Gleiten ohne Flügel

Die Flug- und Landefähigkeit von Geckos im Regenwald dient als technisches Vorbild

Geckos inspirieren immer wieder technische Entwicklungen: So dienen die Haftlamellen an ihren Füßen, dank derer sie mühelos glatte, senkrechte Flächen erklimmen und sich sogar kopfüber hängend an der Decke bewegen können, als Vorbild für Klebestreifen. Jetzt kommt eine Eigenschaft hinzu, mit der sich auch die Fortbewegung von Robotern verbessern lassen könnte: Der Saumschwanz-Hausgecko ist in der Lage, in der Luft zu gleiten und mit hohem Tempo unbeschadet an seinem Zielpunkt zu landen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart, des Siena College in New York und der University of California in Berkeley konnten nun das Geheimnis lüften, wie das Reptil dies schafft. Das gelang ihnen zum einen mit Beobachtungen in der Natur und zum anderen im Labor mit Robotern, die die Fähigkeit des Reptils nachahmen.

Der Gecko (Hemidactylus platyurus) hat seinen natürlichen Lebensraum in den Bäumen im Regenwald von Singapur. Um Räubern zu entwischen, ist er in der Lage, von Baum zu Baum zu springen und in der Luft zu gleiten. Wenn die Bäume nah beieinander stehen, vergeht zwischen Absprung und Landung nur ein Wimpernschlag, der Gecko prallt ungebremst gegen den benachbarten Baum, kann dies jedoch gut verkraften.

Ardian Jusufi, der an der Schnittstelle zwischen Robotik und Biologie arbeitet, hat in einem Wildtierreservat in den Regenwäldern von Singapur beobachtet, wie Geckos ihren Schwanz zur Steuerung des Gleitflugs einsetzen, blitzschnell ein Ziel anpeilen und auf engem Raum landen können. Am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart leitet er die Cyber Valley-Forschungsgruppe  "Locomotion in Biorobotic and Somatic Systems" und hat viele Jahre damit verbracht, Geckos und ihre vielfältige Fortbewegung im Freiland zu erforschen.

Der Schwanz stabilisiert

Geckos werfen ihren Schwanz bei Gefahr ab, der aber nach kurzer Zeit wieder nach nachwächst. Eidechsen mit einem regenerierten Schwanz sind sehr häufig anzutreffen. Dies ermöglichte es Ardian Jusufi, das Gleit- und Landeverhalten der Reptilien mit und ohne Schwanz und bei hoher Geschwindigkeit zu untersuchen.

Auf einer Plattform sieben Meter über dem Boden springt ein Gecko in die Tiefe und gleitet zu einem nahegelegenen Baum. Hochgeschwindigkeitskameras fangen dies ein und zeigen, dass der gleitende Gecko eine Geschwindigkeit von bis zu sechs Metern pro Sekunde, das sind mehr als 21 Kilometer pro Stunde erreichen kann, mit der er dann auf den nächsten Baumstamm prallt. Im Vergleich zu einem Auto, das bei dieser Geschwindigkeit bei einem Aufprall beschädigt würde, zeigen die Aufnahmen aus dem Dschungel, dass der Gecko landet, ohne sich zu verletzen oder vom Baum zu fallen. Er bewegt sich weiter, als wäre nichts geschehen. Das liegt auch daran, dass sie so klein sind: Bei drei Gramm Körpergewicht fällt  ein Sturz anders aus als beispielsweise bei einer Katze. Bei zwei Tieren, die von Natur aus ihren Schwanz verloren hatten, war das Gegenteil der Fall. Diese Geckos konnten sich nach dem Aufprall nicht mehr festhalten und fielen daher nach der Landung vom Baumstamm auf den Waldboden im südostasiatischen Regenwald.

Wie in dem  Video (Link) zu sehen ist, versucht das Tier den Aufprall abzufedern, indem es seinen Rumpf um bis zu 100 Grad nach hinten beugt. Bei dieser Beugung verlieren die Vorderfüße den Halt und ausschließlich die Hinterbeine bleiben haften. Durch diese Rückwärtsneigung des Rumpfes wird Energie abgeleitet, indem der Schwanz  gegen den Baumstamm gedrückt wird. Tiere, die ihren Schwanz verloren haben, konnten die Energie nicht genügend abfedern und fielen vom Stamm. Der Schwanz wirkt also wie ein fünftes Bein und hilft dem Gecko, sich nach dem Aufprall zu stabilisieren, so die Forscher.

