Mütterliche Fürsorge beeinflusst die Chemie im Gehirn bis ins Erwachsenenalter
Die Wirkung des Botenstoffs Neuropeptid Y hängt vom Verhalten der Mutter während der Säuglingsphase ab
Neuropeptid Y (NPY) ist das häufigste Peptidhormon des zentralen Nervensystems. Es ist unter anderem an der Stressbewältigung, der Entwicklung von Angstverhalten und an der Regulation des Körpergewichts beteiligt. Eine Forschergruppe unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg hat nun an Mäusen gezeigt, dass intensive mütterliche Fürsorge im Säuglingsalter die Wirkung von NPY im Gehirn fördert. Als Folge davon sind die Jungtiere auch im Erwachsenenalter weniger ängstlich und bringen ein höheres Gewicht auf die Waage als ihre Artgenossen, die weniger Zuwendung bekommen haben. Der Effekt kommt dadurch zustande, dass mütterliche Fürsorge die Bildung bestimmter NPY-Rezeptoren im Vorderhirn anregt.
In den komplizierten Regelkreisen des Gehirns nimmt das Neuropeptid Y (NPY) gleich mehrere Schlüsselpositionen ein. Der Botenstoff beeinflusst nicht nur das Körpergewicht, sondern steuert unter anderem auch die Entwicklung von Angst und Stressreaktionen. So spielt NPY etwa bei einer Reihe von psychischen Erkrankungen wie posttraumatischen Störungen oder Angststörungen eine wichtige Rolle. Seine Wirkung im Gehirn entfaltet NPY, indem es an verschiedene Andockstellen auf den Nervenzellen – die NPY-Rezeptoren – bindet. Dadurch setzt das Hormon Signalkaskaden in Gang, die unterschiedliche Körperfunktionen steuern.
In einer Studie an Mäusen hat Rolf Sprengel vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung nun gemeinsam mit italienischen Kollegen gezeigt, dass die Wirkung von NPY davon abhängt, wie viel Zuwendung die Jungtiere in den ersten drei Wochen nach der Geburt erfahren. So waren Mäuse, die von ihren Müttern wenig Fürsorge erhalten hatten, auch als Erwachsene ängstlicher als ihre Artgenossen, die in der Jugend intensiv umsorgt worden waren. Auch blieben sie zeitlebens schlanker. Wie die Forscher herausfanden, hat das mütterliche Verhalten Einfluss auf die Bildung von NPY1-Rezeptoren im limbischen System des Gehirns – des Areals, das für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist.
„Wir konnten zeigen, dass die Expression des NPY1-Rezeptors im limbischen System der Jungtiere durch gute mütterliche Fürsorge erhöht wird“, erklärt Rolf Sprengel. „Langfristig wird dadurch deren gesunde Entwicklung sichergestellt.“ Die positiven Auswirkungen mütterlicher Zuwendung zeigten sich daran, dass die Jungtiere schneller an Gewicht zulegten und als Erwachsene in Verhaltensexperimenten mutiger waren als Nager, die in den ersten Wochen nach der Geburt nur wenig Nestwärme bekommen hatten.
Für ihre Studie hatten die Forscher neugeborene Mäuse, bei denen sie die NPY1-Rezeptoren selektiv ausgeschaltet hatten, von Müttern aufziehen lassen, die sich in ihrem Verhalten unterschieden: Die eine Gruppe gehörte einem Mäusestamm an, der sich vorbildlich um den Nachwuchs kümmerte. Diese Mäuseweibchen verbrachten viel Zeit mit ihren Jungen, säugten sie häufig und ließen ihnen neben ausgiebiger Fellpflege auch intensiven Körperkontakt angedeihen. Bei Jungtieren, die unter solchen Bedingungen aufwuchsen, bildeten sich im limbischen System des Gehirns neue NPY1-Rezeptoren. Die zweite Gruppe von Weibchen war so programmiert, dass sie sich weit weniger um die Nachkommen sorgten. In diesem Fall nahm bei den Jungtieren die Zahl der NPY1-Rezeptoren nicht zu.
Die Befunde der Neurowissenschaftler tragen zu einem besseren Verständnis davon bei, wie sich Erfahrungen früh im Leben eines Organismus auf dessen späteres Leben auswirken können. „Die Ergebnisse zeigen, wie sich mütterliche Zuwendung nachhaltig auf die Chemie des limbischen Systems auswirkt“, sagt Rolf Sprengel. Auf diese Weise kann das Verhalten der Mutter die Emotionen und die körperliche Konstitution bis ins Erwachsenenalter beeinflussen.
EM/HR