Jongleure im Chemielabor
Katalysatoren kurbeln chemische Reaktionen an. Ohne sie wäre die Produktion von Chemikalien im großen Stil undenkbar. Und wer den besten Katalysator findet, kann seine Produkte am effizientesten herstellen. Mit erstaunlicher Kreativität entwickeln Wissenschaftler um Ferdi Schüth, Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr, immer neue dieser wirksamen Schrittmacher. Ein Schlüssel zum Erfolg ist die Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten.
Im Grunde dreht sich alles um ein wenig Pulver – in Form feiner Kristalle in kleinen, schlanken Gläschen mit Plastikdeckel oder als schwarzes Puder in geschwungenen Erlenmeyerkolben. Hunderte dieser Gefäße reihen sich auf den Laborregalen wohl geordnet aneinander, allesamt mit kleinen Etiketten beklebt. Cu/ZrO2 steht darauf oder Ca(AlH4)2. Der Blick ins Labor ist unspektakulär, die aufgeräumte Gläschen-parade eher unauffällig. Doch sie hat es in sich. Denn ohne Pulver ginge in der Chemie gar nichts.
Ferdi Schüth ist Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr und Leiter der Arbeitsgruppe Heterogene Katalyse. Er gilt als Experte für jene Stoffe, die chemische Reaktionen in Wallung bringen. „90 Prozent der Chemie ist katalysatorgemacht“, sagt Schüth. Soll heißen: Kaum ein chemischer Prozess läuft ohne deren Zugabe ab. In manchen Fällen aktivieren die molekularen Schrittmacher die Ausgangsstoffe und schaffen damit erst die Voraussetzung für eine Reaktion. Vielfach setzen sie dadurch die Reaktionstemperatur herab; auf diese Weise laufen die Prozesse bei moderaten Bedingungen ab.
In anderen Fällen kontrollieren sie die Reaktion so, dass weniger unerwünschte Nebenprodukte entstehen. Für die Wirtschaftlichkeit chemischer Verfahren ist das entscheidend. Schüths Ziel liegt denn auch darin, neue wirksame Katalysatoren zu entwickeln und altbekannte Substanzen oder Prozesse zu optimieren – zum Beispiel für eine effizientere Herstellung von Methanol, das als wichtiger Wasserstofflieferant für Brennstoffzellen diskutiert wird; oder zur einfacheren Synthese von Propylenoxid, einer bedeutenden Chemikalie in der Kunststoffproduktion.
Woher stammt der Begriff heterogene Katalyse? Er beschreibt die Tatsache, dass die Katalysatoren in einem anderen Zustand vorliegen als jene Stoffe, die an ihnen reagieren. In der Regel kommen die molekularen Schrittmacher als Pulver zum Einsatz, werden in Chemikalienlösungen gestreut oder von Gasen durchströmt. Ihre Wirksamkeit hängt nicht allein von ihrer stofflichen Zusammensetzung ab, sondern auch von ihrer Struktur und Oberfläche. Je größer letztere ist, desto mehr Platz bietet sie für die chemische Reaktion – die Rohstoffe werden effizienter umgesetzt. Selbst Pulver mit besonders kleinen Partikeln haben eine hohe Oberfläche.
Schüth und seine Mitarbeiter ziehen bei der Entwicklung ihrer Katalysatoren deshalb gleich mehrere Register: Sie lassen im Reagenzglas filigrane Strukturen mit riesigen Oberflächen wachsen. Sie stellen winzige, einheitlich sechs- oder achteckige Partikel von wenigen Nanometer (milliardstel Meter) Größe her. Und sie mischen etablierte Katalysatorzutaten neu und überprüfen deren Wirksamkeit in stählernen Reaktionsgefäßen.
