Die richtigen Zellen am richtigen Ort
Nervenzellen im Zebrafisch-Gehirn sind als Karte für den Beutefang angeordnet
Beute erkennen, verfolgen und fangen – das ist für viele Tiere eine überlebenswichtige Aufgabe. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie zeigen nun in Zebrafischen, dass die Anordnung von Nervenzellen im Mittelhirn an eine erfolgreiche Jagd angepasst ist.
Eine Zebrafischlarve entdeckt in der Entfernung einen kleinen Punkt, der seitlich durch ihr Sichtfeld schwimmt. Handelt es sich hier um Beute oder Gefahr durch einen Raubfisch, der sich annähert? Die Larve entscheidet innerhalb kürzester Zeit, dass es sich um Beute handeln muss. Sie schwimmt darauf zu, bis die Beute direkt vor ihren Augen liegt und schnappt zu – eines ihrer vielen Jagd-Manöver ist damit erfolgreich abgeschlossen.
Was recht einfach klingt, ist in Wirklichkeit ein äußerst komplexer Vorgang. Unzählige, verschiedene visuelle Reize werden gleichzeitig erkannt, vom Auge ins Gehirn geleitet und dort verarbeitet. Dabei kommen die Reize nicht irgendwo im Gehirn an: Jede Position auf der Netzhaut wird an eine ganz bestimmte Position im Tectum, der Rechenzentrale für visuelle Reize, weitergeleitet. Doch abgesehen davon ist wenig darüber bekannt, worauf die involvierten Nervenzellen reagieren oder wie sie verknüpft und organisiert sind.
Dominique Förster und ein Team aus dem Labor von Herwig Baier untersuchten daher, wie die visuellen Informationen der Netzhaut über retinale Ganglienzellen ans Tectum weitergeben und dort verarbeitet werden. Hierzu zeigten sie Zebrafischlarven optische Reize, die neben kleinen und großen Beuteobjekten auch ankommende Gefahren, wie beispielsweise Raubfische simulierten. Durch eine spezielle Mikroskopie-Methode untersuchten die Wissenschaftler dabei nicht nur die Aktivität hunderter Zellen gleichzeitig, sondern auch wohin die Ausläufer dieser Zellen führen.
Reaktion auf optische Reize
Die Analyse dieses Datenpools ergab, dass sowohl retinale Ganglienzellen als auch Nervenzellen im Tectum ganz spezifisch auf optische Reize reagieren: Während einige Zellen von kleinen Objekten aktiviert werden, antworten andere auf große Objekte oder auf eine Bedrohung. Manche Zellen interessieren sich für Bewegungen und deren Richtung, wiederum andere nur für die Lichtverhältnisse der Umgebung. Die spezialisierten Nervenzellen sind dabei nicht zufällig im Tectum angeordnet. Retinale Ganglienzellen, die auf Bedrohung reagieren, senden ihre Axone in die tiefen Schichten des Tectums, wo sie auf die Zellfortsätze, sogenannte Dendriten, der Tectumzellen treffen. Beute-spezifische Zellen hingegen knüpfen ihre Synapsen in den oberen Schichten des Tectums. Diese Spezialisierung der Tectumschichten erlaubt der Larve womöglich schnell zwischen Beute und Bedrohung zu unterscheiden – eine überlebenswichtige Fähigkeit.
Daraufhin stellten die Wissenschaftler fest, dass die auf Beute reagierenden Zellen der oberen Schichten besonders vorteilhaft für das Beutefangverhalten angeordnet sind: Beute erscheint im Blickfeld meist seitlich und in größerer Entfernung. Solche Bilder werden im hinteren Teil des Tectums dargestellt. Erstaunlicherweise ist diese Region mit Zellen angereichert, die auf kleine, bewegliche Objekte anspringen. Wendet sich der Fisch zur vermeintlichen Beute und schwimmt auf sie zu, bewegt sich das Bild der Beute zum vorderen Teil des Tectums und wird größer, bis es direkt vor dem Fisch liegt. Durch seine eigene Bewegung hält der Fisch das Abbild der Beute still, bis er energisch zuschnappen kann. Nervenzellen, die speziell auf visuellen Input mit den Charakteristika „groß“ und „unbeweglich“ antworten, sitzen im vorderen Tectum – genau dort, wo diese Art von Information das Gehirn erreicht.
Diese Studie zeigt, dass die Anordnung und Verschaltung von Nervenzellen innerhalb der visuellen Karte des Gehirns an die Erfordernisse der Jagd angepasst ist. Spezialisierte Zellen sitzen dort, wo ihre Funktion für einen effizienten Beutefang am geeignetsten ist. Dies belegt an dem konkreten Beispiel des Beutefangs, welchen Einfluss natürliche Selektion auf die Struktur relevanter Gehirnregionen hat. Die Ergebnisse rufen uns ins Gedächtnis, dass die Art und Weise, wie Tiere (und auch wir) unsere Umwelt wahrnehmen, durch die Evolution geformt wird. Wie das Gehirn verschaltet ist, hat sich in der Vergangenheit am besten zum Überleben bewährt.
CB