Origami auf der Samenkapsel

Die Deckel über den Samenbehältern einer Mittagsblume falten sich auf, wenn eine Wabenstruktur auf ihrer Innenseite aufquillt

9. Juni 2011

Manche Pflanzen verbreiten ihre Samen geradezu kunstvoll: Die Samenkapseln der Mittagsblume Delosperma nakurense etwa falten Deckel über den Samenkammern in der Art eines beweglichen Origamis auf, sobald sie von Regen benetzt werden. Das haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und der Technischen Universität Dresden in einer genauen Untersuchung des Öffnungsmechanismus herausgefunden. Die Deckel klappen demnach auf, weil Zellen auf ihrer Innenseite Wasser aufnehmen und ihre Struktur ändern. So stellt die Pflanze, die in sehr trockenen Gegenden wächst, sicher, dass ihre Saat gute Chancen hat aufzugehen. Die Forscher möchten nach diesem Vorbild nun Materialien entwickeln, die sich bewegen, wenn sie feucht werden oder wenn sich ihre Temperatur ändert

Quellende Zellulose öffnet die Samenkapsel

Wenn der Deckel aufklappt, verformt er sich vor allem dort, wo er an der Kapsel ansetzt. „Dieser Abschnitt wirkt wie ein Gelenk“, sagt Matthew Harrington. Wie sich der Verschluss öffnet, offenbarte den Forschern aber erst ein sehr genauer Blick auf die Struktur des quellbaren Gewebes. Dieses besteht nämlich aus oben offenen, mehr oder weniger sechseckigen Zellen, die eine Wabenstruktur bilden.

Der Öffnungsmechanismus funktioniert aber nur, weil die Zellen aus zwei verschiedenen Materialien aufgebaut sind, wie die Forscher in spektroskopischen Untersuchungen festgestellt haben: Die Zellwände bestehen im Wesentlichen aus Zellulose und Lignin, einem Hauptbestandteil von Holz. Lignin nimmt wenig Wasser auf. Im Zellinneren befindet sich dagegen Zellulose ohne Lignin, die viel Wasser aufsaugt und dabei stark quillt. Damit ist die Maschine komplett, die quasi mit Wasserkraft ein Origami faltet: „Wenn die Zellulose sich ausdehnt, weitet sie die sechseckigen Zellen vor allem in Längsrichtung des Deckels“, erklärt Harrington. So dehnt sich die Wabenstruktur in dieser Richtung aus und drückt dabei den Deckel auf. Umgekehrt schließt sich die Klappe wieder, wenn die Zellulose trocknet und die Wabenstruktur sich zusammenzieht.

„Der Mechanismus ist für technische Anwendungen interessant, weil die Energie für die gerichtete Bewegung bereits im Material gespeichert ist“, sagt Peter Fratzl. Im Rahmen des von der DFG geförderten Schwerpunktprogramms 1420 “Biomimetic Materials Research: Functionality by Hierarchical Structuring of Materials” möchten die Wissenschaftler dieses Konzept nun in eine Technik übertragen, die etwa in der Biomedizin oder der Architektur Anwendung finden könnte. Das Prinzip lässt sich zudem auf Materialien übertragen, die sich unterschiedlich stark ausdehnen oder zusammenziehen, wenn sich die Temperatur ändert. Eine Markise entfaltet sich dann irgendwann vielleicht von selbst über der Terrasse, wenn die Sonne ungemütlich heiß brennt.

PH

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