Stets, sagt Schüth, gehört etwas Alchemie dazu. Denn obgleich die Chemiker heute hunderte von Katalysatorsubstanzen kennen, haben sie deren Wirkungsmechanismen oftmals noch nicht genau entschlüsselt. „Es gibt eine ganze Reihe bekannter Verdächtiger, wenn man bestimmte Reaktionen beschleunigen will“, sagt Schüth. Beispielsweise Nitride oder Oxide von rund 60 chemischen Elementen. „Um aber gezielt Katalysatoren mit gewünschten Eigenschaften zu produzieren, brauchen wir trotz aller technischen Hilfsmittel eine gute Portion Fingerspitzengefühl.“
Mikrokapseln aus dem Reagenzglas
So gleicht die Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut einer kreativen Truppe, die mit ihren Molekülen virtuos jongliert: Das Material ist zum Teil altbekannt, aber was die Mülheimer daraus machen, ist weit gehend neu. Als wahren Künstler bezeichnen Kollegen den Doktoranden Pablo Arnal, der hauchfeine Mikrokapseln hergestellt hat. „Sie sind mit einem Mikrometer Durchmesser fünfmal kleiner als ein rotes Blutkörperchen“, sagt Arnal voller Stolz. Diese Katalysatorkügelchen ähneln transparenten Schneebällen und entstehen im Reagenzglas durch Fällungsreaktionen. Die sind im Prinzip trivial: Man rührt Chemikalien in einer Flüssigkeit zusammen – und schon bilden die Substanzen einen Niederschlag, der sich am Grund des Reagenzglases ablagert.
Mikrokapseln kommen dabei eher selten zu Stande. Doch Arnal ist es gelungen, die Parameter so einzustellen, dass in einer Siliziumlösung winzige Siliziumdioxidkugeln von exakt gleicher Größe ausfallen. Anschließend umhüllt der Forscher die winzigen Bälle mit einer hauchdünnen Schicht aus Zirkoniumoxid, der eigentlichen Katalysatorsubstanz. Der Clou kommt zum Schluss: Pablo Arnal löst die Siliziumkugeln auf – und übrig bleiben feine Zirkoniumoxidhohlkörper.
Was simpel klingt, bedurfte monatelanger Feinjustierungen der Parameter. Druck, pH-Wert und Temperatur mussten richtig gewählt werden, und auch die Größe des Gefäßes beeinflusste die Entstehung der Mikrosphären. Welche chemischen Reaktionen die Katkügelchen zukünftig in Schwung bringen könnten, ist noch nicht klar. „Derartige Anwendungen stehen für uns auch nicht im Vordergrund“, betont Ferdi Schüth. „Unsere Aufgabe ist es zunächst, mit Grundlagenforschung Methoden zu entwickeln, die die Wissenschaft voranbringen – letztlich aber auch neue Anwendungen eröffnen können.“ Viele Arbeiten der Mülheimer haben vor allem ein Ziel: die Vergrößerung der katalytischen Oberfläche. Inzwischen verfügen die Wissenschaftler über Substanzen, von denen ein einziges Gramm eine Fläche von 2000 Quadratmetern besitzt. Zu den viel versprechenden Forschungsobjekten zählt ein Siliziumgerüst, das vor 13 Jahren eher zufällig von Mitarbeitern des Ölgiganten MobilOil entdeckt wurde. Eigentlich wollten die Petrochemiker ein feines Schichtsystem im Mikromaßstab schaffen, das Tenside (also Seifen) enthielt.
Im elektronenmikroskopischen Bild aber wurde klar, dass sich das in der Lösung enthaltene Silizium an den Tensidmolekülen zu regelmäßigen Sechseckstrukturen ordnete. Stets entstand eine Art Cannellonistapel aus nur wenige Nanometer dicken Siliziumröhrchen. Erst nach und nach erkannten Fachleute das Potenzial der Röhrchenstapel. Sie eignen sich hervorragend, um Moleküle aufzunehmen – wie Cannelloni mit Fleischfüllung.
