Chromosomen-Zentromere werden epigenetisch vererbt
Histon-Protein CenH3 allein kann die Bildung von Zentromeren auslösen und diese von Generation zu Generation weitergeben
Zentromere sind spezialisierte Regionen des Genoms, die unter dem Mikroskop besonders deutlich in X-förmigen Chromosomen als Einschnürung zu erkennen sind. An ihnen setzt während der Zellteilung das Zellskelett an, das die Chromosomen auf die beiden Tochterzellen verteilt. Der Ort des Zentromers wird in den meisten Organismen nicht durch die DNA-Sequenz festgelegt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg konnten nun zeigen, das Position, Funktion und Vererbung des Zentromers durch ein DNA-Verpackungsprotein, das Histon CenH3, bestimmt wird. Diese Entdeckung könnte helfen, künstliche menschliche Chromosomen für Gentherapien in der Medizin zu entwickeln.
Zentromere dienen als Plattform für den Aufbau eines Proteinkomplexes, dem so genannten Kinetochor. Dieser dient während der Zellteilung als Ansatzstelle für das Zellskeletts und ermöglicht, die Chromosomen zu den gegenüberliegenden Zellpolen zu ziehen. In den meisten Organismen wird der Ort des Zentromers nicht durch die Abfolge der Erbgutbausteine, also die DNA-Sequenz, sondern epigenetisch festgelegt. Ausnahme ist lediglich die einzellige Bäckerhefe, in der eine spezifische DNA-Sequenz den Ort des Zentromers „codiert“.
Ein besonders vielversprechender Kandidat für eine solche epigenetische Zentromer-Markierung ist eine Variante des Histon H3 namens CenH3. Histon-Proteine binden die DNA weitgehend unabhängig von der zugrunde liegenden Sequenz und helfen das lange, fadenförmige DNA-Molekül zu verpacken. CenH3 kommt in unterschiedlichen Organismen ausschließlich in DNA-Regionen rund um das Zentromer vor. Die Forschungsgruppe von Patrick Heun des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und Kollegen des Helmholtz Zentrum München haben nun herausgefunden, dass CenH3 alleine ausreicht, um die Bildung eines Zentromers auszulösen.
Für ihre Experimente statteten die Forscher das CenH3-Histon mit einer künstlich angehängten DNA-Bindedomäne aus, so dass das Protein an eine DNA-Region binden konnte, an der sich normalerweise kein Zentromer bildet. Nun entstand dort jedoch ein funktionstüchtiger Kinetochor, der während der Zellteilung mit dem Zellskelett interagierte. Den Forschern gelang es auf diese Weise, künstliche Minichromosomen während der Zellteilung auf die beiden Tochterzellen zu verteilen. Das Protein kann dabei selbständig weitere CenH3-Proteine rekrutieren. „Dadurch ist sichergestellt, dass nach jeder Zellteilung genügend CenH3 am Zentromer vorhanden ist. Andernfalls würden die vorhandenen CenH3-Proteine nach jeder Zellteilung immer um die Hälfte weniger werden. So kann die Zentromer-Position epigenetisch von Generation zu Generation weitergegeben werden“, sagt Heun.
Der Schritt von einem DNA-identifizierten Zentromer in der Bäckerhefe, bei dem die Position „in Stein gemeißelt ist“, hin zu einer Protein-definierten und damit leichter veränderbaren Zentromer-Position spielt möglicherweise auch in der Evolution eine Rolle. Trotz ihrer Größe von bis zu mehreren Millionen DNA-Bausteinen können Zentromere an andere Stellen „springen“, ohne das sich dabei die DNA bewegt. So tritt beim Menschen in seltenen Fällen ein neues Zentromer auf, wie es auch bei nahe verwandten Affenarten vorkommt. Solche Neo-Zentromere könnten also die Ausbildung neuer Arten zur Folge haben.
Auch für die Medizin könnten die Erkenntnisse über die zentrale Rolle von CenH3 für die Zentromer-Identität wichtig sein. Als eine Alternative zur Gentherapie mit Viren möchten Wissenschaftler nämlich künstliche menschliche Chromosomen entwickeln. „Diese benötigen jedoch wie ihre natürlichen Gegenstücke ein Zentromer für die Zellteilung. Bislang ist es jedoch nicht gelungen, die Entwicklung eines Zentromers effizient zu steuern “, sagt Heun.
HR