Kampf gegen den Terrorismus: Quo vadis Völkerrecht?

Max-Planck-Institut für Völkerrecht macht Ergebnisse der Fachtagung Terrorism as a Challenge for National and International Law im Internet verfügbar

7. Juli 2003

Vor dem Hintergrund der Anschläge des 11. September 2001 auf New York und Washington und der Reaktion der USA und Großbritannien mit dem Einsatz von Waffengewalt hat ein internationales Symposium Terrorism as a Challenge for National and International Law am 24. und 25. Januar 2003 am Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg stattgefunden. Analysiert wurden neuere Entwicklungen im nationalen und internationalen Recht zur Bekämpfung des (internationalen) Terrorismus. Die Tagung ergab neue Erkenntnisse unter anderem über die Ausweitung des Terrorismusbegriffs, über Konvergenzen bei den innerstaatlichen und transnationalen Mechanismen und die Beachtung der internationalen Menschenrechtsstandards bei der Terrorismusbekämpfung, über das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen sowie die Auswirkungen des Afghanistan-Krieges auf die Rolle des Sicherheitsrats und der Vereinten Nationen bei der Legitimation des Einsatzes von Waffengewalt, und schließlich über die Anwendung des humanitären Kriegsvölkerrechts in atypischen Kriegen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus.

Die mehr als 100 teilnehmenden Wissenschaftler und Experten analysierten die Rechtsentwicklung vor und nach dem 11. September 2001 in ausgewählten Ländern (Kanada, Deutschland, Europäische Union, Großbritannien, Israel, Italien, Islamische Konventionen zur Terrorismusbekämpfung, Russland, Spanien, Türkei, USA) und machten auf besondere Problemfelder der nationalen Terrorismusbekämpfung und mögliche Veränderungen in der Gesetzgebung nach dem 11. September 2001 aufmerksam. Zudem untersuchten und bewerteten die Forscher die völkerrechtlichen Mechanismen zur internationalen Bekämpfung des Terrorismus.

Nationales und internationales Straf- und Polizeirecht

Gegenwärtig ist sowohl im nationalen wie im internationalen Recht die Tendenz festzustellen, den Terrorismusbegriff merklich auszuweiten. Neuere Definitionen setzen nicht mehr notwendig Gewalt gegen Personen voraus, um von Terrorismus zu sprechen, sondern schließen Gewalt gegen öffentliche Infrastruktureinrichtungen und teilweise sogar privates Eigentum ein. Zunehmend wird zudem auf eine politische oder ideologische Motivation bei den Tätern verzichtet. Gleichzeitig deutet sich nach jahrzehntelanger Blockade auf internationaler Ebene die Möglichkeit an, sich auf gemeinsame Definitionen einigen zu können. Belege dafür sind die Definition in der International Convention on Suppression of the Financing of Terrorism aus dem Jahr 1999 (Art. 2 Abs. 1 Buchst. b) sowie die Definition im Entwurf für eine Comprehensive Convention against International Terrorism (Art. 2). Einigkeit bestand in der Diskussion, es sei höchst bedauerlich, dass sich nun auch die westlichen Staaten dafür ausgesprochen haben, Maßnahmen von regulären Streitkräften in Bürgerkriegssituationen grundsätzlich vom Anwendungsbereich internationaler Anti-Terrorismuskonventionen auszunehmen (Art. 18 Abs. 3 des Entwurfs für eine Comprehensive Convention und Art. 19 Abs. 2 der Convention for the Suppression of Terrorist Bombing aus dem Jahr 1999). Diese Ausnahme hat zudem Eingang in die Präambel des Rahmenbeschlusses der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 gefunden.

Die Länderberichte sowie die auf internationaler Ebene getroffenen Maßnahmen zeigen, dass man sich seit dem 11. September 2001 verstärkt mit den finanziellen Ressourcen von terroristischen Vereinigungen beschäftigt. Eine finanzielle Unterstützung wird als Beihilfe zum Terrorismus gewertet, eine Überwachung der Finanzströme erfolgt verstärkt in internationaler Zusammenarbeit. Bei der Ausübung von Strafgewalt ist eine Ausdehnung des Universalitätsprinzips zu beobachten, d.h. eine Erweiterung der Zuständigkeit nationaler Gerichte für Taten im Ausland, die von eigenen oder auch von fremden Staatsangehörigen begangen werden. Als rechtsstaatlich bedenklich wird hierbei die in einigen Ländern zu beobachtende Entwicklung einer besonderen Anti-Terror-Gerichtsbarkeit angesehen.

Die Einschränkung wichtiger Grundrechte (Recht auf Privatleben, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit) durch eine Reihe von Einzelmaßnahmen in der nationalen Gesetzgebung nach dem 11. September 2001 wurde kritisch analysiert. Dazu gehören unter anderem Abhöranordnungen nach dem Foreign Intelligence Surveillance Act in den USA und die Möglichkeiten zur Weiterleitung von Daten nach dem Anti-Terrorism Crime and Security Act im Vereinigten Königreich. Ein Vergleich der Schutzstandards in der Europäischen Menschenrechtskonvention und im amerikanischen Verfassungsrecht ergab jedoch, dass in Europa stärkere Beschränkungen der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit möglich sind als in den USA. Hierzu wurde vorgeschlagen, dem amerikanischen Ansatz folgend, möglicherweise unvermeidlichen, stärkeren Eingriffen in das Privatleben durch Überwachungsmaßnahmen eine größere Freiheit bei der Wahrnehmung der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit entgegenzustellen, um so einen Ausgleich für die Grundrechtsbeschränkungen zu schaffen und eine Kontrolle der getroffenen Maßnahmen durch die Öffentlichkeit zu gewährleisten.

