Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für Physik
Gammastrahlen aus dem All: Faszinierende Himmelsbeobachtungen mit Tscherenkow-Teleskopen
Was wir mit bloßen Augen am Nachthimmel sehen, entspricht nur einem kleinen Ausschnitt des elektromagnetischen Spektrums, das von langen Radiowellen bis zu hochenergetischen Röntgen- und Gammastrahlen reicht. Erst seit etwa 30 Jahren wissen wir, dass Objekte im Universum im energiereichsten Spektralbereich Strahlung aussenden, die Billionen Mal energiereicher ist als sichtbares Licht. Dabei handelt es sich um Strahlung mit einer Energie im Teraelektronvolt-Bereich. 1 Elektronvolt entspricht der Energie, die ein Elektron beim Durchgang durch ein elektrisches Feld mit der Spannung von 1 Volt erhält. 1 Teraelektronvolt (TeV) entspricht 1012 Elektronvolt.
Diese Strahlung wird vollständig von der Atmosphäre absorbiert. Dennoch lässt sie sich indirekt mit einem Trick von der Erde aus beobachten. Wenn ein Gammateilchen in die Atmosphäre eintritt, löst es bei der Wechselwirkung mit den Atomen der Luft einen Schauer aus Sekundärteilchen aus. Diese bewegen sich mit Überlichtgeschwindigkeit kilometerweit durch die Atmosphäre. Dabei entsteht bläuliches Tscherenkow-Licht, das man mithilfe spezieller Spiegel und Lichtsensoren nachweisen kann. Dies steht nicht im Widerspruch zur Relativitätstheorie, die lediglich Bewegungen mit Vakuum-Lichtgeschwindigkeit verbietet.
Zusammenspiel von Teleskopen im Weltraum und auf der Erde
Unter Federführung des Max-Planck-Instituts für Physik betreiben Wissenschaftler aus 12 Ländern seit 16 Jahren die beiden MAGIC- Teleskope (Major Atmospheric Gamma Imaging Cherenkov) auf La Palma (Abb. 1). Ein bedeutendes Ziel für den Bau von MAGIC war von Anfang an die Beobachtung von Gammablitzen. Das sind plötzliche, Sekunden bis Minuten dauernde Strahlungsausbrüche, die uns aus den Tiefen des Kosmos erreichen. Das Phänomen der Gammablitze ist seit über 50 Jahren bekannt – wie sie entstehen, ist aber bis heute nicht vollständig geklärt.
Gammablitze sind die leuchtstärksten Ereignisse im Universum und bis in Entfernungen von Milliarden von Lichtjahren sichtbar. Es wird vermutet, dass sie entstehen, wenn ein massereicher Stern am Ende seines Lebens kollabiert oder zwei kompakte Objekte, wie Neutronensterne, verschmelzen. Da unvorhersehbar ist, wann und wo am Himmel diese kurzen Gammablitze auftreten, sind sie nur mit Weltraumteleskopen aufzuspüren, die rund um die Uhr den Himmel scannen.
Allerdings sind diese Satelliten nicht in der Lage, TeV-Strahlung zu messen. Dieses Spektrum lässt sich nur mit bodengebundenen Teleskopen beobachten. Gerade der Nachweis dieser Strahlung im höchsten Energiebereich kann aber wesentlich zum Verständnis der Vorgänge in einem Gammablitz beitragen.
Um die flüchtigen Ereignisse einfangen zu können, wurden die MAGIC-Teleskope so gebaut, dass sie innerhalb kürzester Zeit in die Richtung eines solchen Blitzes ausgerichtet werden können. So konnte MAGIC nach einem Alarm durch zwei Weltraumteleskope am Abend des 14. Januar 2019 innerhalb von 25 Sekunden zu dem Gammablitz GRB190114C schwenken. Unmittelbar nach Beginn der Messung detektierte MAGIC Gammastrahlung im TeV-Bereich. Nie zuvor haben wir derart energiereiche Strahlung von einem Gammablitz beobachtet. Die Analyse des Signals und der Abgleich mit Daten anderer Teleskope ergab schließlich, dass es sich bei GRB190114C wahrscheinlich um einen massereichen Stern handelte, der in einer gigantischen Supernova-Explosion zu einem Schwarzen Loch kollabiert ist.