Für die Katalytiker sind diese „MCM-41“ oder „SBA-15“ genannten Strukturen schlicht eine Matrix mit gigantisch großer Oberfläche. Gelingt es, die Röhren mit Katalysatorpartikeln zu bestücken, erhält man auf kleinstem Raum eine riesige Spielwiese für chemische Reaktionen. Schüths Mitarbeiter Anhui Lu hat ausprobiert, was möglich ist. In einem mehrstufigen Prozess füllt er die Röhren mit Kohlenstoff und versieht die Teilchen dann mit magnetischen Kobaltnanopartikeln, die ebenfalls mit einer Kohlenstoffschicht überzogen werden. Schließlich wird das Silizium aufgelöst und es entsteht ein magnetischer, hoch poröser Kohlenstoff. Die Hohlräume im Kohlenstoff sind danach frei und bieten Platz für Reaktionen.
Ein Magnet, der magisch wirkt
So entsteht ein Katalysator, der sich sehr gut in Flüssigkeiten einsetzen lässt. Die in der Lösung enthaltenen Chemikalien wandern in die Röhre und reagieren dort miteinander. Das Besondere: Ist die Reaktion beendet, lässt sich der Katalysator einfach mit einem Magneten aus der Flüssigkeit entfernen. Aufwändiges Sieben oder Zentrifugieren ist nicht mehr nötig.
Mit einem Experiment demonstriert Lu die Wirkungsweise seines mit Kobalt bestückten SBA-15: Zunächst schüttet er den Katalysator in ein Glas mit farbiger Lösung. Innerhalb von Sekunden verschwindet der Farbstoff; er wandert in die Röhrchen und die Flüssigkeit ist
wieder klar. Anschließend führt Lu einen Magneten ans Glas heran. Blitzschnell sammeln sich die Katalysatorpartikel in einem dicken Kloß an der Wand. „Wenn man nur Kobaltpartikel in der Lösung hat, ist die magnetische Anziehung sogar so stark, dass sie das Glas ruckartig an den Magneten ziehen“, sagt Lu. „Da gab es zu Anfang häufig Scherben.“ Deshalb umhüllt Lu den Magneten jetzt mit einem weichen Tuch.
Auch Sascha Vukojevi´c, Doktorand in Schüths Arbeitsgruppe, und der Chemotechniker Manfred Schwickardi haben in den Mülheimer Labors Oberflächen unter die Lupe genommen. Eine ihrer Spezialitäten ist Aktivkohle. Die entsteht bei der Verbrennung kohlenstoffhaltigen Materials, etwa Holz. Da sie ausgesprochen feine Poren besitzt, nutzt man sie schon lange als Abluft- und Wasserfilter. Schwickardi hingegen hat untersucht, wie gut sie sich als Matrize zur Herstellung winziger Katalysatorkrümel eignet. Und Vukojevi´c testete verschiedene Typen handelsüblicher Aktivkohle, indem er sie mit Kupfernitrat und Zinknitratlösungen unterschiedlicher Konzentration tränkte. Durch Erhitzen wurde zunächst die Flüssigkeit aus den feinen, nur etwa fünf Nanometer großen Poren entfernt. Anschließend verbrannte der Forscher die Aktivkohle. Zurück blieben die feinen Katalysatorpartikel.
„Kupfer- und Zink-Verbindungen sind klassische Katalysatorsubstanzen, weltweit arbeiten viele Arbeitsgruppen mit diesen Stoffen“, berichtet Vukojevi´c. „Trotzdem wissen wir nicht hundertprozentig, wie sie funktionieren.“ Hier beginnt die Alchemie. So müssen sich die Forscher vor allem durch Probieren dem optimalen Katalysator nähern. Vukojevi´c beispielsweise vergleicht seine Aktivkohlekatalysatoren en detail miteinander. Auf diese Weise findet er heraus, welche Kupfer- oder Zirkonmischung verschiedene Reaktionen am effizientesten umsetzt und welche Aktivkohle die aktivsten Katalysatoren hervorbringt. Unter dem Elektronenmikroskop studiert er anschließend ihre Struktur.
