Hochgeladenes Ion bahnt den Weg zu neuer Physik
Orbitalkreuzung und optischer Uhrenübergang in Pr9+ nachgewiesen
In einer experimentell-theoretischen Gemeinschaftsarbeit hat am Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik ein internationales Physiker-Team erstmals eine Orbitalkreuzung im hochgeladenen Ion Pr9+ nachgewiesen. Mittels einer Elektronenstrahl-Ionenfalle haben sie optische Spektren aufgenommen und anhand von Atomstrukturrechnungen analysiert. Ein hierfür erwarteter Übergang von nHz-Breite wurde identifiziert und seine Energie mit hoher Präzision bestimmt. Die Theorie sagt für diese „Uhrenlinie“ eine sehr große Empfindlichkeit auf neue Physik und zugleich eine extrem geringe Anfälligkeit gegenüber externen Störungen voraus, was sie zu einem einzigartigen Kandidaten zukünftiger Präzisionsstudien macht.
Laserspektroskopie neutraler Atome und einfach geladener Ionen hat während der vergangenen Jahrzehnte Dank einer Serie technologischer Fortschritte eine erstaunliche Präzision erreicht. In weltweit führenden Laboratorien messen diese sogenannten „Atomuhren“ die Zeit mit einer relativen Ungenauigkeit in der Größenordnung von nur 10-18. Auf diesem Niveau sind externe Störungen durch elektrische und magnetische Streufelder (die sich schwer unterdrücken lassen) ein entscheidender Faktor, der weiteren Fortschritt lähmt. Eine Lösung für dieses Problem ist die Verwendung hochgeladener Ionen, in denen die Valenzelektronen um Größenordnungen stärker an den Kern gebunden sind. Dadurch ist die Elektronenhülle weitaus weniger empfindlich auf die erwähnten externen Störungen. Oft zeigen hochgeladene Ionen zugleich eine erhöhte Empfindlichkeit für Physik jenseits des Standardmodells, wie die Variation von Naturkonstanten oder Tests der Relativitätstheorie (lokale Lorentz-Invarianz).
Nicht jedes hochgeladene Ion eignet sich für eine Uhr. Um nämlich die existierenden Techniken und Mittel auszunutzen, muss der Uhrenübergang idealerweise im optischen Bereich liegen. Hier lässt sich dieser mittels Laserlicht ansprechen, dessen Frequenzen extrem präzise anhand optischer Frequenzkämme bestimmt werden können. Diese Kriterien erfüllen spezielle hochgeladene Ionen bei „Orbitalkreuzungen“. Für wasserstoffähnliche Ionen sind die Energieniveaus der gleichen Hauptquantenzahl (1, 2, 3, …) entartet („Coulomb-Ordnung“). Fügt man weitere Elektronen zu einem solchen Ion hinzu, so schirmen diese die Kernladung, die das äußerste Elektron „sieht“, ab und hebt die Entartung bezüglich des Drehimpulses (s, p, d, …) auf, was letztlich zur „Madelung-Ordnung“ neutraler Atome führt (siehe Abb. 1), die auch die bekannte Struktur des Periodensystems der Elemente bestimmt. So ist z. B. ein Elektron im 4s-Orbital stärker gebunden als in einem 3d-Orbital. Da nun die an der Umordnung beteiligten Orbitale in der Nähe der Kreuzungen nahezu energetisch entarten, ermöglicht dies optische Übergänge zwischen ihnen. Diese Idee wurde zuerst im Jahr 2010 von dem australischen Physiker Julian Berengut (University of New South Wales) vorgeschlagen. Seither wurden viele hochgeladene Ionen nahe Orbitalkreuzungen untersucht bzw. von Theoretikern vorgeschlagen. Allerdings sind die Atomstrukturrechnungen für diese Ionen extrem komplex, was die Interpretation der nur spärlich verfügbaren experimentellen Daten nahezu unmöglich macht. Messungen an Ir17+ am Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik [1] und an Ho14+ am Institut für Laserwissenschaft der Universität für Elektrokommunikation in Tokyo [2] haben bei weitem nicht die gesuchten optischen Übergänge zwischen zwei Orbitalen oder Konfigurationen identifiziert. In der aktuellen Arbeit wurde hochgeladenes Praseodymium (Pr9+) betrachtet, da dieses sowohl von experimenteller wie theoretischer Seite zugänglich ist.
