Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz (Standort Seewiesen)

Die neuronalen Grundlagen von Duettgesang – eine neurophysiologische Freilandstudie

Autoren
Susanne Hoffmann, Lisa Trost, Cornelia Voigt, Stefan Leitner, Alena Lemazina, Hannes Sagunsky, Markus Abels, Sandra Kollmansperger, Andries Ter Maat & Manfred Gahr
Abteilungen
Abteilung "Verhaltensneurobiologie"
Zusammenfassung
Duettgesang ist eine soziale Interaktion zwischen zwei Individuen, die eine präzise Koordination der Lautäußerungen beider Partner verlangt. Bisher war unbekannt, wie das Gehirn dieses kooperative Verhalten steuert. Mithilfe neuartiger Miniatursender konnten wir bei freilebenden Singvögeln die Laute beider Duettpartner gleichzeitig mit der jeweiligen Gehirnaktivität aufzeichnen. So zeigte sich, dass im Vogelgehirn vorprogrammierte zeitliche Duettmuster durch die Laute des Partners verändert werden, um eine optimale Koordination zwischen den Partnern zu erzielen.

Einleitung

Tiere, die in sozialen Gruppen leben, müssen miteinander kommunizieren, um ein gemeinsames Auskommen zu ermöglichen und die Überlebenschancen der Gruppe zu maximieren. Die meisten sozial lebenden Tiere nutzen für diesen Zweck Lautäußerungen (Vokalisationen). Vokale Kommunikation basiert demnach auf dem Austausch von Informationen mithilfe vokaler Signale zwischen mindestens zwei Individuen, einem Sender und einem Empfänger. Oftmals reagiert der Empfänger auf die Signale des Senders, indem er eigene Vokalisationen produziert, die wiederum das Verhalten des ursprünglichen Senders beeinflussen können. Es ist besonders anspruchsvoll, diese Art der sozialen Interaktion zu untersuchen, da Messungen an allen Beteiligten gleichzeitig durchgeführt und zugeordnet werden müssen, während diese aktiv interagieren. Die Netzwerke im Vogelgehirn, die für die Produktion von Lautäußerungen und für die Verarbeitung vokaler Signale verantwortlich sind, wurden bisher nur in sozial isolierten Individuen untersucht. Der Einfluß des sozialen Umfeldes auf die Funktionsweise dieser Netzwerke wurde so weitgehend ignoriert [1]. Des Weiteren konnten derartige neurophysiologische Untersuchungen bisher nur unter kontrollierten Bedingungen im Labor an speziell für die Forschung gezüchteten und gehaltenen Tieren durchgeführt werden. Neurophysiologische Untersuchungen an Tiermodellen, die unter diesen Haltungsbedingungen ihre komplexen Verhaltensweisen nicht ausbilden können, waren bisher nicht möglich.

Dazu gehören auch soziale Gruppen von Afrikanischen Webervögeln. Diese bilden in ihrer natürlichen Umgebung komplexe Sozialstrukturen aus, die einer strengen hierarchischen Ordnung unterliegen. Innerhalb einer Gruppe von Südafrikanischen Weißbrauenwebern (Plocepasser mahali) darf sich nur das dominante Paar fortpflanzen. Alle anderen Gruppenmitglieder übernehmen Helferfunktionen beim Versorgen der Jungvögel. Durch perfekt koordinierte Duettgesänge signalisiert das dominante Paar seinen Rivalen die Grenzen des Territoriums seiner Gruppe. Die Feinstruktur dieser Duette aufzuschlüsseln, ist mit herkömmlichen Techniken extrem schwierig. Die Partner wechseln sich während des Duettierens beim Singen so schnell ab, dass es klingt, als ob nur ein einzelnes Tier sänge. Wie aber wird dieses faszinierende Verhalten vom Gehirn der Vögel gesteuert? Was ermöglicht es ihnen, ihre Vokalisationen so schnell und so präzise zu koordinieren? Singt jeder Vogel seinen eigenen Part des Duetts in einer vorprogrammierten Art und Weise, und die Koordination erfolgt zufällig, oder können sich die Vögel wirklich mit einer Präzision im Millisekundenbereich beim Singen abwechseln?