Um Katalysatoren zu prüfen und zu vergleichen gebe es kaum einen besseren Platz als die Labore am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, schwärmt Vukojevi´c. Das hat seinen Grund: In den vergangenen Jahren hat Ferdi Schüth die Entwicklung so genannter High-Throughput-Anlagen vorangebracht. Dabei handelt es sich um Geräte, in denen gleichzeitig eine Vielzahl verschiedener Katalysatoren auf ihre Wirksamkeit getestet werden kann. Eine der Anlagen in Mülheim untersucht parallel 529 Katalysatoren zur Umwandlung von giftigen Stickoxiden in unschädliche Verbindungen wie Stickstoff und Sauerstoff.
Der Reaktor hinter der Stahltür
Vor einigen Jahren hat Schüth die „high throughput experimentation company“ (hte) gegründet, die in Heidelberg für andere Unternehmen Hochdurchsatzprojekte durchführt sowie Hochdurchsatzanlagen herstellt und vermarktet.
Aus den großen hellen Labors führt Vukojevi´c mit flatterndem Kittel einen schmutzig grauen Gang entlang. An den Wänden verzweigen sich Heizungsrohre und Stromkabel. Von der Decke werfen Neonröhren kaltes Licht. Der Forscher eilt um ein paar Ecken, einige Stufen hinab und tritt schließlich in einen großen Raum mit schweren, grünen Stahltüren. Die sind mit armlangen Griffen gesichert. Vukojevi´c drückt einen herunter und zieht die massige Pforte auf. Er deutet in die fensterlose, enge Betonkammer. Auf einem Tisch steht ein kochtopfgroßer Behälter aus glänzendem Edelstahl. Millimeterdünne Metallschläuche ragen aus seinem Boden und führen zu einem Computer. „Das ist unser 49er“, erklärt Sascha Vukojevi´c – ein Hochdurchsatzreaktor mit 49 fingerdicken Reaktionskammern.
An dem Reaktor testet der Wissenschaftler seine Kupferoxid- oder Zirkoniumoxidkatalysatoren. Sie sollen Wasserstoff, Kohlenmonoxid und Kohlendioxid mit möglichst hoher Ausbeute in Methanol wandeln – eine der wichtigsten Industriechemikalien. „Früher hätte man jeden Katalysator einzeln geprüft“, sagt der Forscher. Das dauert zwei Tage. Vor allem deshalb, weil der Katalysator zunächst aktiviert werden muss.
Allein acht Stunden vergehen, bis sich das oxidierte Kupfer in seine reine und reaktionsfreudige Form wandelt – das Kupfer-Null. Die Hochdurchsatzanlage beschleunigt den Prozess. Zunächst werden in den 49 Kammern gleichzeitig die verschiedenen Katalysatoren aktiviert. Anschließend leitet der Computer die Gase wohldosiert über ein zentrales Ventil in alle Kammern. Um die Aktivität der Katalysatoren zu messen, können sie mit einem drehbaren Ablassventil einzeln angesteuert werden. Die Reaktionsprodukte werden entnommen und für eine chemische Analyse zum Gaschromatografen weitergeleitet. „Wir brauchen zwar immer noch zwei Tage, aber dann haben wir gleich 49 Katalysatoren getestet. Das ist ein enormer Zeitgewinn“, resümiert Vukojevi´c.
Was in ihnen steckt, müssen die Substanzen bei Temperaturen bis zu 250 Grad Celsius und Drücken von bis zu 50 bar zeigen – das 25-fache des normalen Drucks auf Autoreifen. Sollte der Stahltopf überkochen und explodieren, halten die Betonwände und Stahltüren die Bruchstücke zurück.
Zwischen „neu“ und „ein wenig verrückt“
Mit seinen Hochdurchsatzanlagen hat sich Ferdi Schüth vor einigen Jahren in Neuland vorgewagt. Und überhaupt lässt sich der Chemiker gern auf neue und manchmal zunächst abwegig erscheinende Projekte ein. So hat er ein Computerprogramm entwickelt, mit dem sich virtuell tausende neuer Katalysatorkreationen auf ihre Eignung für bestimmte Reaktionen testen lassen. Anfangs wurde diese Vorgehensweise bei der Präsentation auf Tagungen oft kritisiert. Inzwischen hat sich gezeigt, dass das Programm funktioniert. „Wir versuchen oft, den Weg zwischen neu und ein wenig verrückt zu gehen“, sagt Schüth. „Denn Experimente sind häufig am interessantesten, wenn sie Überraschendes bringen. Wer schon vorher genau weiß, was am Ende herauskommt, kann den Versuch gleich bleiben lassen.“ So gehören zu Schüths Team nicht nur Chemiker, sondern auch Physiker. Die sehen die Katalysator-substanzen mit anderen Augen.
