Evolutionärer Bestseller in der Bildverarbeitung

Nervenzellen in den Augen von Fliegen und Wirbeltieren spalten optische Informationen ähnlich auf

10. November 2010

Das Auge ist nicht nur eine Linse, die Bilder aufnimmt und in elektrische Signale umwandelt. Wie bei allen Wirbeltieren trennen auch im menschlichen Auge Nervenzellen das Gesehene bereits in der Netzhaut in verschiedene Bildkanäle. Diese vorsortierten Informationen werden dann als parallele Bildsequenzen an das Gehirn weitergeleitet. Dass Fruchtfliegen optische Informationen ganz ähnlich verarbeiten, fanden jetzt Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried heraus. Vermutlich ist diese Art der Verschaltung besonders energiesparend und wird daher über die verschiedensten Tierarten hinweg beibehalten. (Nature, 11. November 2010)

Wie gelangt die Welt in den Kopf? Dies ist keine triviale Frage, denn für viele Tierarten ist "Sehen" einer der wichtigsten Sinne. In jeder Sekunde nehmen die Augen eine Vielzahl an Eindrücken auf, die von den Lichtsinneszellen in elektrische Signale umgewandelt werden. Bei Wirbeltieren beginnt die Verarbeitung der Bilder dann bereits in der Netzhaut der Augen. Hier spalten die Nervenzellen das Gesehene vor seiner Weitergabe an das Gehirn in Bilder mit unterschiedlichem Informationsgehalt auf.

Sehen verstehen mit Fruchtfliegen

Um so etwas Komplexes wie "Sehen" zu verstehen, untersuchen Wissenschaftler ein etwas einfacheres, aber äußerst effizientes System - das Gehirn von Fruchtfliegen. Trotz seiner winzigen Größe überwiegen die Vorteile: Fliegen sind Meister in der visuellen Verarbeitung, die Anzahl der beteiligten Nervenzellen ist überschaubar, sodass jede einzelne Zelle untersucht werden kann, und genetische Werkzeuge ermöglichen es, einzelne Zellen zu blockieren und so ihre Rolle im System zu analysieren.

Nun fanden Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie erstaunliche Parallelen in der neuronalen Verarbeitung zwischen Fruchtfliegen und Wirbeltieren. Denn auch die Fliege leitet Bilder bereits direkt nach den Sinneszellen in verschiedenen Bildkanälen weiter. Die Informationen werden dann über eine Reihe anderer Zellen an große, bewegungsempfindliche Nervenzellen weitergeleitet. Diese "Ausgangszellen" des Bewegungs-Sehsystems sind für die visuelle Flugsteuerung zuständig.

Licht an und aus im Fliegenkino

Dem frühen Auftrennen in verschiedene Bilder kamen die Wissenschaftler auf die Spur, indem sie bestimmte Zellen mithilfe der Gentechnik blockierten. Diesen Fliegen zeigten sie dann in einer LED-Arena bewegte Streifenmuster, während sie die elektrischen Reaktionen der Ausgangszellen aufzeichneten. Die verschiedenen Kontrastveränderungen, die durch die Streifenbewegung auftreten, werden von den Fotorezeptoren des Auges wahrgenommen. Direkt hinter jeder Sinneszelle liegen jedoch gleich fünf Nervenzellen, die Laminazellen L1 bis L5. "Wir haben uns schon lange gefragt, warum es so viele Zellen sind, welche davon Informationen an das Bewegungs-Sehsystem weiterleiten, und was das für Informationen sind", berichtet Alexander Borst, der Leiter der Studie. Also setzte sein Team jeweils einzelne dieser Laminazellen außer Gefecht, während die Fliege bewegte Muster sah. Die Experimente ergaben, dass die Zellen L1 und L2 die Haupteingangskanäle in das Bewegungssehsystem der Fliege sind. Das Spannende dabei: Die Zellen übertragen ganz nur bestimmte Teilinformationen. So reagiert L1 nur, wenn eine Dunkel-Hell-Kante vorbeizieht, "Licht an", während L2 nur die Information über eine sich bewegende Hell-Dunkel-Kante, also "Licht aus", überträgt. Dies ist eine eindeutige Parallele zum Wirbeltierauge, wo sogenannte ON- und OFF-Bipolarzellen ebenfalls nur auf gerichtete Kontrastveränderungen reagieren.

Energiesparen quer durchs Tierreich

"Es kann kein Zufall sein, dass wir dieses Aufspalten von Kontrastinformation bei allen Wirbeltieren und jetzt auch bei Fliegen finden", vermutet Alexander Borst. Der Neurobiologe hat auch schon eine Theorie, warum diese Verschaltung von der Evolution so konsequent beibehalten wurde: Das Gehirn spart auf diese Weise Energie. Würde nur eine Zelle die Information über die verschiedenen Kontraständerungen weiterleiten, müsste sie eine Grundspannung halten, die sich bei "Licht an" verstärkt und bei "Licht aus" abschwächt. Solch eine Grundspannung kostet Energie. Zwei Zellen zu haben ist daher effizienter, denn sie brauchen jeweils nur dann aktiv zu werden, wenn "ihre" Kontraständerung auftritt.

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