Holz im Tank
Wissenschaftler entwickeln ein neues Verfahren, mit dem sich Cellulose in kleine Zuckermoleküle spalten lässt
Pflanzenabfälle sind alles andere als Müll. Schon bald könnten sie zu Biotreibstoff verarbeitet werden. Denn Pflanzenzellen bestehen aus Cellulose und diese steckt voller Energie. Mehrere tausend Zuckereinheiten sind über besonders stabile Verknüpfungen verbunden und machten es bislang technisch kaum möglich, die Cellulose aufzuspalten. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr haben nun ein Verfahren entwickelt, mit dem sich die Cellulose relativ einfach in ihre kleinsten Bestandteile spalten lässt. Erneuerbare Rohstoffe und regenerative Biokraftstoffe könnten so demnächst aus Biomasse hergestellt werden. (Angewandte Chemie, Online-Veröffentlichung 23. September 2008)
Papier besteht hauptsächlich aus Cellulose, dem Hauptbestandteil aller Pflanzenzellen. Biomasse, die aus Stroh- und Holzresten gewonnen werden kann, ist allerdings nicht nur für die Papierindustrie interessant, sondern auch für die Produktion erneuerbarer Roh- und Treibstoffe. Der Haken: Da Cellulose sehr stabil ist, war es der Industrie bislang kaum möglich, sie in ihre einzelnen Bausteine, die Zuckermoleküle, zu spalten. Dabei ist Cellulose die häufigste organische Verbindung der Erde. Reichlich vorhandene Energie bleibt so ungenutzt.
Keine Nebenprodukte
Roberto Rinaldi, Regina Palkovits und Ferdi Schüth vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr haben nun eine Methode entwickelt, mit der sich Cellulose in kleinere Bestandteile zerlegen lässt. Alles, was die Wissenschaftler dazu benötigen, sind ein fester saurer Katalysator und ein ionisches Medium. Hiermit gelingt es, die langen Celluloseketten in wenigen Stunden oder sogar noch schneller selektiv in kürzere Stücke aufzuspalten, die dann mit anderen Verfahren weiterverarbeitet werden können. Ein Vorteil: Es entstehen kaum Nebenprodukte, die in weiteren Prozess-Schritten zu Problemen führen könnten. Der feste Katalysator ist nach der Reaktion einfach abtrennbar und kann wiederverwendet werden.
Zunächst lösten die Wissenschaftler die Cellulose in einer ionischen Flüssigkeit. Dies ist ein Salz, das bei Raumtemperatur flüssig ist und positiv und negativ geladene Teilchen enthält. "Dieser Schritt macht die langen Glucoseketten für weitere chemische Reaktionen zugänglich und die Cellulose ist nun durch feste Katalysatoren angreifbar", sagt Schüth. Katalysatoren sind Stoffe, die chemische Reaktionen beschleunigen, dabei aber selbst nicht verbraucht werden.
Mit Harzen zum Erfolg
Die Max-Planck-Forscher haben nun herausgefunden, wie ein Katalysator beschaffen sein muss, um die Cellulose aufzuspalten. Das Material sollte sauer sein, also positiv geladene Wasserstoffteilchen abgeben können. Auch eine große Oberfläche und Poren in der richtigen Größe sind wichtig, da die gelöste Cellulose in ionischer Lösung sehr zähflüssig ist und dies den Transport der Ketten zum Katalysator erschwert. "Wir haben entdeckt, dass sich chemisch verändertes Harz hervorragend eignet, um die stabilen Zucker-Verbindungen der Cellulose aufzubrechen", so Ferdi Schüth.
Durch die Zugabe von Wasser setzen sich die nun verkürzten Glucoseketten am Boden ab, sodass die Max-Planck-Forscher das Produkt leicht aus der Flüssigkeit abtrennen konnten. Danach filtrierten die Wissenschaftler die Lösung und gewannen so auch den festen Katalysator zurück. "Um dann letztendlich an die kleinsten Bausteine der Cellulose zu gelangen, muss man einen weiteren Schritt anschließen, etwa unter Nutzung von Enzymen", sagt Schüth. Diese Eiweiße spalten die kurzen Ketten zu einzelnen Zuckermolekülen. Diesen Abbauprozess - von Cellulose zu einzelnen Glucosemolekülen - bezeichnen die Forscher auch als Depolymerisation. Lange Ketten werden gezielt zu ihren Einzelbausteinen abgebaut.
Von Holz zu Zucker
Durch das Verfahren der Max-Planck-Forscher lassen sich auch sehr stabile Pflanzenteile, wie etwa mikrokristalline Cellulose, abbauen. Normalerweise bleiben diese bei der Celluloseverarbeitung als unlöslicher Bestandteil zurück. "Mit dieser Methode können wir am Anfang des Prozesses sogar Holz einsetzen", erklärt der Wissenschaftler. "Deshalb kann man tatsächlich sagen, dass mit diesem Verfahren der direkte Abbau von Holz zu Zucker möglich ist."
Die Aufbereitung der Cellulose nach dem Verfahren der Forscher bietet viele Einsatzmöglichkeiten. Das Polymer könnte beispielsweise als erneuerbarer Rohstoff für die Produktion von Chemikalien genutzt werden. Die neue Methode des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung schließt zudem eine bisherige Technologielücke, denn wenn die Glucose erst einmal erzeugt ist, können zahlreiche Prozesse ansetzen: "Die Zuckermoleküle der Cellulose lassen sich zum Beispiel alkoholisch vergären. Das dabei entstehende Ethanol ist dann wiederum als regenerativer Biokraftstoff nutzbar." Dieser Treibstoff würde, anders als Kraftstoff aus Getreide und Mais, nicht mit der Lebensmittelindustrie konkurrieren. Pflanzenabfälle wie beispielsweise Holzreste und Stroh, die anderweitig keine Verwendung mehr finden, könnten demnächst durch das Verfahren der Max-Planck-Forscher zu Biotreibstoff umgewandelt werden. Allerdings ist auf dem Weg dahin noch umfangreiche Entwicklungsarbeit zu leisten. So sind etwa die ionischen Flüssigkeiten sehr teuer und müssten in einem technischen Prozess vollständig im Kreis geführt werden.
Hintergrund:
Cellulose ist nahezu unbegrenzt verfügbar. Pflanzen produzieren aus Kohlendioxid und Wasser in komplexen chemischen Reaktionen etwa 10 12 Tonnen Cellulose pro Jahr. Die β-1,4-glycosidischen Bindungen, über die die einzelnen Bausteine des Polymers miteinander verknüpft sind, machen die Cellulose zu einem stabilen Baustein der Pflanzenzelle. Bei Raumtemperatur und ohne das Zutun von Mikroorganismen würde Cellulose erst in Millionen von Jahren zerfallen.
Nicht nur die Industrie tat sich bislang schwer, diese Verknüpfungen aufzuspalten. Auch viele Verdauungssysteme, beispielweise von Mensch oder Schwein, können diese Ballaststoffe nicht verwerten. Nur Bakterien, die beispielsweise im Pansen von Kühen vorhanden sind, einige Pilze und Silberfischchen sind in der Lage, die Zuckermolekül-Ketten der Cellulose zu spalten.