Schnappschüsse unterscheiden Moleküle von ihrem Spiegelbild
Max-Planck-Forscher können den räumlichen Aufbau chiraler Moleküle sichtbar machen
Kleiner Unterschied, große Wirkung: Die meisten biologischen Moleküle kommen in zwei Varianten vor, die sich gegenseitig Original und Spiegelbild sind. Sie verhalten sich also wie die rechte und die linke Hand zueinander. Zum Beispiel lassen die links- und rechtshändigen Varianten des gleichen Moleküls Zitronen und Orangen unterschiedlich riechen. Auch in der Pharmazie kann die Händigkeit eines Stoffes für seine Wirkung eine wichtige Rolle spielen. Nun haben Physiker des Max-Planck-Instituts für Kernphysik und Chemiker der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg in enger Zusammenarbeit eine Methode entwickelt, die gewissermaßen Schnappschüsse von chiralen Molekülen macht und somit deren räumlichen atomaren Aufbau visualisiert. Aus dieser Information lässt sich die Händigkeit der Moleküle direkt ablesen.
Viele biologische Prozesse hängen entscheidend davon ab, ob die beteiligten organischen Moleküle links- oder rechtshändig sind. Forscher sprechen bei Molekülen, die in zwei zueinander spiegelbildlichen Formen vorkommen, von „chiralen“ Molekülen. Wissenschaftler wollen deshalb wissen, wie die Atome in den beteiligten Molekülen relativ zueinander angeordnet sind. In der Fachsprache nennt sich das absolute Konfiguration. Aus dieser lässt sich die Händigkeit des Moleküls ablesen.
Zwar gibt es durchaus Methoden, um die Händigkeit chiraler Moleküle zu bestimmen. Doch diese liefern nicht die absolute Konfiguration ohne Verwendung theoretischer Modelle. Außerdem gab es bislang kein Messverfahren, das einzelne chirale Moleküle im gasförmigen Zustand auf ihre Händigkeit untersuchen konnte. Die Forscher um Holger Kreckel und Andreas Wolf vom Max-Planck-Institut für Kernphysik und Oliver Trapp vom Organisch-Chemischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg haben nun erstmals den Chiralitätssinn einer gasförmigen Probe, eines chiralen Epoxides, durch direkte Abbildung seiner Molekülstruktur bestimmt.
Dazu haben zunächst die Chemiker um Trapp eine Verbindung mit definierter Händigkeit hergestellt, indem sie die Händigkeit eines Derivates natürlich vorkommender Weinsäure auf das Zielmolekül Dideuterooxiran übertrugen. Kleinste Mengen davon verwendeten anschließend Kreckel und seine Kollegen in stark verdünnten Konzentrationen für ihre Messungen.
Das Team am Heidelberger Max-Planck-Institut erzeugte aus den elektrisch neutralen Molekülen durch Entfernung je eines Elektrons einfach positiv geladene Ionen. Diese lassen sich in einem Teilchenbeschleuniger auf sehr hohe Geschwindigkeiten bringen. Die beschleunigten Ionen durchquerten anschließend eine sehr dünne Diamant-Folie. Binnen weniger als einer Femtosekunde (der Millionste Teil einer Milliardstel Sekunde) streift die Folie die Bindungselektronen von den Molekülen ab. Es bleiben nur stark geladene Atome übrig, die sich vehement abstoßen. Weil mit den Elektronen quasi der Kitt verloren geht, der das Molekül zusammenhält, fliegen nun die Bruchstücke auseinander.
Nach Durchqueren der Folie entfernen sich die Bruchstücke weiter voneinander. Die Atome behalten aber ihre die relative Lage zueinander bei. Mit zunehmender Flugzeit entsteht also ein immer größeres dreidimensionales Abbild des Moleküls, das die grundlegende Geometrie erhält. Bei Erreichen eines 3D-Detektors ist das Molekül-Abbild bereits auf einige Zentimeter Größe angewachsen. Der Detektor zeichnet diese Struktur auf. Für die hohen Anforderungen, die Messungen mit chiralen Molekülen stellen, wurde die Detektoranordung auf den gleichzeitigen Nachweis von bis zu fünf Fragmenten optimiert. Das Abbild auf dem Detektor zeigt die absolute Konfiguration, aus der sich die Händigkeit des Moleküls direkt ablesen lässt. Die Pionierarbeiten für die Entwicklung dieser so genannten Coulomb-Explosionsmethode wurden am Weizmann Institute in Israel geleistet.
„Der Versuchsaufbau erlaubt es auch, chirale Fragmente von Molekülen zu untersuchen“, erläutern die Forscher. Denn in dem beschriebenen Experiment selektiert ein Massenfilter vor der Diamant-Folie Molekül-Fragmente einer gewünschten Masse. Er lässt sich so einstellen, dass nur das interessierende chirale Fragment auf die Folie gelenkt und somit vom Detektor erfasst wird. Gerade diese Kombination von Massenspektrometrie mit einer Coulomb-Explosionsmessung erscheint den Forschern attraktiv für zukünftige Anwendungen mit chiralen Molekülen.
In Zukunft wollen die Heidelberger Forscher ihre Expertise auf dem Gebiet der Detektion der Händigkeit von chiralen Molekülen erweitern. Sie liebäugeln bereits mit einer weiteren Methode, bei der die chiralen Moleküle vor der Coulomb-Explosion in einem Ionenspeicher akkumuliert werden.
CJM/HR