Energieschleuder im Herzen der Milchstraße

H.E.S.S-Teleskope beobachten kosmische Strahlung, die vom schwarzen Loch beschleunigt wird

16. März 2016

Seit mehr als zehn Jahren kartografieren die H.E.S.S.-Teleskope in Namibia das Zentrum der Milchstraße in höchstenergetischem Gammalicht. Dieses wird von kosmischer Strahlung im innersten Bereich unserer Galaxis erzeugt. Nach der Analyse neuester Daten ist es den Wissenschaftlern gelungen, zum ersten Mal eine Quelle galaktischer kosmischer Strahlung mit Petaelektronenvolt-Energie zu identifizieren: das supermassive schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße.

Unsere Erde ist ständig dem Bombardement hochenergetischer Teilchen aus dem Weltall ausgesetzt. Dabei handelt es sich um Protonen, Elektronen und Atomkerne, die gemeinhin als kosmische Strahlung bezeichnet werden. Die Frage, welche astrophysikalischen Quellen diese Strahlung produzieren, treibt die Wissenschaftler schon seit mehr als einem Jahrhundert um.

Das Problem: Die Teilchen sind elektrisch geladen, weshalb sie in interstellaren Magnetfeldern von ihrer geraden Bahn abgelenkt werden. Aus diesem Grund weist ihre Ankunftsrichtung nicht auf ihren Produktionsort hin.

Glücklicherweise jedoch treten die Teilchen der kosmischen Strahlung nahe ihrer Quellen häufig mit interstellarem Gas oder Photonen in Wechselwirkung. Dabei wird hochenergetische Gammastrahlung produziert, welche die Erde auf geradem Weg erreicht. Dieses Gammalicht können die Forscher ausnutzen, um die Quellen der kosmischen Strahlung am Himmel sichtbar zu machen.

Wenn Gammastrahlung auf die Erdatmosphäre trifft, produziert sie kurze Blitze, die große Spiegelteleskope mit schnellen Lichtsensoren erfassen können. Mit dieser Technik haben die Forscher in den vergangenen Jahrzehnten mehr als 100 Quellen hochenergetischer Gammastrahlung am Himmel entdeckt.

Bisher war bekannt, dass kosmische Strahlung mit Energien bis zu etwa 100 Teraelektronenvolt (TeV = 1012 eV, das entspricht etwa dem tausend Milliardenfachen der Energie des sichtbaren Lichts) in der Milchstraße erzeugt wird, etwa durch Supernovaüberreste und Pulsarwindnebel. Jedoch legen theoretische Argumente und die direkte Vermessung der kosmischen Strahlung nahe, dass diese Teilchen in unserer Galaxis auf Energien von mindestens einem Petaelektronenvolt (PeV = 1000 TeV = 1015 eV) beschleunigt werden sollten.

Doch während die Forscher bisher viele Quellen fanden, die kosmische Strahlung auf Multi-TeV-Energien bringen, blieb die Suche nach den Beschleunigern der höchstenergetischen galaktischen kosmischen Strahlung erfolglos. Detaillierte Beobachtungen des Milchstraßenzentrums mit den H.E.S.S.-Teleskopen liefern jetzt Antworten. Schon während der ersten Arbeitsjahre hatte H.E.S.S. eine starke kompakte Quelle sowie ein ausgedehntes Band diffuser hochenergetischer Gammastrahlung (Teraelektronenvolt) im galaktischen Zentrum nachgewiesen.

Die diffuse Strahlung erstreckt sich über eine Region von etwa 500 Lichtjahren Durchmesser, die dichte Molekülwolken beinhaltet. Das Gammalicht entsteht, wenn kosmische Strahlung mit dem Material der Wolken in Wechselwirkung tritt. Der Nachweis dieser diffusen Strahlung mit H.E.S.S. ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich eine Quelle kosmischer Strahlung in dieser Region befinden muss; die Quelle selbst konnten die Forscher seinerzeit jedoch nicht eindeutig identifizieren.

Die Analyse weiterer H.E.S.S.-Beobachtungen aus den Jahren 2004 bis 2013, welche die Forscher kürzlich im Fachjournal Nature veröffentlichten, wirft neues Licht auf die Beschleunigungsprozesse im Herz der Galaxis. „Die deutlich größere Menge an Beobachtungsdaten und Fortschritte in den Analysetechniken haben es erlaubt, zum ersten Mal sowohl die räumliche Verteilung als auch die Energie der kosmischen Strahlung im galaktischen Zentrum zu vermessen“, sagt Aion Viana vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg.

Mit diesen bisher beispiellosen Messungen sind die Forscher in der Lage, auch den Ursprung der Teilchen zu bestimmen: „Im Zentrum der Milchstraße gibt es also einen astrophysikalischen Beschleuniger, der Protonen auf Energien von bis zu einem Petaelektronenvolt bringt – und das kontinuierlich über mindestens 1000 Jahre“, folgert Emmanuel Moulin vom französischen Centre CEA de Saclay. Damit würde es sich um das erste „Pevatron“ handeln – so genannt in Analogie zum „Tevatron“, dem ersten Teilchenbeschleuniger auf der Erde, welcher eine Energie von einem Teraelektronenvolt erreicht hat.

Der Zentralbereich unserer Milchstraße beherbergt viele Objekte, die kosmische Strahlung großer Energie erzeugen können, unter anderem einen Supernovaüberrest, einen Pulsarwindnebel und einen kompakten Sternhaufen. „Dennoch ist das supermassive schwarze Loch im galaktischen Zentrum, das Sagittarius A* genannt wird, die plausibelste Quelle der PeV-Protonen“, sagt Felix Aharonian vom Heidelberger Max-Planck-Institut und dem Dublin Institute for Advanced Studies.

Mehrere Beschleunigungsregionen seien vorstellbar, entweder in der unmittelbaren Umgebung des schwarzen Lochs oder etwas weiter außerhalb. Dort werde ein Teil des Materials, das in Richtung der Schwerkraftfalle fällt, wieder herausgeschleudert und möglicherweise in der Umgebung weiter beschleunigt.

Die Beobachtung der Gammastrahlung aus dem galaktischen Zentrum weist deutlich darauf hin, dass Sagittarius A* Protonen auf eine Energie von bis zu einem PeV beschleunigt. Die Messungen zeigen aber auch, dass diese Quelle allein den auf der Erde gemessenen Fluss der kosmischen Strahlung nicht aufrechterhalten kann.

„Wenn Sagittarius A* aber in der Vergangenheit aktiver war, dann könnte diese Quelle tatsächlich die gesamte galaktische kosmische Strahlung erzeugt haben“, sagt Christopher van Eldik von der Universität Erlangen, Vizedirektor der H.E.S.S.-Kollaboration und Sprecher der deutschen Gruppen. Wäre diese Vermutung korrekt, so hätte das dramatische Konsequenzen für die 100 Jahre alte Diskussion über den Ursprung der kosmischen Strahlung.

GH / HOR

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