Spezialtechnik "Radiotelemetrie"

Am Max-Planck-Institut für Ornithologie wurde eine Technik entwickelt, mit deren Hilfe die individuellen Vokalisationen und die Gehirnaktivität von mehreren Mitgliedern sozialer Gruppen gleichzeitig aufgezeichnet werden können [2, 3]. Dafür werden an jedem Tier zwei Miniatursender mit einem Gewicht von ungefähr einem Gramm befestigt, welche die vokalen und neuronalen Signale vom Tier zum Computer kabellos über Radiowellen übertragen. Das ermöglicht es den Tieren, ihr natürliches und vom Experiment unbeeinflusstes Verhalten zu zeigen, während die vokalen und neuronalen Signale aller Tiere perfekt synchronisiert als einzelne Tonspuren aufgezeichnet werden. Im  Nachhinein lässt sich jede aufgenommene Lautäußerung dem jeweiligen Vogel zuordnen, ohne den zeitlichen Zusammenhang zwischen den Vokalisationen verschiedener Tiere und der jeweils dazugehörenden Gehirnaktivität zu verlieren. Mit dieser Technik konnte z. B. an anderen kleinen Singvögeln, den Zebrafinken, im Labor gezeigt werden, welches Gehirnareal während der vokalen Kommunikation über Rufe aktiv ist [4]. Dank der kompakten Größe und Transportierbarkeit der technischen Ausrüstung lässt sich diese Technik aber auch im Freiland einsetzen, um Experimente an unkonventionellen Tiermodellen zu ermöglichen, die nicht oder nur schwierig gehalten werden können.

Neurophysiologische Feldstudie in der Südafrikanischen Kalahari

In der Savanne Südafrikas haben wir jeweils das dominante Paar von wild lebenden Weißbrauenwebergruppen eingefangen und mit den Minitursendern ausgestattet. Nachdem sich die Vögel von dem operativen Eingriff erholt hatten, wurden sie wieder in ihren natürlichen Lebensraum entlassen. Alle besenderten Individuen haben ihren sozialen Status innerhalb der Gruppe beibehalten und mit dem jeweiligen Partner sofort wieder duettiert. Kontinuierlich über mehrere Tage ließen sich so von jedem Vogelpaar die Gesänge und die Gehirnaktivität parallel aufzeichnen. Mit den erhobenen Daten konnten wir zeigen, dass das zeitliche Muster der Duette zwar im Gehirn der Vögel fest vorprogrammiert ist, jedoch von den Vokalisationen des Partners beeinflusst werden kann: Während eines typischen Weißbrauenweber-Duettes beginnt ein Vogel zu singen. Nach einer Weile stimmt der Partner in den Gesang mit ein. Die erste Vokalisation des Partners bewirkt eine Verlangsamung der neuronalen Muster und somit des Gesangstempos des Vogels, der mit dem Duettgesang begann. Die Gehirnaktivität zwischen den Vögeln synchronisiert sich, und die Partner können sich ab diesem Zeitpunkt beim Singen abwechseln. In den meisten Fällen übernimmt ganz klassisch das Männchen beim Duettieren die Führung und gibt den Rhythmus vor, während sich das Weibchen dem Gesangsrhythmus des Männchens anpasst und somit für die Aufrechterhaltung der Synchronie zwischen den Partner zuständig ist.

Aus unseren Ergebnissen schließen wir, dass rhythmische kooperative Verhaltensweisen generell ein exaktes Zusammenspiel der Gehirnaktivitäten der kooperierenden Partner erfordern, was über die sensorische Integration des Verhaltens des Partners erreicht wird.

Literaturhinweise

Elie, J.E.; Hoffmann, S.; Dunning, J.L.; Coleman, M.; Fortune, E.S.; Prather, J.F.

From perception to action: The role of auditory input in shaping vocal communication and social behaviors in birds.

Brain, Behavior and Evolution 94, 61 - 70 (2019)

 

 

Gill, L.F.; D’Amelio, P.B.; Adreani, N.M.; Sagunsky, H.; Gahr, M.; ter Maat, A.

A minimum-impact, flexible tool to study vocal communication of small animals with precise individual-level resolution.
Methods in Ecology and Evolution 7 (11), 1349 – 1358 (2016)

Schregardus, D.S.; Pieneman, A.W.; Ter Maatc, A.; Jansen, R.F.; Brouwer, T.J.F.; Gahr, M.

A lightweight telemetry system for recording neuronal activity in freely behaving small animals.

Journal of Neuroscience Methods 155 (1), 62 – 71 (2006)

Ter Maat, A.; Trost, L.; Sagunsky, H.; Seltmann, S.; Gahr, M.

Zebra finch mates use their forebrain song system in unlearned call communication.
PLoS ONE 9 (10), e109334 (2014)

Hoffmann, S.; Trost, L.; Voigt, C.; Leitner, S.; Lemazina, A.; Sagunsky, H.; Abels, M.; Kollmansperger, S.; Ter Maat, A.; Gahr, M.

Duets recorded in the wild reveal that interindividually coordinated motor control enables cooperative behavior.

Nature Communications 10 (1), 2577 (2019)

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