Kontrollexperimente im Labor

Wie kann man jedoch schlüssig nachweisen, dass der Schwanz diese stabilisierende Wirkung hat? Dieser Fragestellung gingen die Forscher im Labor nach und schufen ein physikalisches Modell, um die Kräfte, denen das Tier ausgesetzt ist, besser zu verstehen. Dazu schufen sie einen Roboter, der von Geckos inspiriert wurde: Dieser verfügt über einen weichen Rumpf, bei dem der Schwanz abgenommen und wieder aufgesetzt werden kann. Wenn der vordere „Fuß“ auf eine Oberfläche stößt, ist er so programmiert, dass er seinen Schwanz biegt, vergleichbar mit den Reflexen, die Jusufi zuvor bei kletternden Geckos entdeckt hat. Die Informationen werden über einen Mikrocontroller an der „Schulter“ verarbeitet, um sogleich einen Motor im „Becken“ zu aktivieren, der an einer „Sehne“ zieht und so den Schwanz gegen die Wand drückt, um den Roboter zu stabilisieren.

Zusammen mit seinem Postdoc Robert Siddall führte Ardian Jusufi nun einige Experimente durch: Zunächst wurde die weiche Roboter-Eidechse auf eine Wand mit einem eingebetteten, kraftsensitiven Sensor katapultiert, die mit Filz ausgekleidet war und an dem die mit Klettverschluss versehenen Füße des Roboters haften konnten.

Der Roboter schlug mit der gleichen Geschwindigkeit auf der Wand auf, mit der die Geckos auf dem Baum landeten, und kippte dabei mit dem Oberkörper im rechten Winkel zur Oberfläche zurück. Die Wissenschaftler maßen dann die Kraft, die auf die Vorder- und Hinterfüße des Roboters beim Aufprall wirkten. Je länger der Schwanz des Roboters war, desto geringer die Kraft, die die Hinterfüße von der Oberfläche wegzog. Je geringer diese Kraft, desto leichter war es für den Roboter sich festzuhalten. Bei einem Roboter ohne Schwanz werden jedoch die Kräfte auf die Hinterfüße zu groß: Der Roboter verliert den Halt, prallt ab und fällt.

Damit bestätigte dieses Experiment die von den Wissenschaftlern aufgestellten Hypothese, dass der Gecko nur mit Hilfe des Schwanzes in der Lage ist, sich auf einer vertikalen Oberfläche zu stabilisieren, nachdem er mit hoher Geschwindigkeit auf diese aufgeschlagen ist. "Mit dem Roboter konnten wir etwas messen, was wir mit Geckos im Feld nicht konnten", erklärt Ardian Jusufi, der leitende Autor der Studie. „Die Reaktionskräfte beim Aufprall nach dem Landeanflug bestätigten, dass der Schwanz ein wesentlicher Grund ist, die Landung bei kurzen Gleitflügen zu ermöglichen. Unser Roboter-Lander dient nicht nur dazu, eine Entdeckung in einem anderen Forschungsfeld wie der Biologie zu machen, sondern kann zusätzlich dazu beitragen, die Fortbewegung von Robotern zu verbessern, indem er die Robustheit erhöht und die Steuerung vereinfacht."

"Die Natur hat viele unerwartete und elegante Lösungen für technische Probleme - und das wird wunderbar durch die Art und Weise veranschaulicht, wie Geckos ihre Schwänze nutzen können, um einen Frontalzusammenprall in ein erfolgreiches Landemanöver zu verwandeln. Die Landung aus dem Flug ist schwierig, und wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse zu neuen Techniken für die Mobilität von Robotern führen werden", sagt Robert Siddall.

„Um das Verständnis von Biomechanik zu erweitern, setzen Forscher vermehrt Soft-Roboter ein,  die lebensechte Bewegungen nachahmen. Diese können Biologen helfen, Fragestellungen zur Fortbewegung von Tieren zu konkretisieren“, so Jusufi. „In diesem Sinne tragen Roboter zum Verständnis des Bewegungsapparates bei, sodass zunehmend auf Tierversuche verzichtet werden kann.“

Weiteres Bild- und Filmmaterial auf dieser Seite erhältlich

https://bio.is.mpg.de/landingtail

BA

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