Jurists Uprooted - Entwurzelte Juristen

Neue Forschungsergebnisse über die Emigration deutscher Rechtswissenschaftler während der NS-Diktatur nach Großbritannien veröffentlicht

16. Dezember 2004

Unter der nationalsozialistischen Herrschaft waren viele herausragende Juristen gezwungen, Deutschland zu verlassen. Etliche von ihnen fanden Zuflucht in England. Unter Federführung des Hamburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht und der Universität Cambridge, Großbritannien, haben Wissenschaftler aus Deutschland und England den Lebensweg und die Wirkungsgeschichte dieser "entwurzelten Juristen" erforscht. Die Ergebnisse dieses deutsch-englischen Gemeinschaftsprojekts wurden jetzt in einem Sammelband unter dem Titel "Jurists Uprooted - German-speaking Émigré Lawyers in Twentieth-century Britain" bei Oxford University Press veröffentlicht.

Ziel des Buches ist es, Biographie und intellektuelle Herkunft der bedeutendsten dieser Juristen vorzustellen, ihre Karriere nachzuzeichnen, die wichtigsten ihrer in der Emigration entstandenen Werke vorzustellen und zu analysieren, welchen Einfluss sie auf Rechtspraxis und Rechtswissenschaft in England bzw. - bei ihrer Rückkehr - in Deutschland gehabt haben. Damit soll gleichzeitig ein Beitrag zur intellektuellen Geschichte einer Reihe juristischer Teildisziplinen im England des vergangenen Jahrhunderts geleistet werden.

Forschungsprojekt und Buch werden am 17. Dezember 2004 um 17.00 Uhr im Rahmen einer Vortragsveranstaltung im Warburg-Haus in Hamburg offiziell präsentiert werden. Das Warburg-Haus ist für diese Veranstaltung ein ganz besonderer Platz. Es war bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannte Einrichtung, die zahlreiche bedeutende Gelehrte anzog. Im Jahr 1933 musste seine Bibliothek vor den nationalsozialistischen Machthabern nach London in Sicherheit gebracht werden. Heute beherbergt das Warburg-Haus auch das Archiv zur Wissenschaftsemigration.

Die Vorträge widmen sich den Auswirkungen der nationalsozialistischen Herrschaft auf Rechtswissenschaft und Justiz. Als Vortragende eingeladen sind der Präsident des Bundesgerichtshofs, Herr Professor Dr. Günter Hirsch, Herr Professor Dr. Michael Stolleis, Direktor am Frankfurter Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, und Herr Professor Dr. Kurt Lipstein QC, emeritierter Professor der Universität Cambridge und der letzte noch lebende der Emigranten, denen sich das Buch widmet. Herr Professor Dr. Reinhard Zimmermann wird einen Überblick über das Forschungsprojekt geben.

Zum Hintergrund des Forschungsprojekts

Das Forschungsprojekt hat den Blick dafür geschärft, dass sich die grenzüberschreitende Rezeption von Ideen häufig auf sehr verschlungenen Pfaden vollzieht. Vielfach folgen die Ideen den Wanderungen ihrer Träger und sind mit deren Lebensschicksalen eng verbunden. Diese Lebensschicksale werden wiederum nicht selten von unvorhergesehenen, mitunter tragischen Ereignissen geprägt. Nichts macht dies deutlicher als die Zeit des Dritten Reiches: Millionen Menschen wurden ermordet, aber immerhin gelang es insgesamt etwa 500.000 Menschen, mehr als 90 Prozent davon jüdisch im Sinne der nationalsozialistischen Rassengesetze, aus Deutschland, Österreich und dem deutschsprachigen Teil der Tschechoslowakei zu fliehen.

