Das versteckte Innenleben des Orionnebels

Im Wechselspiel von Magnetfeldern und Gravitation werden in der Gaswolke neue Sterne geboren

11. Mai 2016

Im All kommen ständig Sonnen zur Welt. Häufig entstehen auch gleich ganze Sternhaufen auf einmal – und zwar in vergleichsweise kurzer Zeit. Um Letzteres zu erklären, schlagen Amelia Stutz und Andrew Gould vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg einen neuen Mechanismus vor. Dazu untersuchten die Forscher ein Gas- und Staubfilament, zu dem auch der bekannte Orionnebel gehört.

Im Prinzip geht Sternentstehung einfach: Man nehme eine sehr kalte Wolke, bestehend aus Wasserstoffgas und etwas Staub und überlasse das System sich selbst. Dann werden im Lauf von einigen Millionen Jahren die hinreichend kalten Regionen unter dem Einfluss ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren und neue Sterne bilden.

Die Wirklichkeit ist komplizierter. Insbesondere scheint es zwei Arten der Sternentstehung zu geben. In gewöhnlichen, kleineren Molekülwolken entstehen nur einer oder ein paar Sterne – solange, bis sich das Gas über einen Zeitraum von rund drei Millionen Jahren zerstreut hat. Größere Wolken leben rund zehnfach länger. In ihnen kommen ganze Sternhaufen auf einmal zur Welt und werden sehr massereiche Sonnen geboren.

Woran liegt es, dass während dieser rund 30 Millionen Jahre so viele Sterne entstehen? Denn astronomisch gesehen ist der genannte Zeitraum recht kurz. Die meisten Erklärungsansätze gehen von einer Art Kettenreaktion aus, in der die Entstehung der ersten Sterne in der Wolke die Bildung weiterer Sterne auslöst. Dafür kommen etwa die Supernovaexplosionen der massereichsten (und daher kurzlebigsten) gerade entstandenen Sonnen infrage, denn deren Druckwellen komprimieren das Wolkenmaterial und schaffen dadurch die Keime für neue Sterne. 

Amelia Stutz und Andrew Gould vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg verfolgen einen anderen Ansatz und bringen Schwerkraft und Magnetfelder ins Spiel. Dazu haben sie die Region um den 1300 Lichtjahre entfernten Orionnebel unter die Lupe genommen. Die hellrote, komplex gemusterte Gaswolke zählt zu den bekanntesten Objekten am Himmel.

Ausgangspunkt für die Überlegungen von Stutz und Gould sind Karten der Massenverteilung in einer Struktur, die wegen ihrer Gestalt – sie ähnelt jener des geschwungenen Integralzeichens – den Namen „integralförmiges Filament“ trägt und zu der auch der Orionnebel im mittleren Abschnitt des Filaments gehört. Die Heidelberger Forscher zogen außerdem Studien zu den Magnetfeldern in und um dieses Objekt heran.

Die Daten zeigen, dass der Einfluss von Magnetfeldern und Gravitation auf das Filament ungefähr gleich groß ist. Darauf aufbauend entwickelten die beiden Astronomen ein Szenario, in dem das Filament ein flexibles, hin und her schwingendes Gebilde ist. Die üblichen Modelle der Sternentstehung hingegen legen Gaswolken zugrunde, die unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren.

Wichtiger Beleg für das neue Bild ist die Verteilung von Protosternen und von jungen Sonnen in und um das Filament. Protosterne sind die Vorstufen von Sonnen: Sie ziehen sich noch weiter zusammen, bis ihre Kernregionen genügend hohe Dichten und Temperaturen erreicht haben, so dass dort im großen Stil Kernfusionsreaktionen einsetzen können. Jetzt erst ist der Stern geboren.

Protosterne sind leicht genug, um mitgenommen zu werden, wenn das Filament hin und her schwingt. Junge Sterne sind dagegen deutlich kompakter und werden vom Filament schlicht zurückgelassen oder wie aus einer Steinschleuder in den umgebenden Raum katapultiert. So kann das Modell erklären, was die Beobachtungsdaten in der Tat zeigen: Dass sich die Protosterne nur entlang des dichten Rückgrats des Filaments finden, junge Sterne dagegen vor allem außerhalb des Filaments.

Dieses Szenario birgt das Potenzial für einen neuen Mechanismus, der die Entstehung ganzer Sternhaufen auf (astronomisch gesehen) kurzen Zeitskalen erklären könnte. Die beobachteten Positionen der Sternhaufen legen nahe, dass das integralförmige Filament ursprünglich in nördliche Richtung deutlich weiter ausgedehnt war als heute. Über Millionen von Jahren scheint sich dann von Norden aus ein Sternhaufen nach dem anderen gebildet zu haben. Und jeder fertige Sternhaufen hat das ihn umgebende Gas-Staub-Gemisch mit der Zeit zerstreut.

Daher sehen wir heute drei Sternhaufen in und um das Filament: Der älteste Haufen ist am weitesten von der Nordspitze des Filaments entfernt; der zweite liegt näher und wird noch von Filamentresten umrankt; der dritte, mitten im integralförmigen Filament, ist gerade im Wachsen begriffen.

Das Wechselspiel von Magnetfeldern und Schwerkraft ermöglicht bestimmte Arten von Instabilitäten, die man zum Teil aus der Plasmaphysik kennt und die einen Sternhaufen nach dem anderen entstehen lassen könnten. Diese Hypothese beruht auf Beobachtungsdaten für das integralförmige Filament. Es handelt sich aber nicht um ein ausgereiftes Modell für einen neuen Modus der Sternentstehung. Zunächst müssten Theoretiker entsprechende Simulationen durchführen und Astronomen weitere Beobachtungen vornehmen.

Erst nach diesen Vorarbeiten wird sich herausstellen, ob die Molekülwolke im Orion einen Sonderfall darstellt. Oder ob die Geburt von Sternhaufen in einem Reigen magnetisch eingeschlossener Filamente der übliche Weg ist, um im Weltall innerhalb kurzer Zeit ganze Haufen neuer Sterne entstehen zu lassen.

MP / HOR

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