Eine entscheidende Prise Zucker
Neuer Mechanismus für den bakteriellen Polysaccharid-Export entdeckt
Bei Gram-negativen Bakterien, zu denen einige der verheerendsten menschlichen Krankheitserreger gehören, kannte man bisher nur zwei Mechanismen für den Export von Polysacchariden. Nun hat ein Marburger Max-Planck-Forscherteam unter der Leitung von Lotte Søgaard-Andersen einen weiteren, bislang unbekannten Mechanismus entdeckt. Die Ergebnisse der Studie ebnen den Weg zu einem besseren Verständnis jener Mechanismen, die für den Schutz, die Fortbewegung und die Wechselwirkungen vieler bakterieller Krankheitserreger verantwortlich sind.
Zucker ist für Bakterien nicht nur ein wichtiger Kohlenstoff- und Energielieferant, die Bakterien selbst produzieren und sezernieren auch eine Vielzahl von so genannten Polysacchariden (Mehrfachzuckern), den am häufigsten vorkommenden Biopolymeren auf der Erde. Diese langen Zuckerketten spielen in freilebenden, kommensalen und pathogenen Bakterien eine wichtige Rolle. Sie sind für den Schutz der Bakterien entscheidend, weil sie die Zellen vor Umweltbelastungen wie Austrocknung, Immuneffekten und Fressfeinden schützen. Darüber hinaus nutzen die Bakterien die adhäsiven und strukturellen Eigenschaften dieser Zucker zur Besiedelung von Oberflächen und der Bildung von Biofilmen. Sie sind entscheidend für die erfolgreiche Anwendung antibakterieller Impfstoffe und somit ein Schlüssel zu Verständnis und Kontrolle sowohl nützlicher als auch pathogener Interaktionen zwischen Mensch, Tier und Pflanze und Mikroben. Nicht zuletzt finden bakterielle Polysaccharide in der Lebensmittel-, Pharma- und Medizinindustrie Anwendung.
Der Export von Polysacchariden ist für die Zelle eine große Herausforderung, da die Moleküle chemisch vielfältig und sehr groß sind. Bei Gram-negativen Bakterien, zu denen einige der verheerendsten menschlichen Krankheitserreger gehören, sind bisher nur zwei Exportmechanismen bekannt: Der eine beruht auf dem OPX-Protein in der äußeren Membran (in den sogenannten Wzx/Wzy- und ABC-Transporter-abhängigen Wegen), der andere auf dem β-Fass-Protein in der äußeren Membran (in den sogenannten Synthase-abhängigen Wegen).
Es gibt jedoch Beispiele für Transportwege, die nicht diesem einfachen Schema zu folgen scheinen: Insbesondere für einigen Wzx/Wzy-Wegen fand man, dass β-Fass-Proteine in der äußeren Membran für den Polysaccharid-Export involviert sind, zum Beispiel bei Vibrio cholerae und Myxococcus xanthus, wobei der genaue Mechanismus unbekannt ist. Andere Studien beschreiben kurze OPX-Proteine, denen der Teil fehlt, der in der äußeren Membran verankert ist. In beiden Fällen ist unklar, wie diese Proteine den Polysaccharid-Export unterstützen könnten.
Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie unter der Leitung von Lotte Søgaard-Andersen fand nun einen völlig neuen Mechanismus, wie Polysaccharide durch die äußere Membran exportiert werden können. Johannes Schwabe, Doktorand und Hauptautor der Studie, und seine Kollegin Dr. María Pérez-Burgos erklären: "Unser Ansatz war es zunächst, den Wzx/Wzy-abhängigen Weg für die Synthese eines sekretierten Polysaccharids namens EPS in Myxococcus xanthus genauer unter die Lupe zu nehmen." Nach derzeitigem Kenntnisstand wird EPS durch ein OPX-Protein, das in der äußeren Membran integriert ist, über die äußere Membran sezerniert. Die Gruppe fand jedoch, dass auch ein β-Fass-Protein in der äußeren Membran namens EpsX für den EPS-Export wichtig ist. "Dann entdeckten wir überraschenderweise ein entsprechendes periplasmatisches kurzes OPX-Protein EpsY, dem der Teil zur Überbrückung der äußeren Membran komplett fehlt. Gemeinsam mit Dr. Timo Glatter stellten wir fest, dass EpsX und EpsY direkt miteinander interagieren."
Aus den Experimenten und den Ergebnissen der computergestützten Strukturbiologie schlossen die Forschenden, dass es sich bei EpsX und EpsY um einen neuartigen Typ von Translokon für den Polysaccharid-Export über die äußere Membran handelt. Dabei fungiert ein β-Fass-Protein explizit als der die äußere Membran überspannende Teil und interagiert in einem zweiteiligen Komplex mit einem vollständig periplasmatischen OPX-Protein.
Nach Ansicht von Lotte Søgaard-Andersen könnte dieses Detailwissen neue Wege zur Bekämpfung pathogener Bakterien eröffnen. Sie erklärt: "Marco Herfurth, ein Doktorand in meiner Forschungsgruppe, hat mit Hilfe der computergestützten Genomik herausgefunden, dass ähnliche zusammengesetzte Systeme in Gram-negativen Bakterien weit verbreitet sind. Dieses neue System erklärt zum Beispiel, wie der Cholera-Erreger Vibrio cholerae sein VPS-Polysaccharid absondert, das für die Biofilmbildung und Virulenz wichtig ist. Unsere Ergebnisse haben also nicht nur weitreichende Auswirkungen auf unser Verständnis des Polysaccharid-Exports in M. xanthus, sondern auch auf unser Verständnis des Exports bei Gram-negativen Bakterien im Allgemeinen."