Einsatz von Gewalt

Die Diskussion der völkerrechtlichen Entwicklung bewegte sich zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite gibt es den Normbestand des internationalen Sicherheitsrechts klassischer Prägung, dessen Gegenstand die zwischenstaatliche Gewaltanwendung ist. Auf der anderen Seite lassen sich Elemente eines internationalen Polizeirechts ausmachen, dessen Gegenstand die notfalls unter Einsatz von Waffengewalt stattfindende Verfolgung von schweren Straftaten ist. Neben der Repression umfasst dieses vor allem auch präventive Maßnahmen, mit denen vermieden werden soll, dass der Einsatz bewaffneter Gewalt überhaupt erforderlich wird. Die zur Terrorismusbekämpfung angenommenen internationalen Konventionen sind Ausdruck eines Wertekonsenses, dessen Anfänge schon vor dem 11. September 2001 liegen, der sich seither aber noch deutlicher herausbildet.

Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Anti-Terrorismus-Gesetzgebung durch die verbindliche Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Abweichend von dem bislang üblichen Verfahren der Rechtssetzung durch einen völkerrechtlichen Vertrag (dieser setzt die Zustimmung aller beteiligten Staaten für den Eintritt der rechtlichen Bindung voraus) nutzte der Sicherheitsrat in dieser Resolution zum ersten Mal seine Befugnisse nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen, um einseitig für die Mitgliedstaaten verbindliches Recht zu setzen. Die mit solchen Maßnahmen verbundenen Wirkungen in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten schaffen erhebliche Rechtsschutzprobleme, weil bislang im Rahmen der Vereinten Nationen ein Individualrechtsschutz nur unzureichend gewährleistet ist, die Gerichte der Mitgliedstaaten in solchen Fällen aber in ihren Rechtsschutzmöglichkeiten beschränkt sind.

Recht auf Selbstverteidigung

Mit Blick auf den Krieg in Afghanistan wurden Inhalt und Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen einer kritischen Analyse unterzogen. Hier lässt sich ein erheblicher Wandel feststellen, der vor allem dadurch bedingt ist, daß die bisherige Grundannahme, Selbstverteidigung finde nur gegen die unmittelbar durch einen anderen Staat autorisierten Angriffe statt, revidiert werden muß. Damit verbinden sich eine Reihe von Folgewirkungen: Zum ersten bedarf es neuer Kriterien für die Schwere eines Angriffs, um eine sinnvolle Begrenzung von Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen nicht-staatliche Angriffe zu erreichen. Zum zweiten sind gesonderte Kriterien für die Zurechnung terroristischer Angriffe zu einem bestimmten Staat erforderlich, etwa weil dieser die Vorbereitungen duldet oder gar aktiv fördert. Denn erst wenn ein Angriff einem Staat zugerechnet werden kann, ist eine militärische Maßnahme gegen diesen Staat als Selbstverteidigung gemäß Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen gerechtfertigt. Und zum dritten kommt es bei Selbstverteidigungsmaßnahmen in der Folge terroristischer Angriffe besonders darauf an, die Kriterien der Verhältnismäßigkeit der Reaktion und des Bevorstehens weiterer Angriffe handhabbar zu machen.

Ähnlich umstritten war die Bedeutung dieser Entwicklungen für die Effektivität und Legitimität des Systems der Vereinten Nationen. Hier bestand eine starke Tendenz, die dort vorgesehen Kollektivmechanismen vorrangig einzusetzen, um den Einsatz militärischer Gewalt in der Folge terroristischer Angriffe zu legitimieren. Es wurde die Gefahr gesehen, dass der selektive Einsatz des eigentlich verbindlichen Kollektivmechanismus der UN, wenn er den eigenen Interessen nützt, und seine Ignorierung, wenn dies nicht der Fall ist, die Legitimität des Systems insgesamt in Frage stellt.

Erörtert wurde schließlich auch die Frage der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts in militärischen Auseinandersetzungen mit Terroristen. Will man das humanitäre Kriegsvölkerrecht auch auf diese Situation anwenden, so gilt es, folgende Voraussetzungen zu beachten: Die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kriegsvölkerrechts müssen gegeben sein, d.h. die militärischen Auseinandersetzungen müssen die Schwelle des bewaffneten Konflikts überschreiten und die terroristischen Angriffe müssen einem Staat zugerechnet werden können, der außerdem dem Einsatz von Waffengewalt nicht zustimmt. Durch diese Anwendung des Kriegsvölkerrechts werden Terroristen nicht-regulären Streitkräften gleichgestellt , weil sie keinen Kombattantenstatus haben und aus diesem Grund keine rechtmäßigen militärischen Angriffe führen können. Andererseits können sie Ziel militärischer Angriffe sein, weil die Bestimmungen zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht in vollem Umfang auf sie anwendbar sind. Der Vorteil einer Erstreckung des humanitären Kriegsvölkerrechts auf bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristen wird darin gesehen, dass konkrete Regelungen über den Einsatz bewaffneter Gewalt Anwendung finden und die Rechtmäßigkeit einzelner militärischer Maßnahmen nicht allein anhand des sehr vagen Verhältnismäßigkeitsprinzips beurteilt werden muss.

Das gesamte Material dieser Konferenz steht jetzt Online im Internet zur Verfügung. Die Wissenschaftler erhoffen sich davon eine schnelle und intensive Rezeption der Beiträge. Diese Website wird eingestellt, sobald die Tagungsbeiträge im Springer-Verlag erschienen sind. Auf der Website wurde ein Diskussionsforum eingerichtet, auf dem Interessierte einzelne Beiträge oder die Ergebnisse des Symposiums insgesamt kommentieren können.

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