Magnetische Gasströme füttern einen jungen Sternhaufen
Polarimetrische Messungen mit Sofia/HAWC+ zeigen die Orientierung der magnetischen Feldlinien
Das interstellare Medium ist zusammengesetzt aus einem recht geringen Anteil von Gas und Staub, der einen gewaltigen Leerraum zwischen den Sternen erfüllt. Dieses ziemlich diffuse Material erstreckt sich über die gesamte Milchstraße und stellt damit ein erhebliches Massereservoir in Galaxien dar. Ein wichtiger Bestandteil des interstellaren Gases sind kalte und dichte Molekülwolken, deren überwiegender Massenanteil aus molekularem Wasserstoff besteht. Ein wichtiges Forschungsergebnis des letzten Jahrzehnts ist, dass jede dieser Molekülwolken von einem ausgedehnten Netzwerk von Filamenten durchdrungen wird. Daraus ist nun ein Bild entstanden, dass sich Sterne wie unsere Sonne vorzugsweise in dichten Sternhaufen an den Schnittpunkten solcher Filamente bilden.
Die Forscher untersuchten ein Netzwerk von Filamenten aus dichtem Gas um den Serpens-Süd-Sternhaufen mit HAWC+, einem Empfänger für polarisierte Infrarotstrahlung an Bord des Flugzeugobservatoriums Sofia, um den Einfluss von Magnetfeldern bei der Entstehung von neuen Sternen zu verstehen. In einer Entfernung von etwa 1400 Lichtjahren ist der Serpens-Süd-Sternhaufen der jüngste bekannte Sternhaufen in der näheren Umgebung der Sonne, positioniert im Zentrum eines Netzwerks aus dichten Filamenten.
Wie sich Gas im Magnetfeld anordnet
Die Beobachtungen zeigen, dass Gasfilamente geringer Dichte parallel zur Orientierung des Magnetfelds angeordnet sind, während die Ausrichtung bei höheren Gasdichten senkrecht dazu liegt. Die hohe Winkelauflösung von HAWC+ zeigt eine weitere vorher nicht bekannte Wendung der Geschichte. „In einigen der Filamente mit hoher Dichte passt sich das Magnetfeld dem Materiefluss an und zeigt eine Ausrichtung in Übereinstimmung mit jener der Filamente“, sagt Thushara Pillai (Universität Boston und Max-Planck-Institut für Radioastronomie Bonn), die Erstautorin der Veröffentlichung. „Damit dominiert die Schwerkraft in den undurchsichtigen Teilen mancher der Filamente im Serpens-Süd-Sternhaufen und der daraus resultierende schwach magnetisierte Gasfluss unterstützt in einer Art Förderband das Wachstum von jungen Sternhaufen“, fügt sie hinzu.
Theoretische Simulationen und Beobachtungen lassen darauf schließen, dass die filamentartige Struktur von Molekülwolken eine größere Rolle dabei spielt, wie Materie aus ausgedehnteren Bereichen des interstellaren Mediums in junge Sternhaufen transportiert wird, deren Wachstum mit diesem Gas gefüttert wird. Die Entstehungs- und Entwicklungsprozesse von Sternen werden von einem komplexen Zusammenspiel mehrerer fundamentaler Kräfte gesteuert, insbesondere von Turbulenz, Gravitation und Magnetfeldern. Um eine genaue Beschreibung dafür zu erhalten, wie dichte Haufen von jungen Sternen entstehen, müssen die Astronomen den relativen Einfluss von allen drei genannten Kräften bestimmen. Sowohl die turbulenten Gasbewegungen als auch der Massenanteil der Filamente (und damit der Einfluss der Gravitation) lassen sich relativ einfach abschätzen. Aber die Stärke des interstellaren Magnetfelds ist sehr gering; es ist rund 10.000mal schwächer als jenes der Erde. Das macht die Bestimmung der Magnetfeldstärke in den Filamenten zu einer herausfordernden Aufgabe.
„Die Ausrichtungen des Magnetfelds in unserer neuen Polarisationskarte von Serpens-Süd stimmen sehr gut mit der Richtung des Gasflusses entlang des schmalen südlichen Filaments überein. Die Ergebnisse der Beobachtungen unterstützen die Annahme, dass die filamentartigen Materieflüsse dazu beitragen, einen jungen Sternhaufen zu bilden“, fügt Phil Myers vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics hinzu, ein Ko-Autor der Veröffentlichung.
Ausgerichtete Staubkörner polarisieren die Stahlung
Ein kleiner Anteil der Gesamtmasse eine Molekülwolke besteht aus Staubkörnern geringer Ausdehnung, die mit dem interstellaren Gas vermischt sind. Diese interstellaren Staubkörner richten sich senkrecht zur Richtung eines Magnetfelds aus. Aus diesem Grund ist die Strahlung, die von diesen Staubkörnern ausgeht, polarisiert und man kann daraus die Ausrichtung des Magnetfelds in Molekülwolken bestimmen.
