Forschungsbericht 2021 - Max-Planck-Institut für Astronomie
Wie man einen Quasar wiegt
Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
In der Kosmologie hat die Massenbestimmung von supermassereichen Schwarzen Löchern im jungen Universum eine zentrale Bedeutung, um die zeitliche Entwicklung des Kosmos zu rekonstruieren. Zusammen mit den ehemaligen MPIA-Forschern Jonathan Stern (jetzt Tel Aviv University in Israel) und Joseph Hennawi (jetzt UC Santa Barbara, USA, und Universiteit Leiden,Niederlande) haben wir die Machbarkeit der direkten Massenbestimmung eines Quasars mit Hilfe der Spektroastrometrie nachgewiesen.
Ein Quasar ist ein extrem helles Zentralgebiet einer Galaxie, in dem sich ein supermassereiches Schwarzes Loch befindet (Abbildung 1). Quasare gehören zu den hellsten kosmischen Objekten. Sie sind über große Distanzen nachweisbar und ermöglichen somit die Erforschung des frühen Universums. Ursache der intensiven Strahlung ist Gas in der Nähe des Schwarzen Lochs. Es wird von ihm angezogen, kann jedoch nicht auf direktem Weg hineinstürzen. Stattdessen bildet sich eine Akkretionsscheibe aus, ein Strudel über den die Materie in das Schwarze Loch strömt. Hohe Reibungskräfte heizen das Gas auf einige Hunderttausend bis eine Million Grad auf und lassen es heller strahlen als alle Sterne der Galaxie zusammen.
Seit einigen Jahrzehnten sind weitere Komponenten innerhalb von Quasaren bekannt wie die sogenannte broad emission-line region (Region mit breiten Emissionslinien, BLR). Das ist eine Zone, in der ionisierte Gaswolken mit Geschwindigkeiten von einigen Tausend Kilometern pro Sekunde das Schwarze Loch umkreisen. Die Akkretionsscheibe regt das Gas in der weiter außen befindlichen BLR mit ihrer Strahlung zur Emission an, die sich den Spektren in Form von Spektrallinien äußert. Aufgrund des Dopplereffekts sind die Linien wegen der hohen Umlaufgeschwindigkeiten stark verbreitert und geben so der BLR ihren Namen.
Für unseren Test haben wir den Quasar J2123-0050 beobachtet, dessen Licht aus einer Zeit stammt, als das Universum 2,9 Milliarden Jahre alt war. Wir konzentrierten uns dabei auf die optisch hellste Spektrallinie des Wasserstoffs (Hα). Unter Anwendung der Spektroastrometrie ermittelten wir den Abstand der Strahlungsquelle in der BLR zum Zentrum der Akkretionsscheibe und damit zum Schwarzen Loch. Gleichzeitig lieferte die Hα-Linie die Radialgeschwindigkeit des Wasserstoffgases. Aus diesen Daten lässt sich die Masse des Schwarzen Lochs im Zentrum des Quasars präzise ermitteln, wenn die Gasverteilung räumlich aufgelöst werden kann.
Tatsächlich ist die BLR aber so klein, dass sie selbst mit den besten Großteleskopen nicht auflösbar ist. Allerdings können wir durch die Trennung von spektraler und räumlicher Information sowie durch statistische Modellierung der Messdaten Abstände von sehr viel weniger als einem Bildpixel zum Zentrum der Akkretionsscheibe sichtbar machen. Für J2123-0050 errechneten wir auf diese Weise eine Masse des Schwarzen Lochs von höchstens 1,8 Milliarden Sonnenmassen.
Die exakte Massenbestimmung war allerdings gar nicht das Hauptziel dieser ersten Beobachtungen. Wir wollten lediglich zeigen, dass die Spektroastrometrie prinzipiell bereits mit Hilfe der heute verfügbaren 8-Meter-Teleskope die kinematische Signatur der zentralen Quasarmassen nachweisen kann. Wir haben jetzt bewiesen, dass die Spektroastrometrie eine wertvolle Erweiterung der Werkzeuge zur Bestimmung der Massen von Schwarzen Löchern ist.
Der große Vorteil der Spektroastrometrie
Zu den Alternativen der Vermessung von BLR in nahen Quasaren zählt eine heute weit verbreitete Technik: das reverberation mapping (etwa: Echolotkartierung, RM). Sie basiert darauf, dass man die zeitliche Verzögerung (also die Lichtlaufzeit) zwischen einer Helligkeitsschwankung in der Akkretionsscheibe und dem davon zum Strahlen angeregten umliegenden Gas misst. Daraus kann die mittlere Ausdehnung der BLR abgeschätzt werden. Diese Methode hat jedoch im Vergleich zur Spektroastrometrie entscheidende Nachteile. Die Größe der BLR korreliert mit der Masse des zentralen Schwarzen Lochs, so dass die Signalverzögerung zwischen der Akkretionsscheibe und der BLR für massereiche Schwarze Löcher sehr groß und die notwendigen Messreihen von mehreren Jahren undurchführbar lang werden.
Zudem nehmen die Helligkeitsschwankungen und damit die Messbarkeit tendenziell mit zunehmender Masse des Schwarzen Lochs und steigender Quasarleuchtkraft ab. Die Methode des RM ist daher für leuchtkräftige Quasare nur selten anwendbar und eignet sich nicht für das Ausmessen von Quasaren in großen Entfernungen.
Das RM dient als Grundlage zur Kalibrierung anderer indirekter Methoden, die für nahe Quasare zunächst etabliert und dann auf weiter entfernte, leuchtkräftige Quasare ausgedehnt wurden. Die Güte dieser indirekten Ansätze steht und fällt also mit der Genauigkeit der RM-Methode. Hier hilft die Spektroastrometrie, die Massenbestimmung massereicher Schwarzer Löcher auf eine breitere Basis zu stellen. So scheinen unsere Beobachtungen den Zusammenhang zwischen der Größe der BLR und der Quasarleuchtkraft zu bestätigen. Diese Vermutung muss jedoch durch weitere Messungen weiter untersucht werden.
Der große Vorteil der Spektroastrometrie liegt darin, dass lediglich eine einzige hochempfindliche Beobachtung benötigt wird. So reichte uns eine Beobachtungsreihe mit einer Belichtungszeit von vier Stunden mit dem 8-Meter-Klasse-Teleskop Gemini North auf Hawaii. Für die Zukunft setzen wir große Erwartungen in die nächste Generation von optischen Großteleskopen wie dem Extremely Large Telescope. Die Kombination der enormen Lichtsammelfläche mit einer fünffach erhöhten Bildschärfe würde unsere Messung in nur wenigen Minuten ermöglichen. Mit unserer Machbarkeitsstudie haben wir eine neue Tür zur Erforschung des frühen Universums weit aufgestoßen.