Über Kyoto hinaus: Klimawandel braucht langfristige Politik

Europäische Klimaforscher fordern langfristige Vorgaben für den Übergang zu einer emissionsfreien globalen Wirtschaft

12. Dezember 2003

Das Kyoto-Protokoll und die kurzfristigen Ziele zur Reduktion von Emissionen sind wichtige erste Schritte zur Minderung der Klimaerwärmung. Diese müssen jedoch mit einer langfristigen Klimapolitik Hand in Hand gehen. Modellrechnungen bis zum Jahre 3000 zeigen, dass ein allmählicher Übergang in eine emissionsfreie globale Wirtschaft zu einem akzeptablen Preis in den nächsten 50 bis 100 Jahren möglich ist. Diese Ergebnisse haben mehrere Mitglieder des Europäischen Klimaforums (ECF) in der aktuellen Ausgabe der internationalen Fachzeitschrift Science veröffentlicht (Science, 12. Dezember 2003).

Um eine dramatische Klimaerwärmung zu vermeiden, müssen die globalen Pro-Kopf-Emissionen in den nächsten hundert Jahren auf einen Bruchteil der derzeitigen Werte in den Industrieländern reduziert werden. Bei Nutzung sämtlicher geschätzter fossiler Ressourcen (Öl, Gas, Kohle sowie Ölschiefer, Teersände und Methanklathrate) würden nach Modellrechnungen der mittlere Meeresspiegel um bis zu 8 Meter und die globale Mitteltemperatur um bis zu 9 Grad Celcius innerhalb unseres Jahrtausends ansteigen.

Wegen der mehr als hundertjährigen Verweildauer des CO2 in der Atmosphäre wird der Klimawandel weniger durch die aktuellen als durch die aufsummierten CO2-Emissionen bestimmt. Wichtig für den Erhalt des Klimas sind daher nicht die Details des Emissionspfads, also wie sich die Emissionen kurzfristig entwickeln, sondern die Erzielung einer langfristigen Reduktion der Emissionen über einen Zeitraum von 50 bis 100 Jahren. Die im Rahmen des Kyoto-Protokolls festgelegten einzelnen Reduktionsquoten sind weniger entscheidend als ein gelungener Einstieg in einen langfristigen Pfad ständig reduzierter Emissionen. Dieses erfordert politische Zielsetzungen, die deutlich über den Zeithorizont des Kyoto-Protokolls hinausreichen. Nach verschiedenen Schätzungen würde dabei eine effekive langfristige Klimaschutzpolitik zu einer Verzögerung des globalen Wachstums von lediglich ein bis zwei Jahren über einen Zeitraum von 50 Jahren führen - ein wohl erschwinglicher Preis, wenn damit die unberechenbaren Risiken einer gravierenden späteren globalen Klimaänderung vermieden werden können.

Im Energiebereich hat der Kapitalstock eine lange Lebensdauer. Daher sind klar formulierte langfristige politische Zielsetzungen, verbunden mit konkreten Förderungsmaßnahmen, schon heute erforderlich, um das Investitionsverhalten der Wirtschaft zu beeinflüssen. Auch für die Öffentlichkeit, die die Politik verstehen und unterstützen muss, sind klare Zielvorstellungen wichtig. Schließlich sind diese auch für Entwicklungsländer entscheidend, die die gleiche Lebensqualität wie die der Industrieländern anstreben. Ein Nachahmen der auf fossilen Energieträgern basierten Evolution der Industrieländer durch die Entwicklungsländer würde einen enormen Anstieg der globalen CO2-Emissionen zur Folge haben. Eine Reihe von technologischen Optionen zur Emissionreduktion existieren bereits. Einige von ihnen, wie zum Beispiel die Windkraft, sind schon jetzt wettbewerbsfähig. Um jedoch die künftig erforderlichen, deutlich höheren Reduktionen von Emissionen zu erreichen, müssen weitere Technologien wie die Solarkraft eingesetzt werden, die heute im Markt noch nicht konkurrenzfähig sind. Diese werden sich langfristig nur durchsetzen können, wenn sie von der Politik frühzeitig unterstützt werden. Alternative klimaneutrale Emissionspfade sind sowohl für Industrieländer als auch für Entwicklungsländer in Sicht, sie brauchen jedoch schon heute die Unterstützung durch belastbare langfristige politische Zielvorgaben.

Verbindliche Ziele zur kurzfristigen Emissionsreduktion müssen daher Hand in Hand gehen mit klar formulierten Strategien zur Erreichung deutlich stringenterer Ziele der Emissionsreduktion auf längerer Sicht. Eine stärkere Ausrichtung auf langfristige Ziele könnte hierbei zur Überwindung der derzeitigen Schwierigkeiten beim Kyoto-Prozess und zur Reduktion des - die bisherigen Klimaverhandlungen ebenfalls erschwerenden - Nord-Süd-Gefälles beitragen.

Autoren der Studie:

Prof. Klaus Hasselmann, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg
Prof. Mojib Latif, Institut für Meereskunde, Kiel
Dr. Georg Hooss, Institut für Meereskunde, Kiel
Prof. Christian Azar, Chalmers University of Technology, Göteborg
Dr. Ottmar Edenhofer, Potsdam Institut für Klimafolgenforschung
Prof. Carlo C. Jaeger, Potsdam Institut für Klimafolgenforschung

Prof. Ola M. Johannessen, Nansen Environmental and Remote Sensing Center, Bergen
Prof. Claudia Kemfert, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Dr. Martin Welp, Potsdam Institut für Klimafolgenforschung

Prof. Alexander Wokaun, Paul Scherrer Institut, ETH Zürich

Das Europäische Klimaforum (ECF) ist eine Plattform für gemeinsame Studien, Dialoge und den Austausch zwischen Wissenschaftlern, Unternehmen und Verbänden. Der gemeinnützige Verein wurde 2001 von sieben führenden wissenschaftlichen Institutionen im Bereich der Klima- und Energieforschung sowie von Unternehmen und Verbänden gegründet. Der Artikel spiegelt keinen Konsens innerhalb des ECF wider. Siehe: www.european-climate-forum.net

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