Auf der Grundlage von Beobachtungen der Raumfahrtmission „Planck“ wurde erst vor kurzem eine hochempfindliche Himmelskarte der polarisierten Strahlung von interstellarem Staub bei Wellenlängen unterhalb von 1 mm veröffentlicht. Sie ermöglicht den ersten großskaligen Blick auf die Magnetisierung von filamentartigen Molekülwolken und deren Umgebung. Untersuchungen auf der Grundlage der Planck-Daten haben ergeben, dass die Filamente nicht nur stark magnetisiert sind, sondern dass sie auch auf vorhersagbare Weise mit den Magnetfeldern in Verbindung stehen. Die Ausrichtung der Magnetfelder ist parallel zu den Filamenten in einer Umgebung geringer Dichte. Die Magnetfelder ändern ihre Orientierung in Gebieten höherer Dichte und sind dort senkrecht zu den Filamenten. Das lässt darauf schließen, dass Magnetfelder eine wichtige Rolle bei der Ausbildung dieser Filamente spielen, verglichen mit dem Einfluss von Turbulenz und Gravitation.
Wann und wo verlieren Filamente ihre Magnetfelder
Aus dieser Beobachtung ergibt sich jedoch ein Problem. Um Sterne in gasförmigen Filamenten entstehen zu lassen, müssen die Filamente erst ihre Magnetfelder verlieren. Wann und wo genau passiert das? Mit der um eine Größenordnung höheren Winkelauflösung des HAWC+ Instruments im Vergleich zu Planck wird es nun möglich, die Regionen in den Filamenten aufzuzeigen, wo die Magnetisierung der Filamente an Bedeutung verliert.
„Planck hat neue Aspekte von Magnetfeldern im interstellaren Medium aufgezeigt, aber erst die bessere Winkelauflösung des HAWC+ Empfängers an Bord von Sofia zusammen mit polarimetrischen Untersuchungen im Nahinfrarotbereich vom Boden aus bringen uns mächtige neue Werkzeuge zur Erforschung der entscheidenden Details bei den auftretenden Prozessen“, sagt Dan Clemens, Professor und Leiter der Astronomie-Abteilung der Universität Boston, ein weiterer Ko-autor der Veröffentlichung.
„Die Tatsache, dass wir in der Lage waren, einen kritischen Übergang in der Sternentstehung aufzuzeigen, kam etwas überraschend. Es zeigt aber wiederum, wie wenig wir noch über kosmische Magnetfelder wissen und wieviel aufregende Wissenschaft aus zukünftigen Beobachtungen mit Sofias HAWC+ Empfänger zu erwarten sein dürfte“, schließt Thushara Pillai.
Hintergrundinformation
Das Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie (Sofia) ist ein Flugzeug vom Typ Boeing 747SP, das für den Einsatz eines Teleskops von 2,70 m Durchmesser an Bord umgebaut wurde. Es ist ein gemeinsames Projekt der Nasa und des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR). Das „Ames Research Center“ im „Silicon Valley“ in Kalifornien organisiert das Sofia-Beobachtungsprogramm, Wissenschaft und Flugbetrieb in Zusammenarbeit mit der „Universities Space Research Association“ (USRA, Columbia, Maryland), und dem Deutschen Sofia-Institut (DSI) an der Universität Stuttgart. Der Betrieb des Flugzeugs erfolgt über dad „Armstrong Flight Research Center“ der Nasa in Palmdale, Kalifornien.
Die „High-resolution Airborne Wideband Camera Plus“ (HAWC+), Sofias neuestes Beobachtungsinstrument, nutzt Strahlung im Ferninfrarotbereich zur Beobachtung von Staubkörnern im Universum, die sich senkrecht zu Magnetfeldlinien ausrichten. Aus den Beobachtungsergebnissen können die Astronomen Rückschlüsse auf Gestalt und Ausrichtung des ansonsten unsichtbaren Magnetfelds ziehen. Die Ferninfrarotstrahlung ermöglicht Schlüsselinformationen über Magnetfelder, da das Signal nicht durch anderweitig erzeugte Strahlung wie etwa Streuung von sichtbarem Licht oder Strahlung von hochenergetischen Teilchen überlagert wird. Der HAWC+ Empfänger wurde von einem Forschungsteam vieler beteiligter Institute unter Leitung des „Jet Propulsion Laboratory“ in Pasadena, Kalifornien, entwickelt.
Das Forscherteam umfasst Thushara Pillai, Dan P. Clemens, Stefan Reissl, Philip C. Myers, Jens Kauffmann, Enrique Lopez-Rodriguez, Felipe de Oliveira Alves, Gabriel A. P. Franco, Jonathan Henshaw, Karl M. Menten, Fumitaka Nakamura, Daniel Seifried, Koji Sugitani, und Helmut Wiesemeyer. Thushara Pillai, die Erstautorin, sowie Karl Menten und Helmut Wiesemeyer sind mit dem Max-Planck-Institut für Radioastronomie affiliiert.