwischen Natürlichem und Künstlichem verlaufen und nicht zuletzt, ob sich solche Grenzen nicht nur verschieben, sondern mitunter gänzlich aufheben. Vor diesem Hintergrund widmeten sich Wissenschaftler seit den Anfängen der Synthetischen Biologie in der sogenannten ELSA-Forschung (Ethical, Legal and Social Aspects), auch den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten, der SB.
Interesse der Gesellschaft versus Missbrauchsgefahr
Erstens wird ein besonderes Augenmerk auf Fragen der Biosicherheit gelegt. Hier wird zum einen untersucht, wie sich die Nutzung von Ergebnissen der Synthetischen Biologie möglicherweise auf Ökosysteme auswirken. Zum anderen liegt ein besonderer Schwerpunkt aktueller Diskussionen auf möglichem Missbrauch wissenschaftlicher Ergebnisse. Solche DURC-Fragen (Dual-Use-Research-Concerns) stellen sich insbesondere deswegen, weil die Veröffentlichung der unterschiedlichen Forschungsergebnisse sowohl im Interesse der Wissenschaft als auch der Gesellschaft ist. Zugleich steigt mit einer Veröffentlichung beispielsweise der Baupläne von ‚synthetischen Viren’ in wissenschaftlichen Publikationen aber auch die Gefahr, dass diese für ungewünschte Zwecke missbraucht werden könnten.
Ein Fokus der gesellschaftlichen Debatte und der ELSA-Forschung liegt zweitens darauf, dass sich die für eine Kultur prägenden Vorstellungen beispielsweise vom Verhältnis zwischen Natürlich und Künstlich oder Lebendig und Nicht-lebendig verändern oder zumindest in Frage gestellt werden. Solche Veränderungen ernst zu nehmen und zu erforschen, ist nicht zuletzt auch deswegen von großer Bedeutung, da Fragen kultureller Werthaltungen empirischen Untersuchungen zur öffentlichen Einschätzung der Synthetische Biologie zufolge wesentlich mitentscheiden, wie sich Öffentlichkeit zu einer neuen Technik verhält.
Sollten möglichst viele Nutzer auf die Forschungsergebnisse zugreifen können
Drittens wirft die Synthetische Biologie auch ökonomische Fragen auf, insbesondere Fragen, inwieweit die eingesetzten Methoden und deren Produkte patentierbar sind oder sein sollten. Diese Frage ist nicht zuletzt deswegen von besonderem Interesse, da es sich bei den Produkten der Synthetischen Biologie einerseits um biologische Systeme handelt, deren Patentierbarkeit generell umstritten ist. Zum anderen handelt es sich bei den erhofften zukünftigen Produkten der Synthetischen Biologie wie etwa bei einem HIV-Impfstoff um Entwicklungen von solch potentiell großer Bedeutung, dass umstritten ist, inwieweit nicht eine möglichst große Zahl von Nutzern Zugriff auf die Forschungsergebnisse haben sollte.
Eine vierte Frage beschäftigt sich damit, welche gesellschaftlichen Akteure darüber entscheiden sollen, in welche Richtung sich die Synthetische Biologie weiterentwickelt. Hier wird aktuell über unterschiedliche Interaktions- und Partizipationsformen nachgedacht, wie sich die Öffentlichkeit in Wissenschaft einbringen kann. Hintergrund ist der zunehmende Trend, dass Öffentlichkeit nicht mehr einfach über wissenschaftliche Errungenschaften informiert werden will, sondern selbst auf unterschiedliche Art und Weise an Wissenschaft teilhaben möchte. Die mögliche Spannbreite reicht hier von Bürgerinnen und Bürgern als Datensammler, als Kontrolleure, als Hilfswissenschaftler, bis hin zu voll anerkannten Wissenschaftlern. Die Synthetische Biologe hat zu solchen Formen der Bürgerbeteiligung auch deswegen eine besondere Nähe, da sie von Beginn an eng mit Bewegungen wie der do-it-your-self biology oder auch dem bio-hacking verbunden ist.
Diesen ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen im Bereich der Synthetischen Biologie widmen Wissenschaftler heute auch deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil sie erkennen, dass die weitere Entwicklung dieser Technikwissenschaft nicht alleine an ihren wissenschaftlichen Ergebnissen gemessen wird. Vielmehr hängt sie maßgeblich davon ab, womit die Gesellschaft Synthetische Biologie in Zukunft assoziiert und wie sie dieses Forschungsgebiet einschätzt.