Frank Marlow etwa untersucht die optischen Eigenschaften der feinstrukturierten, porösen Substanzen, welche die Chemiker nebenan herstellen. „Wir erforschen die Grundlagen zur Produktion photonischer Kristalle, Mikroschalter und Mikrolaser, von Bauteilen, die einmal in optischen Computern eingesetzt werden könnten”, beschreibt der habilitierte Wissenschaftler seine Arbeit. In derartigen Rechnern sollen an Stelle von Elektronen zukünftig Photonen Informationen verarbeiten und weiterleiten. Benötigt werden dafür Bauteile, die das Licht einsperren, schalten und gezielt weiterleiten können.
Marlow fand heraus, dass sich mesoporöses Siliziumdioxid, ein Katalysatorsubstrat mit Poren von etwa drei Nanometer Durchmesser, zum Bau eines optischen Resonators eignet. Dieser besteht aus zwei Schichten: zum einen aus der Siliziumdioxidschicht, zum anderen aus einer darauf ruhenden Polymerlage. In das Polymer ätzte Marlow eine wohl geordnete Struktur größerer Poren (Makroporen) – und zwar so, dass sich durchlöcherte und unbehandelte Bereiche wie bei einem Zebrastreifen abwechseln. Zwischen diesen Streifen wird das Licht hin und her geworfen. Der poröse Bereich wirkt als eine Art Spiegel, der unbehandelte als leitender Abschnitt. Die darunter liegende mesoporöse (mesoporös: Porenweite zwischen 2 und 50 Nanometern) Siliziumdioxidlage wiederum wirkt als eine Art Barriere; sie verhindert, dass das Licht aus der Polymerlage ausbricht.
Geplatzte Kugeln werden zu Fäden
Letztlich macht sich Marlow in diesem Mehrschichtsystem zu Nutze, dass Poren mit unterschiedlichem Durchmesser unterschiedliches Lichtbrechungsverhalten haben. „Resonatoren filtern sehr selektiv bestimmte Wellenlängen heraus und eignen sich deshalb für die Verarbeitung von Informationen in Datenleitungen”, sagt der Max-Planck-Forscher. So weit ist Marlows Sandwichaufbau freilich noch nicht. Es hat sich aber gezeigt, dass die Katalysatorstruktur aus dem Chemielabor tatsächlich das Zeug dazu hat, die Entwicklung optischer Bauteile voranzubringen.
Wie seine Kollegen stößt auch Marlow immer wieder rein zufällig auf neue Substanzen, die sich für seine Lichtexperimente eignen – etwa als ein Versuch zur Herstellung kleiner Hohlkugeln aus einer Titanverbindung misslang. Eigentlich sollte sich die Substanz zu einem Muster kleiner Bälle ordnen. Doch wider Erwarten schnurrten die Sphären wie geplatzte Kaugummiblasen zu Fäden zusammen. Und die ordneten sich überraschenderweise zu einer gleichmäßigen Wabenstruktur mit interessanten Eigenschaften an: Sichtbares Licht bestimmter Wellenlängen wird extrem stark gebeugt und reflektiert.
