Mit Hefe zum Ruhm

Heike Will, promovierte Pharmazeutin, legt mit ihrem Buch „Sei naiv und mach' ein Experiment“ die erste Biografie Feodor Lynens vor.

4. April 2011

Es war am 15. Oktober 1964 auf der Autobahn, auf der Fahrt von Hamburg nach München. Feodor Lynen und seine Frau waren auf dem Heimweg von einer Kongressreise, als die Stimme aus einem Transistorradio die Nachricht verkündete: Gemeinsam mit Konrad Bloch war Feodor Lynen der Nobelpreis für Medizin oder Physiologie zuerkannt worden, für seine Arbeiten über den Cholesterol- und Fettsäurestoffwechsel. An der nächsten Raststätte wurde das Ereignis gewürdigt. Mit bayerischem Bier und somit dem Stoff, auf den sich der Ruhm gründete: Hefe.

Feodor Lynen, der am 6. April seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, begann Ende der 1930er-Jahre den Energiestoffwechsel von Hefezellen zu erforschen. Dabei untersuchte er, wie der Wechsel zwischen Gärung und Atmung gesteuert wird: den Pasteur-Effekt. Anfang der 1950er-Jahre gelang ihm – mit einer aus Hefekochsaft isolierten Substanz – der Durchbruch: Er enträtselte die Struktur der „aktivierten Essigsäure“, einer Schlüsselverbindung im Zellstoffwechsel.

Es folgten weitere bedeutende Arbeiten, etwa zum Auf- und Abbau von Fettsäuren, zur Biosynthese des Cholesterins und zur Funktionsweise von Vitaminen, zur „aktivierten Kohlensäure“ und zum Multienzym-Komplex der Fettsäuresynthetase. Feodor Lynen, der von 1954 an das Max-Planck-Institut für Zellchemie leitete, das später im Max-Planck-Institut für Biochemie aufging, hat damit die Grundlage geschaffen, um Krankheiten wie Diabetes und Arteriosklerose zu verstehen. Zugleich hat er sich den Ruf als einer der „großen Architekten der klassischen Biochemie“ erworben.

Heike Will, promovierte Pharmazeutin, legt mit ihrem Buch die erste Biografie Feodor Lynens vor. Unterlegt mit vielen Anekdoten schildert sie das Leben und Wirken des Forschers und porträtiert seine eigenwillige und vielschichtige Persönlichkeit: den leidenschaftlichen Wissenschaftler, in dessen Laborfenster oft erst nachts das Licht ausging („Es darf mehr gearbeitet werden, als verlangt wird.“); den fordernden Lehrer, der auch bei seinen Doktoranden keinen Müßiggang duldete („Na, sieht man Sie auch einmal wieder! Wo treiben Sie sich denn herum?“); den ehrgeizigen Sportler, der sich als Student beim Skirennen um die „Silberne Gams“ ein steifes Bein einhandelte; oder den feierfreudigen Bayern, der gesellige Runden auf dem Oktoberfest liebte und der zeitlebens in seiner Heimatstadt München verwurzelt blieb.

Doch das Buch ist mehr als nur eine Lebensbeschreibung Lynens. Gleichzeitig lässt es auch die „Ära der frühen Jahre der Biochemie“ wieder aufleben als es gelang, die zentralen Biosynthesewege zu entschlüsseln und die Funktion wichtiger Enzyme aufzuklären. Dabei erfährt der Leser auch von Feodor Lynens Rolle als Vermittler in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg: Denn seine Erfolge machten das Münchner Labor zum Anziehungspunkt für Gastwissenschaftler aus dem Ausland – vor allem aus den USA – und halfen so, die deutsche Forschung aus ihrer Isolation zu befreien.

Seine Herangehensweise als Forscher hat Lynen selbst einmal so beschrieben: „Sei naiv und mach’ ein Experiment, selbst wenn die Aussicht auf Erfolg nur gering sein sollte.“ Mit diesem Motto hat er es bis in die Riege der Nobelpreisträger geschafft. Heike Will gelingt es, seinen Weg unterhaltsam und kenntnisreich nachzuzeichnen – mit der Aussicht auf Erfolg bei allen, die sich für die Geschichte der Biochemie und einen ihrer herausragenden Wissenschaftler interessieren.

Heike Will, „Sei naiv und mach' ein Experiment“, Feodor Lynen, Biographie des Münchner Biochemikers und Nobelpreisträgers 336 Seiten, Verlag Wiley-VCH, Weinheim 2011, 29,90 Euro

Elke Maier

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