Ein Ring, sie alle zu binden
Forschende entschlüsseln, wie ringförmige Formin-Proteine das Wachstum von Aktinfilamenten fördern
Die Proteine der Formin-Familie sind zentrale Partner bei der Bildung von Aktin-Filamenten: An deren Ende rekrutieren die Formine neue Aktin-Untereinheiten und bleiben mit dem wachsenden Ende verbunden, indem sie mit Ihm voranschreiten. Jetzt haben Forschende um Stefan Raunser und Peter Bieling am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund erstmals auf molekularer Ebene sichtbar gemacht, wie Formine an die Enden von Aktinfilamenten binden. Dadurch konnten sie aufdecken, wie Formine das Anhängen neuer Aktin-Untereinheiten an ein wachsendes Filament steuern. Außerdem klärten sie die Gründe für die unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf, mit denen die verschiedenen Formine agieren. Die bahnbrechende Arbeit könnte erklären, warum bestimmte Mutationen in Forminen zu neurologischen, immunologischen und kardiovaskulären Erkrankungen führen.
Aktin steuert Form und Bewegung all unserer Zellen. Das Protein bildet lange Stränge, sogenannte Filamenten, aus einer Abfolge einzelner Aktinmoleküle. In unseren Zellen gibt es bis zu 15 verschiedene Formine, die das Wachstum der Aktinfilamente mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und zu unterschiedlichen Zwecken vorantreiben. Der genaue Wirkmechanismus der Formine und die Grundlage für ihre unterschiedlichen Geschwindigkeiten waren bisher jedoch unbekannt. „Unsere Entdeckung ermöglicht es uns, biochemische Studien über Formine durch eine neue Brille zu sehen und so viele offene Fragen zu beantworten", sagt Peter Bieling.
Frühere Strukturen aus der Kristallstrukturanalyse zeigen, dass Formine aus zwei identischen Teilen bestehen, die das Aktinfilament ringförmig umschließen könnten und sich beim Wachstum entlang des Filaments bewegen. In den bisher vorgeschlagenen spekulativen Modellen interagieren Formine über ihre vier Bindungsdomänen mit Aktin, während langsames und sich schnell bewegendes Formin unterschiedliche Formen am Filament annehmen würde. „In diesen Studien fehlten jedoch hochauflösende Strukturen von Forminen, die an ihren Wirkungsort am Ende der Aktinfilamente gebunden sind", sagt Wout Oosterheert, Postdoc in der Gruppe von Stefan Raunser am Max-Planck-Institut in Dortmund und einer der beiden Erstautoren.
Formine sind hochdynamische Proteine, die Filamente schnell zusammensetzen. Daher war es bis jetzt sehr schwierig, genügend Filamentenden für eine detaillierte Strukturbestimmung zu erhalten. Die Forschenden analysierten nicht nur ein, sondern drei verschiedene Formine aus Pilzen, Mäusen und Menschen, die alle Aktinfilamente mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit verlängern. „Eines der von uns untersuchten Formine ist sehr schnell und kann als der Ferrari unter den Forminen bezeichnet werden, während sich ein anderes Formin eher wie ein Traktor verhält", erklärt Stefan Raunser. Indem die Forschenden eine Vielzahl von Bedingungen testeten und optimierten, konnten Sie eine hohe Anzahl Formin-gebundener Filamente erhalten. „Wir haben auf den Erfahrungen aufgebaut, die wir in unseren früheren Studien gesammelt haben. Die iterative Optimierung sowohl der Biochemie als auch der Kryo-EM-Probenvorbereitung war der Schlüssel zur Bestimmung dieser Strukturen", sagt Micaela Boiero Sanders, Erstautorin der Studie.
Neues Paradigma
Die neuen Strukturen mit einer Auflösung von etwa 3,5 Ångström zeigen, dass Formine das Aktin wie ein asymmetrischer Ring umschließen, wobei nur drei Bindungsdomänen gleichzeitig mit dem Aktin verbunden sind: Eine Hälfte des Rings ist stabil gebunden, während die andere Hälfte locker mit dem Filament verbunden ist und somit die Möglichkeit hat, eine neue Untereinheit aufzunehmen. „Die Analyse der Strukturen gab uns einen echten 'Heureka'-Moment in Bezug auf den Mechanismus", sagen Oosterheert und Boiero Sanders. Wenn die neue Aktin-Untereinheit eintrifft, destabilisiert ihre Aufnahme in das Filament die Formin-Anordnung und erfordert, dass der ehemals stabile Halbring sich löst und auf die neue Untereinheit aufsteigt , während der vormals lockere Halbring stabilisiert wird. Dank dieses Mechanismus bleiben die Formine über weite Strecken mit dem wachsenden Filamentende verbunden. Im Gegensatz zu früheren Hypothesen sind die Strukturen aller drei untersuchten Formine sehr ähnlich.
Durch die Einführung von Mutationen konnten die Forschenden auch die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen unterschiedlichen Forminen erklären: Wenn der Forminring fester an das Aktin-Filamentende gebunden ist, wird es für den Ring schwieriger loszulassen und eine neue Aktin-Untereinheit aufzunehmen. Infolgedessen wird das Filamentwachstum langsamer. „Wir verstehen jetzt wie ein Formin, welches sich wie ein Traktor verhält, schneller gemacht werden kann - nämlich indem man ihm einige Ferrari-artige Eigenschaften verleiht", sagt Peter Bieling. Das Max-Planck-Team geht davon aus, dass seine Ergebnisse für die vielen Forschenden auf der ganzen Welt, die das Aktin-Zytoskelett untersuchen, von Nutzen sein werden. „Unsere neuen Erkenntnisse eröffnen eine Vielzahl von Möglichkeiten die spezifischen Rollen der fünfzehn menschlichen Formine auf zellulärer Ebene aufzuklären. Dies könnte unser Verständnis dafür verbessern, wie Mutationen in Formin-Genen zu schweren Krankheiten führen", schlussfolgert Raunser.