Erfahrungen wie diese bestärken Ferdi Schüth und sein Team darin, das Unerwartete zu erwarten. „Ich rege mich selten auf, wenn ein Experiment scheinbar misslingt“, sagt Schüth, „denn oft bringt erst der Misserfolg eine neue Erkenntnis. Das erwartete Ergebnis bestätigt häufig nur das schon Vermutete oder Bekannte.“
Tim Schröder
Ein Tank – mit Kat
Wasserstoff gilt als der Energieträger der Zukunft. Doch wann sich die umweltfreundliche Substanz im großen Stil als Treibstoff für Automobile durchsetzt, ist nach wie vor offen. Denn unklar ist bislang nicht nur, wie genug Wasserstoff (H2) produziert werden soll, um die weltweit wachsende Fahrzeugflotte in Bewegung zu halten. Auch für die Speicherung der flüchtigen Chemikalie im Auto gibt es bisher keine optimale Lösung. In der Regel werden Fahrzeuge mit Flüssigwasserstoff betankt. Die Verflüssigung des Gases aber ist aufwändig und kostet Energie. Zudem schwindet Wasserstoff im Laufe der Zeit durch Verdampfung aus den Tanks. Gasförmiger Wasserstoff hingegen muss in besonders stabilen Behältern gelagert werden – eine Herausforderung für die Autobauer, denn nur zylindrische Tanks halten den hohen Gasdrücken von bis zu 350 bar (350 Atmosphären) stand. Das schränkt die Gestaltungsmöglichkeiten der Fahrzeugproduzenten ein.
Seit einigen Jahren tüfteln deshalb Forscher an einem alternativen Wasserstoffspeicher, der in seinen Grundzügen vor rund zehn Jahren am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung entstanden ist – am Leichtmetallhydridspeicher, einem Komplex aus Metallen und einer veränderlichen Zahl an Wasserstoffatomen. Die Idee: H2 wird beim Betanken mithilfe eines Katalysators im Leichtmetallhydrid gebunden und während der Fahrt wieder an die Brennstoffzelle abgegeben, die Wasserstoff in Energie wandelt. Der Wasserstoff wird also weder flüssig noch gasförmig, sondern chemisch – in festem Zustand – gespeichert.
Bereits vor etwa 30 Jahren hatten Automobilhersteller Metallhydride auf ihre Eignung als H2-Reservoir getestet. Doch die damals untersuchten Schwermetalle waren zu gewichtig für eine effiziente Anwendung. Am Ende machte der Wasserstoff nur etwa 1,5 Prozent des gesamten Speichergewichts aus. Der Einsatz von Leichtmetallhydriden änderte das:
Die Mülheimer griffen zum leichteren Natriumalanat (NaAlH4) und schraubten den Wasserstoffgehalt auf fünf Gewichtsprozent herauf. Das machte diese Substanzen für eine Nutzung im Fahrzeug interessant. Inzwischen kooperieren die Max-Planck-Forscher mit einem internationalen Automobilkonzern, der Leichtmetallhydride in einem Tankprototyp einsetzen will. Der könnte bereits in etwa zwei Jahren auf Jungfernfahrt gehen – wenngleich auch bei diesem Verfahren noch Optimierungsbedarf besteht. Denn ob sich ein solches Speichersystem als zukünftige Patentlösung im Automobilverkehr durchsetzt, hängt vor allem von der Betankungszeit ab.
Niemand will gern länger als fünf Minuten warten, bis das Auto vollgetankt ist. Mit dem Katalysator muss der Wasserstoff folglich enorm schnell im Leichtmetallhydrid gebunden werden. Betankungszeiten von 10 Minuten sind bereits möglich – allerdings nur im Labor bei hohen Drücken. Bei einem erforderlichen moderaten Druck unter 50 bar hingegen müsste man derzeit rund eine Stunde ausharren. Deshalb arbeiten die Katalysator-Experten an effektiveren Substanzgemischen und verändern die äußere Struktur und die chemische – stöchiometrische – Zusammensetzung ihrer Katalysatorpartikel. Außer Natriumalanat werden auch Kalzium-, Lithium- oder Magnesiumalanate getestet, die mehr Wasserstoff speichern können. Wann die Mülheimer den perfekten H2-Speicher mit mehr als 5,5 Prozent Wasserstoffgehalt und den richtigen Katalysator gefunden haben werden, bleibt abzuwarten.