"Good vibrations" in der Nanowelt

Atomare Defekte bestimmen das Schwingungsverhalten von Kohlenstoff-Nanoröhren

27. September 2004

Es war schon immer ein Traum der Forscher, die Schwingungsmoden von molekularen Ketten am Ort eines speziellen Atoms untersuchen zu können. Jetzt ist es einem Forscherteam am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung mit Hilfe eines Rastertunnelmikroskops erstmals gelungen, die Schwingungsmoden von Kohlenstoff-Nanoröhren mit höchster, also atomarer Auflösung zu messen. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass die Nanoröhren in der Nähe von atomaren Defekten lokal geänderte elektronische und mechanische Eigenschaften zeigen, die weitreichende Konsequenzen für ihr Verhalten als Ganzes haben (Physical Review Letters, 24. September 2004).

Seit ihrer Entdeckung im Jahre 1991 beschäftigen Kohlenstoff-Nanoröhren die Fantasie von Forschern und Ingenieuren durch ihre vielversprechenden Eigenschaften. Diese Objekte der Nanowelt, die aus aufgerollten Graphitschichten bestehen und Durchmesser von einem Nanometer - 10.000 mal kleiner als ein menschliches Haar - haben, sollen als molekulare Komponenten in zukünftigen, Nanometer-großen Bauelementen eingesetzt werden. Die einzigartigen elektrischen Eigenschaften dieser Nanodrähte, die je nach atomarem Aufbau metallisch oder halbleitend sein können, ermöglichen die Entwicklung kleinster Bauelemente wie Nanotransistoren, Gassensoren, Superkondensatoren, Flachbildschirme, usw.

Daneben besitzen die Kohlenstoff-Nanoröhren aber auch außergewöhnliche mechanische Eigenschaften: Da die Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung eine der stärksten in der Natur ist, sind die Nanoröhren entlang ihrer Achse etwa fünf Mal härter als Stahl. Andererseits sind sie auch flexibel und überstehen extreme Verbiegungen und Torsionen unbeschadet. Komposit-Materialien, die mit Kohlenstoff-Nanoröhren verstärkt sind, könnten in der Zukunft andere Materialien ersetzen und auf diese Weise dort für große Gewichtseinsparung sorgen, wo hohe Festigkeit erforderlich ist, wie im Fahrzeugbau und in der Luft- und Raumfahrt.

Diese einzigartigen elektronischen und mechanischen Eigenschaften hängen jedoch sehr davon ab, ob die Nanoröhren nach einem perfekten atomaren Bauplan aufgebaut sind. Genauso wie der Ton einer Violinensaite von der Stärke des Saitenmaterials abhängt und durch Beschädigungen gestört wird, zeigen die Schwingungen eines Kohlenstoffröhrchens an, ob seine mechanischen Eigenschaften durch Defekte (z.B. fehlende oder zusätzliche Atome oder Bindungen) beeinträchtigt sind und die Nanoröhre daher "weicher" geworden ist. Um unser Wissen über den Einfluss der Defekte auf die mechanischen Eigenschaften zu erweitern, ist es folglich extrem wichtig, die Schwingungsmoden direkt an den Defekten bestimmen zu können.

Den Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart ist es nun gelungen, die Schwingungen dieser "Nano-Saiten" auf atomarer Skala zu bestimmen. Dabei zeigte sich, dass Fehler im Bauplan der Nanoröhren ihre Schwingungsbewegung stark beeinflussen. In der Analogie der Violinsaite ausgedrückt, fanden die Forscher heraus, dass Nanoröhren von unterschiedlichem Durchmesser auch verschiedene Tonhöhen haben und dass Defekte, wie fehlende Atome, die Tonhöhe stark verändern. Im Extremfall, wenn zwei Defekte sehr dicht beieinander liegen, bleibt die "Nano-Saite" in diesem Abschnitt sogar still. Um die atomare Welt der Schwingungen sichtbar zu machen, benutzten die Wissenschaftler ein Rastertunnelmikroskop, das bei einer Temperatur von 6 K (-267°C) arbeitet. Die Schwingungsmoden der Kohlenstoff-Nanoröhren können mit der dem Instrument typischen sub-Nanometer-Auflösung bestimmt werden, da die tunnelnden Elektronen Energie an das vibrierende Kohlenstoffgitter verlieren und so die Stärke des Tunnelstroms variiert wird.

Die neuen Messergebnisse sind wichtige Meilensteine auf dem Weg zum Verständnis von Strom- und Wärmetransport in Kohlenstoff-Nanoröhren, Eigenschaften, die ihre Verwendbarkeit in elektronischen Bauelementen bestimmen. Die Schwingungen von Atomen verringern die elektrische Leitfähigkeit und begrenzen die Leistungsfähigkeit von Nanotransistoren oder anderen Bauelementen. Parallel dazu nimmt die Festigkeit und die Fähigkeit, Wärme zu transportieren, mit steigender Defektdichte ab.

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