Stärke in der Forschung durch Vielfalt im System

15. Juni 2012

Stärke in der Forschung gibt es durch Vielfalt im System – das sollte Zielsetzung sein, wenn es um das künftige deutsche Wissenschaftssystem geht. Die weitere Ausgestaltung der Forschungslandschaft ist zentral; denn sie wird sich maßgeblich auf die Innovationsstärke unseres Landes auswirken.

Exzellenzinitiative und Forschungspakt haben eine Dynamik in Gang gebracht, die das Wissenschaftssystem und seine Akteure  verändert – und zwar nicht nur die Universitäten, sondern auch die Forschungsorganisationen Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaft, Fraunhofer- und Max-Planck-Gesellschaft sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Den Kompass auf Exzellenz ausgerichtet, haben die Förderinitiativen geradezu einen Paradigmenwechsel herbeigeführt.

Denn sie haben mit dem Dogma gebrochen, alle Universitäten seien gleich und müssten gleich bleiben. Ins Licht rückte, was unter der zementierten Oberfläche der deutschen Universitätslandschaft schon längst existierte: Spitzen in bestimmten Fachbereichen sowie Forschungsleuchttürme, die sich an einzelnen Orten herausgebildet hatten. Der Wettbewerb hat den Impuls gesetzt, die vorhandenen Stärken mit Partnern aus anderen Wissenschaftsinstitutionen und der Wirtschaft zu vereinen. Er hat damit neue Chancen eröffnet. Hinzu kommt: Man sucht nun die Konkurrenz und die Kooperation mit den Besten – denn das beflügelt den eigenen Erfolg.

Die außeruniversitären Forschungsorganisationen leisten ihren Beitrag. Dabei ist es kein Zufall, dass sie vor allem dort eine Rolle spielen, wo es Exzellenz- und Profiluniversitäten gibt. Die Max-Planck-Gesellschaft ist in der Regel mit von der Partie. In der ersten Runde der Exzellenzinitiative waren wir an mehr als zwei Dritteln der erfolgreichen Cluster und jeder zweiten geförderten Graduiertenschule beteiligt. Diese Quoten wurden nun in der aktuellen, zweiten Programmphase mehr als bestätigt.

Diese Verzahnung der Universitäten und der übrigen Akteure an den Standorten zeigt: Stärke in der Forschung gibt es durch Vielfalt im System – das sollte Zielsetzung sein, wenn es um das künftige deutsche Wissenschaftssystem geht. Die weitere Ausgestaltung der Forschungslandschaft ist zentral; denn sie wird sich maßgeblich auf die Innovationsstärke unseres Landes auswirken. Für manchen mag es reizvoll sein, am grünen Tisch eine neue Wissenschaftsarchitektur zu entwerfen, einmal richtig aufzuräumen in der komplexen, über Jahrzehnte gewachsenen Struktur der deutschen Forschungslandschaft.

Aber Vorsicht: Gerade im Wissenschaftssystem hat sich die Regel form follows function bewährt. Um nicht an der Wissenschaft vorbeizuplanen, muss zuallererst klar sein, was Wissenschaft für eine Gesellschaft leisten kann. Sie soll den Wohlstand unseres Landes und unsere Lebensqualität sichern und nicht zuletzt dazu beitragen, die globalen Herausforderungen zu meistern. Dafür muss Wissenschaft im Wettbewerb mit den Besten bestehen, gleichzeitig Kooperationen mit den weltweit führenden Partnern eingehen können – und den Freiraum haben, sich wissenschaftsgetrieben entfalten zu können.

Nehmen wir zuerst die Universitäten, das Herzstück der deutschen Forschung. Dank der Exzellenzinitiative werden einige Universitäten wesentlich leistungsfähiger und damit international sichtbarer. Trotzdem wird es bis 2017, wenn die Exzellenzinitiative ausläuft, nicht gelingen, deutsche Universitäten im internationalen Ranking ganz nach vorn zu bringen. Eine grundsätzliche Hürde stellt dabei die Struktur deutscher Universitäten dar: Professoren in Deutschland müssen, im Gegensatz zu ihren Kollegen an Top-Universitäten wie Harvard oder der ETH Zürich, den Spagat zwischen Spitzenforschung und Breitenausbildung schaffen.

Es gäbe aber einen einfachen Weg, die in Deutschland tatsächlich vorhandene – und zwar gemeinsam von allen 16 Ländern und dem Bund getragene – Forschungsleistung auch sichtbar zu machen: Hätte die Max-Planck-Gesellschaft den Status einer  Graduiertenuniversität wie etwa die Rockefeller University in den USA, dann käme sie unter die besten fünf des Shanghai-Rankings.

