Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Biochemie

Funke des Lebens

Autoren
Tachibana, Kikuë; Bäßler, Tamara
Abteilungen
Forschungsgruppe Totipotenz
Zusammenfassung
Die Befruchtung einer Eizelle durch ein Spermium ist der Beginn neuen Lebens. Dabei werden die Erbinformationen beider Elternteile neu kombiniert. Die neuen Erbinformationen liegen zunächst inaktiv im Zellkern der befruchteten Eizelle vor. Die erste Zellteilung wird noch durch die Genprodukte der mütterlichen DNA veranlasst, doch bereits ab der zweiten muss auf die Genprodukte aller neu kombinierten Erbinformationen zugegriffen werden können. Genau diesen Moment habe ich mit meinem Team untersucht und dabei einen „Funken des Lebens“ entdeckt, einen genetischen Faktor, der die DNA „aufweckt“.

Pionierfaktoren schaffen neues Leben

Der Beginn jeden neuen Lebens ist ein faszinierender Vorgang. Eine weibliche Eizelle wird durch die Verschmelzung mit einer männlichen Samenzelle befruchtet. Aus dieser Kombination, der ersten Zelle des sich entwickelnden Embryos, entsteht ein gesamtes, eigenständiges Lebewesen. Doch welche genetischen Faktoren sind notwendig und welche Prozesse finden in einer befruchteten Eizelle statt, damit sie überhaupt das Potenzial hat, einen neuen, individuellen Organismus hervorzubringen? Dieser elementaren Frage des Lebens gehe ich gemeinsam mit meinem Forschungsteam am Max-Planck-Institut für Biochemie nach.

Um Erbinformation zu aktivieren, binden spezifische Proteine an definierte Bereiche innerhalb der DNA. Bislang aber wurde nicht herausgefunden, welche dieser Faktoren in befruchteten Eizellen eine Rolle spielen. Um diese für den Beginn eines Lebens bedeutenden Faktoren ausfindig zu machen, haben wir unseren Forschungsansatz breit aufgestellt: Die vier Erstautorinnen und Erstautoren unserer Studie sind Expertinnen und Experten in den Bereichen Embryologie, Biochemie, Bioinformatik, Mikroskopie und Genomik (Abb. 1; [1]). Ohne dieses breite Spektrum an Fähigkeiten wäre uns die Entdeckung eines „Funken des Lebens“ vermutlich nicht gelungen, denn nur durch die Kombination dieser Disziplinen waren wir in der Lage, entscheidende Hinweise im Genom zu finden, um diesen Faktor ausfindig zu machen und seine Wirkmechanismen zu untersuchen.

Springende Gene

Genetische Informationen sind in einem Zellkern nicht einfach frei zugänglich. Sie liegen in Form eines langen DNA-Fadens vor, der wie eine Perlenkette um kleine Verpackungsproteine, die Histone, gewickelt ist. Pionierfaktoren haben die Fähigkeit, an solche dicht gepackte DNA zu binden und diese zu lockern. Pionierfaktoren gehören zu der großen Familie der sogenannten Transkriptionsfaktoren, die die Übersetzung des genetischen Codes in die Baupläne der Proteinherstellung initiieren und binden an ein bestimmtes Sequenzmuster der DNA.

Wir haben im Genom nach einem Sequenzmuster gesucht, das nach der Befruchtung der Eizelle die embryonale Entwicklung auslösen könnte. Wir haben gleich mehrere solcher Sequenzmuster gefunden, die gemeinsam ein sogenanntes „Supermotiv“ bilden. Interessanterweise ähnelt dieses Supermotiv sogenannten „springenden Genen“, die sich im Laufe der Evolution im Genom von einer Position zu einer anderen bewegen können, also sozusagen hin und her springen. Obwohl diese Sprünge sehr selten sind, haben sie über viele Generationen hinweg zu einer Verbreitung des Supermotivs im Genom geführt. Dort liegen sie heute oft in der Nähe von Genen, die sie „anschalten“ können. Interessanterweise befindet sich das von uns entdeckte Supermotiv besonders häufig in der Nähe von Genen, die für die Embryonalentwicklung notwendig sind. Unsere Vermutung ist daher, dass dieses Supermotiv ein „Schalter“ ist, der die embryonale Entwicklung auslösen kann.

Der Pionierfaktor Nr5a2

Doch wie wird dieser Schalter nach der Befruchtung eingeschaltet? Wir haben entdeckt, dass das Supermotiv dieser springenden Gene unter anderem eine Bindungsstelle für den Transkriptionsfaktor Nr5a2 enthält. Dieser Faktor war bekannt dafür, Stammzellen in späteren Stadien der Entwicklung zu regulieren, aber ob er auch eine Funktion ganz am Anfang des Lebens hat, war noch nicht bekannt.

Um diese Frage zu beantworten, haben wir untersucht, ob dieser Faktor für die Aktivierung embryonaler Gene notwendig ist, also dazu beiträgt, das Genom der befruchteten Eizelle zu „erwecken“. Unsere Experimente haben gezeigt, dass ein Großteil der Gene, die für die Embryonalentwicklung notwendig sind, tatsächlich nicht angeschaltet werden können, wenn der Faktor blockiert wird. Durch weitere Untersuchungen konnten wir auch zeigen, wie der Faktor Nr5a2 embryonale Gene aktiviert.

Normalerweise wird DNA von anderen Proteinen derart verpackt, dass die Erbinformation in der DNA schwer zugänglich ist. Nr5a2 ist jedoch in der Lage, die DNA von diesen sogenannten Histon-Proteinen zu befreien, sie also „auszupacken“. Da die DNA dadurch auch für andere Proteine zugänglich wird, die die Erbinformation ablesen können, handelt es sich bei Nr5a2 um einen sogenannten Pionierfaktor, den wir seither auch als „Funken des Lebens“ bezeichnen (Abb. 2). Durch das Binden dieses Funken des Lebens an die Supermotive wird das Genom im Zweizellstadium aktiviert, und die Entwicklung eines neuen Lebewesens kann beginnen.

Unsere Entdeckung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem umfänglichen Verständnis darüber, was am Beginn eines Lebens geschieht. Es ist aber auch klar, dass es noch andere Faktoren geben muss, die für die Aktivierung des Erbgutes in einer befruchteten Eizelle notwendig sind. Nach diesen Faktoren werden wir weiter forschen, um den Beginn neuen Lebens vollständig verstehen zu können.

Literaturhinweise

Gassler, J.; Kobayashi, W.; Gáspár, I.; Ruangroengkulrith, S.; Mohanan, A.; Gomez Hernandez, L.; Kravchenko, P.; Kümmecke, M.; Lalic, A.; Rifel, N.; Ashburn, R.-J.; Zaczek, M.; Vallot, A.; Cuenca Rico, L.; Ladstätter, S.; Tachibana, K.
Zygotic genome activation by the totipotency pioneer factor Nr5a2
Science 378, 1305-1315 (2022)

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