Vom Wirt erpresst und versklavt

Eine langsamere Entwicklung beschert Wirtsorganismen einen Vorteil über ihre Symbionten

30. April 2013

Die Evolution begünstigt Organismen, die sich ständig verändern, anpassen und weiterentwickeln. Das ist besonders gut zu beobachten, wenn zwei Populationen in einem evolutionären Wettrüsten stehen, wie es bei Parasiten und Wirten oder Jägern und Beutetieren der Fall ist. Christian Hilbe vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie hat gezeigt, dass sich auch Langsamkeit auszahlen kann. Allerdings nur dann, wenn erpresserische Strategien zum Einsatz kommen.

„Du musst rennen, um auf der Stelle zu bleiben“, sagt die Rote Königin zu Alice im Spiegelland. Dieser Satz machte die Fantasiefigur zur Namensgeberin für die Red-Queen-Hypothese, die besagt, dass Organismen sich ständig möglichst schnell weiterentwickeln müssen, wenn sie nicht aussterben wollen. Der Red-King-Effekt beschreibt genau das gegenteilige Phänomen: Unter bestimmten Umständen kann eine besonders langsame Evolution ebenso von Vorteil sein.

Einem solchen Umstand ist Christian Hilbe vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön gemeinsam mit Martin Nowak und Karl Sigmund auf die Schliche gekommen. Die drei Wissenschaftler untersuchten, wie sich verschiedene Entwicklungsstrategien auf die Evolution innerhalb einer Art sowie auf das Verhältnis zwischen zwei Arten auswirken. Dazu benutzten sie das in der Spieltheorie weitverbreitete Gefangenendilemma.

Bei diesem Dilemma müssen zwei Individuen zur gleichen Zeit entscheiden, ob sie kooperieren oder den anderen verraten wollen. Bei Kooperation gewinnen beide etwas. Wenn jedoch einer den anderen betrügt, ist sein persönlicher Gewinn größer, der andere macht Verlust. Verraten sich beide gegenseitig, so gehen sie am Ende auch beide leer aus.

Als besonders effektiv hat sich in der Theorie die simple „Wie-du-mir-so-ich-dir“-Strategie erwiesen. Dabei verhält sich ein Spieler immer so, wie es sein Gegner in der vorherigen Runde getan hat. Kooperation wird mit Kooperation belohnt, Verrat mit Verrat bestraft. Wesentlich komplizierter ist die erst im Jahr 2012 veröffentlichte Erpresserstrategie, die ein Teil der großen Gruppe von „Zero-determinant“-Strategien ist. Durch geschickte Auswahl von Wahrscheinlichkeiten für jede mögliche Handlung erlaubt es diese schlaue Strategie, dass der Gewinn der „Erpresser“ immer konstant über dem Gewinn ihrer Spielpartner liegt. Treffen aber zwei Erpresser aufeinander, gehen auch sie leer aus.

Genau aus diesem Grund sind Erpresserstrategien in der Evolution instabil. Bestünde eine Population ausschließlich aus Erpressern, würde sie kollabieren. Nach und nach gehen darum immer mehr Erpresser zu kooperativem Verhalten über. Somit sichern sie einerseits das Überleben der Population und beschleunigen andererseits die Entstehung von Kooperationen.

Anders sieht es aus, wenn zwei unterschiedliche Populationen aufeinandertreffen, wie es zum Beispiel bei Symbiosen der Fall ist. Entwickeln Wirt und Symbiont sich gleich schnell, so kann keiner den anderen erpressen. Ist die Evolutionsrate der Symbionten aber wesentlich höher, so führt das für sie zu einem kurzfristigen Gewinn, also einer schnelleren Vermehrung. Langfristig sind jedoch die langsameren Wirte im Vorteil. Ein eindeutiges Beispiel des Red-King-Effekt.

„Die Wirte gewinnen das Spiel, weil sie anfangen Erpresserstrategien anzuwenden“, erklärt Christian Hilbe, Mathematiker und Erstautor der Publikation. Sie schaffen eine Umgebung, in der sich die Kooperation für ihre Symbionten in gewissem Maße lohnt. Dadurch stellen sie sicher, dass nur die für den Wirt günstigen Symbionten, also die kooperierenden, überleben und sich erfolgreich vermehren können.

„Wir waren überrascht, dass solche Erpresserstrategien, die erst 2012 theoretisch vorhergesagt worden sind, tatsächlich von selbst entstehen können“, beschreibt Hilbe die Erkenntnis seiner Arbeit. Die genauen Wahrscheinlichkeiten für eine erfolgreiche Erpresserstrategie zu berechnen ist sehr kompliziert, aber „die Evolution rechnet, indem sie alle Möglichkeiten ausprobiert und die erfolgreichste mit Vermehrung belohnt“.

Jetzt will Christian Hilbe untersuchen, ob sich auch innerhalb einer Art eine Gruppe mit erpresserischen Strategien einen Vorteil verschaffen kann.

[CS]

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