Viele von ihnen gelangten schließlich, oft unter abenteuerlichen Umständen, in die Vereinigten Staaten, andere nach England. Sie brachten in diese Länder ein Stück deutscher Kultur. "Thank you, Mr. Hitler", hieß es deshalb in Princeton, als Thomas Mann empfangen wurde. Doch die meisten Emigranten wurden weniger freundlich begrüßt oder gefeiert. Professoren mussten sich als Tellerwäscher oder Bäckergehilfen durchs Leben schlagen, Frauen aus ehemals wohlsituierten Familien verdingten sich als Putzhilfe, vielfach herrschte Not, Hunger, Ratlosigkeit und Depression. Mancher der Emigranten nahm sich das Leben. Und doch gelang es vielen, gegen alle Widerstände und trotz ungünstiger Verhältnisse, mit ihrer Arbeit fortzufahren oder in der Fremde eine neue Karriere zu beginnen. Ihr Gastland bot ihnen eine zweite Chance, die sie mitunter geradezu als ein Geschenk des Himmels empfanden.

Der große Kenner des Römischen Rechts Fritz Schulz verfasste im englischen Exil mit "History of Roman Legal Science" und "Classical Roman Law" zwei seiner bedeutendsten Werke. "Ressentiments gegen Deutschland habe ich nicht", schrieb er, obwohl seit sieben Jahren ohne feste Stelle, in einem bewegenden Brief vom August 1946, "denn wie geschrieben steht: Die Nazis gedachten es böse mit mir zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen. Niemals wäre ich in Deutschland zu dieser Reife gediehen wie hier im freien England und vor allem im herrlichen Oxford, das eben auf der Welt nicht seinesgleichen hat."

Fritz Schulz war einer der insgesamt 132 in Deutschland tätigen Hochschullehrer der Jurisprudenz, die während der ersten drei Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft aus ihrem Amt entfernt wurden. Die deutschen juristischen Fakultäten verloren damit aus politischen, ganz überwiegend aber aus rassischen Gründen 26 Prozent ihres Lehrkörpers. Zu den besonders schwer getroffenen Fächern gehörte das Römische Recht. Unter den 14 prominentesten Romanisten während der Weimarer Zeit waren sieben nicht-arisch im Sinne der Nazi-Gesetze. Otto Lenel und Otto Gradenwitz waren bereits emeritiert und starben 1935, die anderen fünf (Ernst Rabel, Ernst Levy, Fritz Schulz, Franz Haymann und Fritz Pringsheim) mussten emigrieren.

Die Vortragsveranstaltung

Vortragsveranstaltung anläßlich der öffentlichen Präsentation des Buches "Jurists Uprooted: German Speaking Émigré Lawyers in Twentieth-century Britain" am 17. Dezember 2004 um 17.00 Uhr im Warburg-Haus, Heilwegstraße 116, Hamburg.

Herr Professor Dr. Reinhard Zimmermann wird einen Überblick über das Forschungsprojekt geben. Als weitere Vortragende sind eingeladen:

- Professor Dr. Günter Hirsch, Präsident des Bundesgerichtshofs, Karlsruhe, zum Thema "Justiz im Dritten Reich";

- Professor Dr. Kurt Lipstein QC, Universität Cambridge, zum Thema "Erinnerungen: Teils wie die Buddenbrooks, teils wie ein Erziehungsroman";
- Professor Dr. Michael Stolleis, Direktor am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt/Main, für den Festvortrag "Deutsche Rechtswissenschaft 1933 und 1945 - Zivilisationsbruch und stille Kontinuitäten".

Interessenten werden gebeten, sich vorher anzumelden:

Frau Jahnke
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht,

Tel.: 040 41900-242
Fax: 040 41900- 288
E-mail: jahnke@mpipriv-hh.mpg.de

Das Buch

Leiter des Forschungsprojekts und Herausgeber des bei Oxford University Press erschienenen Buchs sind Sir Jack Beatson, bis 2002 Rouse-Ball Professor für Englisches Recht an der Universität Cambridge und seither Justice am High Court, Queens' Bench Division, und Prof. Reinhard Zimmermann, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg.

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