Unabhängig davon bleibt es eine Herausforderung für alle Akteure, die jeweils eigene Mission zu schärfen. Die zunehmende Vernetzung darf nicht zu einer Verwässerung führen. Die Entwicklung der vergangenen Jahre hat ans Licht gebracht: Wer eine klar definierte Mission, ein eigenes Profil hat, bringt wissenschaftlichen Mehrwert ins System. Kooperationsmodelle der Zukunft bauen auf dieser Prämisse auf. Das gemeinsame Dach dient dazu, Synergien zu nutzen, und erlaubt gleichzeitig die Weiterentwicklung von Instituten und Universitäten, ohne ihre jeweilige Mission einzuebnen. Ziel sind keine neuen Institutionen, sondern Wissenschaft auf höchstem Niveau.

Forschungsräume mit solchen Strukturen haben am ehesten das Potenzial, international aufzusteigen, wenn mehrere exzellente Cluster an einem Standort, getragen von vielen Partnern, entstehen. Namhafte Wissenschaftshistoriker gehen davon aus, dass es in Zukunft keine einzelne vorherrschende Wissenschaftsmacht mehr geben wird. Vielmehr werden einzelne flexible autonome Einheiten mittlerer Größe die Leistungsträger der Zukunft sein. Die Regionen mit leistungsstarken Clustern werden das Rennen machen. Ich rechne auf Dauer deutschlandweit mit vielleicht fünf solchen Forschungs-Campi.

Wesentlich wird dabei sein, dass an diesen Standorten trennende Mauern eingerissen und dadurch neue Potenziale der Zusammenarbeit freigesetzt werden, wobei die Forschung selbst den Grad der Vernetzung bestimmt – und gleichzeitig die Autonomie der Partner bewahrt wird. Die Max-Planck-Institute stiften in diesen Forschungsräumen Exzellenz, internationale Sichtbarkeit, Interdisziplinarität und geben neue Forschungsimpulse.

Das gilt ebenso für jene voraussichtlich 15 bis 20 Standorte, an denen sich langfristig vielleicht nur ein herausragender Cluster etablieren wird. Auch hier können Max-Planck-Institute den Kristallisationskern bilden. Selbstverständlich bringen jeweils auch die anderen Forschungseinrichtungen ihre Kompetenzen ein. Ich denke da an die Fraunhofer-Institute, die grundlegende Erkenntnisse im Schulterschluss mit der Wirtschaft in die Anwendung überführen; ebenso an Helmholtz mit den großen Infrastrukturen und die länderorientierte Leibniz-Gemeinschaft. Diese Cluster sollten sich deutschlandweit, aber auch international verknüpfen. Wenn wir das Forschungssystem der Zukunft betrachten, muss uns auch klar sein: Wissenschaft braucht stabile Finanzierungsstrukturen, die sich eindeutig an Qualität und Mission orientieren. Wissenschaft eignet sich dagegen nicht als Manövriermasse im Länderfinanzausgleich, auch wenn die Versuchung und manchmal die Not groß sind. Entsprechend kontraproduktiv ist es, Hilfsstrukturen zu bauen, weil Bundes- und Länderfinanzierungsschlüssel oder das in Artikel 91b des Grundgesetzes verankerte Kooperationsverbot eine zielgerichtete Lösung verbieten. Derzeit ist offen, ob die Initiative zur Änderung dieses Artikels die breite Unterstützung findet und der Bund künftig dauerhaft exzellente Forschungseinrichtungen an Hochschulen finanzieren kann.

Gelingt der Vorstoß nicht, müsste die Finanzierung weiterhin über definierte Programme erfolgen. Das ist meiner Ansicht nach eine Option – vorausgesetzt, man betraut damit nur die nach Mission und Qualität geeigneten Einrichtungen, unabhängig von der Logik des Finanzierungswegs. Erleichtert werden könnte ein solcher Finanzierungsmechanismus über separate Haushalte in den außeruniversitären Einrichtungen.

Natürlich lebe ich nicht im Elfenbeinturm und kenne die Bedenken und Probleme der öffentlichen Hand – seien es steigende Kosten, sei es die Schuldenbremse. Aber: Wir alle profitieren von der klaren Prioritätensetzung der vergangenen Jahre auf Innovation. Die Finanzminister ernten gegenwärtig den steuerlichen Erfolg dieser Politik. In den Haushalten der Länder und des Bundes werden Milliarden bewegt. Die Exzellenzinitiative II sowie der laufende Pakt für Forschung und Innovation kosten gemittelt 1,4 Milliarden Euro im Jahr. Ist das zu viel, um unser zukünftiges Wohlergehen durch ein leistungsfähiges Wissenschaftssystemzu sichern?

Heute steht Deutschland nach Angaben von Thomson Reuters unter den sechs produktivsten Forschungsnationen auf dem zweiten Platz nach den USA – ein hervorragendes Ergebnis! Der aktuelle Erfolg ist keine Selbstverständlichkeit. Schon jetzt gilt es, Weichen zu stellen, um die deutsche Wissenschaft für die Herausforderungen der Zukunft stark zu machen.

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