Woher stammen die hohen Energien?
Die Gammastrahlung stammte aus dem Nachglühen der Explosion, als die ins All geschleuderte Materie das interstellare Medium durchquerte. Solche astrophysikalischen Stoßwellen erzeugen bekanntermaßen Gammastrahlung: Dabei bewegen sich auf hohe Energien beschleunigte geladene Teilchen in starken Magnetfeldern und senden Synchrotron-Strahlung aus. Allerdings kann auf diese Weise keine Gammastrahlung mit den höchsten TeV-Energien entstehen.Daher wird vermutet, dass MAGIC bei GRB190114C den Effekt der inversen Compton-Streuung beobachtet hat: Dabei übertragen die hochenergetischen Teilchen einen Teil ihrer Energie auf die nahen Synchrotron-Photonen. Dieser Mechanismus ist bei anderen Objekten bekannt; dass er auch bei Gammablitzen zum Tragen kommt, war lange vermutet, aber nie nachgewiesen worden.
Interessanterweise war die insgesamt freigesetzte Energie von GRB190114C über alle beobachteten Wellenlängen hinweg nicht außergewöhnlich hoch. Allerdings war seine Entfernung für kosmische Maßstäbe ziemlich gering, weshalb der Blitz besonders hell erschien und MAGIC so hohe Gamma-Energien registrieren konnte. Daher bleibt die spannende Frage, ob MAGIC einen sehr speziellen Sternkollaps beobachtet hat, oder ob inverse Compton-Streuung immer im Nachglühen von Gammablitzen einsetzt.
Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn wir viele weitere, auch entferntere Gammablitze im TeV-Bereich beobachten. Große Chancen dafür bietet das Cherenkov Telescope Array (CTA), das sich derzeit im Bau befindet. CTA wird mehr als 100 Einzelteleskope zählen, die an zwei Standorten errichtet werden: Auf der Südhalbkugel in der chilenischen Atacama-Wüste, im Norden auf La Palma, direkt neben den MAGIC-Teleskopen.
Noch mehr Augen für Gammastrahlen
Geplant sind drei Teleskoptypen, wobei acht vorgesehene Large-Size-Teleskope (LST) für die Jagd nach Gammablitzen perfektioniert sind: Ihre Spiegel besitzen Durchmesser von jeweils 23 Metern, sie können fast doppelt so schnell wie MAGIC ausgerichtet werden. Im Verbund werden die LST in der Lage sein, bis zu zehnfach leuchtschwächere Signale von Gammablitzen zu messen als MAGIC. Damit kann es mit dem CTA gelingen, Strahlung von Gammablitzen einzufangen, die kürzer als eine Minute aufflackern. Diese kurzen Gammablitze sind besonders interessant, weil sie vermutlich durch die gleichen Ereignisse ausgelöst werden wie Gravitationswellen.
Das MPI für Physik ist an der Konstruktion der LST beteiligt. Das erste LST (Abb. 2) auf La Palma wurde im Oktober 2018 eingeweiht, die ersten Messungen sind erfolgreich verlaufen. Voraussichtlich im Sommer 2020 beginnt die Konstruktion der drei weiteren LST auf La Palma; mit ihrer Fertigstellung wird in wenigen Jahren gerechnet. Parallel dazu werden alle anderen Teleskope auf La Palma und in Chile errichtet, 2026 soll der gesamte CTA-Teleskop-Park stehen. Spätestens dann werden uns die neuen Tscherenkow-Teleskope spannende neue Erkenntnisse über die energiereichsten Strahlungsphänomene im Universum liefern.