Virus-Capsid gelangt unversehrt in den Zellkern
Kombination hochauflösender Imaging-Methoden gewährt detaillierten Einblick in Infektionsabläufe im Zellinneren
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Zentrums für Infektiologie am Universitätsklinikum Heidelberg, des Heidelberger Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie und des Max-Planck-Instituts für Biophysik in Frankfurt ist es erstmals gelungen, das HI-Virus beim Transport in den Kern der infizierten Zelle abzubilden. Die elektronentomografischen Aufnahmen zeigen: Die Protein-Hülle des Virus passiert die Kernpore als Ganzes und zerbricht erst im Inneren des Zellkerns, wo es die Virus-Erbinformation freisetzt. Die Arbeiten erklären damit einen zentralen Mechanismus der Integration des Viren-Erbguts in den infizierten Zellen.
Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV-1) infiziert primär bestimmte Zellen des Immunsystems und schwächt auf diese Weise die körpereigene Krankheitsabwehr massiv. Das Erbgut des Virus ist in einer kegelförmigen Proteinkapsel, dem aus sechseckigen Einzelteilen zusammengesetzten Capsid, sicher verpackt. Wie das Capsid bei der Infektion durch die Zellhülle in das Innere der Zelle gelangt, ist zwar bekannt - unklar war bisher aber, wie das virale Erbmaterial aus dem Capsid in den Zellkern gelangt, wo es die Bildung neuer Viren anstößt.
Hier setzen die nun veröffentlichten Arbeiten an. Mit Hilfe neu entwickelter Methoden zur dreidimensionalen Darstellung molekularer Komplexe in Virus-infizierten Zellen gelang es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, das Virus-Capsid unmittelbar beim Transport in den Kern abzubilden. „Bisher ist man davon ausgegangen, dass das Capsid nicht durch die Poren passt“, erläutert Hans-Georg Kräusslich, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Infektiologie am Universitätsklinikum Heidelberg. „Die Frage, wie das Virenerbgut in den Zellkern kommt, ist aber essentiell für seine Vermehrung. Unsere Ergebnisse unterstützen daher die Suche nach neuen Zielstrukturen für zukünftige Therapieansätze.“ Die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten können zwar die Vermehrung der Viren im Körper unterdrücken, sie jedoch nicht vollständig eliminieren.
Plattformen für hochauflösende Bildgebung
Für den detaillierten Blick auf das Innenleben im Labor infizierter Immunzellen nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hochauflösende Imaging-Techniken: Mithilfe der Elektronenmikroskopie Core Facility der Universität Heidelberg und der Kryo-Elektronenmikroskopie Service-Plattform des EMBL kombinierten sie verschiedene Methoden der Licht- und Elektronenmikroskopie und rekonstruierten aus den Daten dreidimensionale Bilder der molekularen Strukturen. So konnten Zusammensetzung und Architektur der viralen Komplexe und deren Interaktion mit den zellulären Strukturen hochauflösend dargestellt werden. „Unsere enge Zusammenarbeit und die Kombination von spezialisierten Techniken haben dazu beigetragen, ein weiteres Puzzleteil des Wirkmechanismus der HIV-Infektion in das Gesamtbild einzufügen“, sagt Martin Beck, seit 2019 Direktor am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt und ehemaliger Forschungsgruppenleiter am EMBL.