Um die optischen Spektren zu gewinnen, nutze Hendrik Bekker die Heidelberg Elektronenstrahl-Ionenfalle (HD-EBIT), die von der Gruppe um José Crespo López-Urrutia am Max-Planck-Institut für Kernphysik betrieben wird. In dieser Apparatur trifft ein magnetisch fokussierter Elektronenstrahl auf Pr-Atome, wobei deren Elektronen abgestreift werden. Durch entsprechende Einstellung der Elektronenstrahlenergie lässt sich der so erzeugte Ladungszustand kontrollieren. Durch die Stöße mit den Elektronen kommt es auch zur Anregung der Ionen, gefolgt vom spontanen Zerfall der angeregten Zustände unter Emission von Licht. Dieses Licht wird mit einem Gitterspektrometer aufgenommen und analysiert. Parallel zu den fortschreitenden Labormessungen verwendete Julian Berengut, zu der Zeit Humboldt-Forschungsstipendiat am MPIK, sein Programm für hochpräzise relativistische Atomstrukturrechnungen (AMBiT), um die Energieniveaus von Pr9+ zu bestimmen. Schließlich konnten alle beobachteten Linien anhand ihrer charakteristischen Form unter Einfluss des starken Magnetfeldes in der HD-EBIT im Vergleich mit der theoretischen Vorhersage identifiziert werden (siehe Abb. 2). Zoltán Harman aus der Abteilung für theoretische Quantendynamik und Quantenelektrodynamik, geleitet von Christoph H. Keitel, am MPIK steuerte wertvolle Beiträge zu dieser Methode bei. Anhand der beobachteten Linien konnte die Wellenlänge des Uhrenübergangs 5p4f 3G3 – 5p23P0 zu 452,334(1) nm bestimmt werden. Darüber hinaus untersuchte Anastasia Borschevsky (Universität Groningen) ebenfalls Pr9+ mit ihrem sehr erfolgreichen Programmcode (Fock-space coupled cluster). Sie fand, dass die Anfälligkeit des Uhrenübergangs gegenüber externen Störungen in der Tat stark unterdrückt ist. Zugleich zeigte sich die Empfindlichkeit auf neue Physik wie die Variation der Feinstrukturkonstanten und Tests der lokalen Lorentz-Invarianz als ziemlich groß und von umgekehrten Vorzeichen gegenüber dem sensitivsten Uhrenübergang in Yb+ [3]. Somit wäre eine Atomuhr auf der Basis von Pr9+ komplementär zur aktuellen etablierten Forschung.
Frühere Untersuchungen sagten eine Lebensdauer für den Uhrenübergang in Pr9+ in der Größenordnung von 10 Millionen Jahren voraus – was für heutige Messtechnik zu lang wäre. Jedoch zeigte die aktuelle Arbeit, dass sich die Lebensdauer durch Hyperfeinstruktur-Kopplung (Einfluss des Kernspins) mit einem anderen Zustand auf etwa 10 Jahre reduziert (entspricht einer Linienbreite von nHz). In Zusammenarbeit mit Piet O. Schmidt (PTB Braunschweig) wurde ein Laserspektroskopie-Schema entwickelt, wie sich der Pr9+-Uhrenübergang unter realistischen Bedingungen untersuchen ließe. Solche Experimente könnten an kryogenen Paulfallen stattfinden, wie sie am MPIK in der Gruppe von José Crespo López-Urrutia entwickelt wurden.