Enzym aus Bakterien förderte die Evolution der Bockkäfer

Genduplikationen haben die Vielfalt und Spezifität der Enzyme erhöht, mit denen die Käferlarven wichtige Holzbestandteile abbauen

Larven von Bockkäferarten entwickeln sich vorwiegend in holzigem, schwer verdaulichem Gewebe. Die Larven besitzen jedoch spezielle Enzyme, mit denen sie die verschiedenen Bestandteile der pflanzlichen Zellwand abbauen. Forschende am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena haben jetzt eine Gruppe von Verdauungsenzymen näher untersucht, die nur in dieser Käferfamilie vorkommt. Es gelang ihnen, das Ur-Enzym wiederherzustellen, das erstmals in einem gemeinsamen Vorfahren der Bockkäfer vorkam. Horizontaler Gentransfer von Bakterien auf den Käfer sowie alte und neue Genduplikationen ermöglichten die Evolution dieser Familie von Verdauungsenzymen und befähigten Bockkäfer, die Hauptbestandteile der pflanzlichen Zellwand abzubauen, die den größten Teil ihrer Ernährung ausmachen.

Bockkäferlarven spielen eine wichtige Rolle im Waldökosystem, denn sie ernähren sich fast ausschließlich vom Holz abgestorbener Bäume und führen damit Nährstoffe zurück in den Naturkreislauf. Die Larven einiger Bockkäferarten fressen das Holz lebender Bäume bzw. entwickeln sich auch in verarbeiteten Holz und können damit erhebliche Schäden anrichten. Holz entsteht durch Verholzung, d. h. durch den Einbau von Lignin in die Pflanzenzellwand. Seine Hauptbestandteile sind die Polysaccharide Cellulose und Xylan sowie das Polymer Lignin, die für die meisten Organismen schwer abbaubar sind. Wie auch Blattkäfer, Rüsselkäfer und Borkenkäfer besitzen Bockkäfer Enzyme, um pflanzliche Zellwandbestandteile abzubauen. Einige Enzymfamilien sind in diesen Käferfamilien weit verbreitet, GH5_2-Enzyme hat man bislang jedoch nur in Bockkäfern gefunden.

Ein Team von Forschenden vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie und dem Great Lakes Forest Centre in Kanada fragte sich daher, was an diesen Enzymen so besonders ist und warum sie nur in Bockkäfern anzutreffen sind. „Einige unserer früheren Arbeiten deuteten darauf hin, dass sich zumindest in einer Unterfamilie der Bockkäfer, den sogenannten Weberböcken, Mitglieder der GH5_2-Enzym-Familie so entwickelt haben, dass sie nicht nur Zellulose, sondern auch andere Polysaccharide, wie Xylan und Xyloglucan, abbauen können. Wir wollten herausfinden, ob diese katalytischen Fähigkeiten nur auch Weberböcke beschränkt sind oder aber eine Art Markenzeichen aller Bockkäfer ist“, erläutert Studienleiter Yannick Pauchet.

Verdopplung von Genen

Die Forschenden kombinierten stammesgeschichtliche Analysen mit der Generierung groß angelegter funktioneller Daten. Das Resultat der Untersuchungen von insgesamt 113 GH5_2-Enzymen aus 25 Arten ist eine umfassende Analyse der Evolutionsgeschichte dieser Enzyme bei Bockkäfern. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden heraus, dass ihre Funktion, d.h. welche Polysaccharide sie abbauen können, mit ihrer Verwandtschaft zusammenhing. Alle Gene sind auf mindestens vier Genverdopplungen (Genduplikationen) zurückzuführen.

Aus den vergleichenden Untersuchungen konnten die Forschenden die Gensequenz des ursprünglichen Enzyms, das in einem Vorfahren der heutigen Bockkäfer erstmals nach der Übertragung von Bakterien auftauchte, ableiten. Sie exprimierten es erfolgreich in Zellkulturen und testeten seine Aktivität an einer Reihe wichtiger Pflanzenzellwand-Polysaccharide. „Diese Experimente lieferten wichtige Hinweise darauf, dass dieses Ur-Enzym, eine Cellulase, nicht nur Cellulose abbaute, sondern „promiskuitiv“ war, d.h. es katalysierte auch die Umwandlung anderer Substrate, wie Xylan und Glucomannan. Diese Fähigkeit könnte eine Voraussetzung für die Entwicklung der Substratspezifität dieser Enzyme nach der Genduplikation gewesen sein“, sagt Erstautorin Na Ra Shin. Ein überraschendes Ergebnis für die Forschenden war, dass sie auf ein Enzym stießen, das die Transglycosylierung, also die Anbindung einer Zuckergruppe, gegenüber der Hydrolyse, d.h. der Abspaltung mit Wasser, bevorzugt. „Nur ein umfangreiches Aktivitäts-Screening von Enzymen, wie wir es hier durchgeführt haben, konnte die Entdeckung eines Enzyms mit solchen Eigenschaften ermöglichen,“ meint Na Ra Shin. 

Austausch von Genen zwischen Arten

Die Forschung zur Fähigkeit von Insekten, bestimmte Bestandteile der pflanzlichen Nahrung zu verdauen, zeigt, dass horizontaler Gentransfer eine ganz entscheidende Rolle spielte. „Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass der Erwerb neuartiger Stoffwechselkapazitäten durch horizontalen Gentransfer eine wichtige Rolle bei der Evolution vieler Lebewesen gespielt hat“, ist sich Yannick Pauchet sicher.

Der systematische Ansatz, der in dieser Arbeit die Entdeckung von Sequenzen und die funktionelle Charakterisierung einer kompletten Enzym-Familie in einer Reihe von Käferarten kombiniert, ist auch ein wirksamer Weg, um katalytisch interessante Enzyme für potenzielle biotechnologische Anwendungen zu identifizieren. Enzyme, die in der Lage sind, die umgekehrte Reaktion, also Übertragung und Anbindung eines Zuckers bzw. Transglycosylierung statt Spaltung, durchzuführen, sind hier besonders interessant. „Einige Mehrfachzucker haben therapeutisches Anwendungspotential. Ihre Synthese ist jedoch schwierig und erfordert langwierige chemische Verfahren mit geringer Ausbeute. Alternativ können Glycosyltransferasen verwendet werden, die aber sehr instabil sind und teure Spendersubstrate benötigen. Die Verwendung von Enzymen für die Transglycosylierung kann alle diese Nachteile umgehen. Wir haben mit unserer Vorgehensweise eine natürlich vorkommende Transglycosidase entdeckt. Das ist eine kleine Sensation“, freut sich Na Ra Shin.

Für die Forschenden wäre es interessant, die Bedeutung dieser Enzyme für die Biologie der Bockkäfer noch umfassender zu verstehen. Dies ist jedoch nur mit Hilfe von Mutanten möglich. "Bisher war es einfach nicht möglich, bei diesen Insekten Mutanten mit veränderter Enzymaktivität zu erzeugen, da die Käfer sich die meiste Zeit ihres Lebens in holzigem Gewebe verstecken, ihre Entwicklungszeit mehrere Jahre betragen kann und sie im Labor nicht leicht aufzuziehen sind", sagt Yannick Pauchet.

 

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