Die Sonne im Visier

Hans-Peter Doerr vom Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung hat am Big Bear Solar Observatory in Kalifornien gearbeitet. Er erklärt, warum das Sonnenteleskop im Wasser steht, erzählt von Anglern, Waffennarren und von alternativen Wegen des Datentransports.

Wie viele Astronomen war auch ich schon als Kind vom Universum fasziniert. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, wo man noch einen dunklen Nachthimmel über sich hat. Der Blick auf die Sterne hat mich daher schon früh in den Bann gezogen. Unsere Sonne ist der einzige Stern, der nah genug ist, dass wir von der Erde aus Details auf seiner Oberfläche erkennen können. Das Goode Solar Telescope am Big Bear Solar Observatory, das vom New Jersey Institute of Technology betrieben wird, war lange Zeit das größte bodengestützte Sonnenteleskop weltweit, bevor es kürzlich vom Daniel K. Inouye Solar Telescope auf Hawaii abgelöst wurde.

Mit einem Spiegeldurchmesser von 1,6 Metern ist das kalifornische Teleskop leistungsfähig genug, um 50 bis 60 Kilometer große Strukturen auf der Sonne aufzulösen. Das Observatorium steht in den San Bernardino Mountains auf zweitausend Metern Höhe. Ungewöhnlich scheint sein Standort am Ende eines Damms, der rund zweihundert Meter weit in einen See – den Big Bear Lake – ragt. Für die Sonnenbeobachtung ist die Lage jedoch ideal, denn das Wasser erwärmt sich weniger stark als die Landoberfläche. Schlechtes „Seeing“ – störende Turbulenzen aufgrund aufsteigender warmer Luft – wird so deutlich vermindert. In der Nähe des Observatoriums gibt es ein Guesthouse mit Selbstverpflegung als Unterkunft für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die gerade dort arbeiten. Zum Einkaufen fahren wir nach Big Bear Lake City, das man mit dem Auto in weniger als fünfzehn Minuten erreicht. Dort gehen wir hin und wieder auch essen. Der Name „Big Bear“ geht übrigens auf die vielen Grizzlybären zurück, die früher in der Umgebung vorkamen.

Der See ist ein beliebtes Naherholungsziel für die Bewohner aus dem Großraum L.A. Während der Coronazeit, als Auslandsreisen nicht möglich waren, war die landschaftlich schöne Gegend ein wahrer Besuchermagnet. Irgendwann musste gar ein Absperrzaun gezogen werden, weil schießwütige Amerikaner auf die Idee gekommen waren, die Tür zum Observatorium für Zielübungen mit dem Luftgewehr ins Visier zu nehmen! Das saubere Wasser und die vielen Fische locken vor allem Angler an den See, man kann aber auch durch Pinienwälder wandern, schwimmen, Boot fahren oder auf dem Campingplatz in Lagerfeuerromantik schwelgen. Im Winter ist die Gegend bei Skifahrern beliebt.

Während unserer mehrwöchigen Kampagnen haben wir für solche Freizeitaktivitäten allerdings nur wenig Sinn. Unter der Leitung von Michiel van Noort entwickeln wir Instrumentierung für die bodengebundene Sonnenbeobachtung. Aufbau und Inbetriebnahme von neuen Geräten halten uns auf Trab, denn es gibt immer etwas, das noch getestet und verbessert werden muss.

Für das Goode Solar Telescope haben wir ein Polarimeter und ein Kamerasystem entwickelt. Das Besondere an unseren Instrumenten ist, dass sie für die Anwendung von computergestützten Bildrekonstruktionsverfahren optimiert sind. Damit lässt sich das theoretische Auflösungsvermögen des Teleskops nahezu vollständig ausnutzen. Für optimale Ergebnisse benötigen wir hunderte bis tausende Einzelbelichtungen in kurzer Abfolge.

Daraus resultieren riesige Datenmengen und ein enormer Bedarf an Rechenleistung für die Rekonstruktion. Unser Kamerasystem liefert bei einer Rate von 360 Belichtungen pro Sekunde ungefähr zehn Terabyte an Rohdaten pro Stunde. Bei mehreren Stunden Datennahme am Tag ist das viel zu viel für eine Übertragung über die vorhandene Internetanbindung. Wir haben daher auf eine Methode zurückgegriffen, die die amerikanischen Kollegen treffend als „Sneakernet“ bezeichneten: Zu Fuß trugen wir stapelweise Festplatten mit den Beobachtungsdaten über das Gelände und brachten sie im Handgepäck wieder zurück nach Deutschland. Glücklicherweise wurden die deutlich übergewichtigen Taschen am Flughafen nicht gewogen, und auch bei der Sicherheitskontrolle hat sich diesmal niemand für unsere Fracht interessiert.

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