Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (Greifswald)
Experimentierbeginn an der Fusionsanlage Wendelstein 7-X
Die Montage von Wendelstein 7-X hatte im April 2005 begonnen: Kernstück der Anlage ist ein Ring aus 50 supraleitenden, etwa 3,5 Meter hohen Magnetspulen. Ihre speziellen Formen sind das Ergebnis ausgefeilter Optimierungsrechnungen des IPP-Bereichs „Stellarator-Theorie” und einer über zehnjährigen Suche nach einem besonders wärmeisolierenden magnetischen Käfig. Die Spulen sind auf ein stählernes Plasmagefäß aufgefädelt und von einer ringförmigen Stahlhülle umschlossen. In ihrem luftleer gepumpten Innenraum werden die Spulen mit flüssigem Helium auf Supraleitungstemperatur bis nahe an den absoluten Nullpunkt abgekühlt. So verbrauchen sie nach dem Einschalten kaum Energie. Der von ihnen erzeugte Magnetfeldkäfig kann das 30 Kubikmeter füllende ultra-dünne Plasma im Inneren des Plasmagefäßes dauerhaft, d. h. bis zu 30 Minuten lang, in Schwebe halten.
Nach neun Jahren Bauzeit und über einer Million Montagestunden wurde im April 2014 die Hauptmontage von Wendelstein 7-X abgeschlossen [1]. Die Betriebsvorbereitungen begannen: Nacheinander wurden alle technischen Systeme geprüft – das Vakuum in den Gefäßen, das Kühlsystem, die supraleitenden Spulen, das von ihnen erzeugte Magnetfeld, das Steuersystem sowie die Heiz- und Messapparaturen.
Am 10. Dezember 2015 war es soweit: Im Kontrollraum fuhr die Betriebsmannschaft das Magnetfeld hoch und startete die computergeregelte Experiment-Steuerung. Sie speiste rund ein Milligramm Heliumgas in das ausgepumpte Plasmagefäß ein, schaltete die Mikrowellenheizung für einen kurzen 1,3-Megawatt-Puls an: Im Visier der eingebauten Kameras und Messgeräte zeigte sich das erste Plasma in der Maschine. Es dauerte eine Zehntel-Sekunde und erreichte eine Temperatur von rund einer Million Grad Celsius (Abb. 1).
Für den Betriebsstart hatte man sich für Helium als Arbeitsgas entschieden, weil das Edelgas leichter ionisierbar ist als das spätere Untersuchungsobjekt Wasserstoff. Denn Wasserstoff bildet Moleküle, die zunächst von den Mikrowellen aufgebrochen werden müssen und dann dazu tendieren, mit der Gefäßwand chemisch zu reagieren. Dies wird mit dem atomaren, chemisch inaktiven Helium vermieden. Als Folge ist der Aufbau eines Plasmas mit Helium leichter und sicherer zu erreichen als mit Wasserstoff. Zusätzlich sind die schwereren Helium-Ionen effizienter bei der Reinigung der Wände, an die sich während der langen Montagezeit Wasser und winzige Schmutzpartikel angelagert haben.
In den folgenden rund 300 Helium-Entladungen in Wendelstein 7-X zeigte sich dies deutlich. Je sauberer die Gefäßwand, desto höher stieg die Plasmatemperatur. Außerdem wurden in diesen ersten Entladungen die Mikrowellenheizung und die Datenaufnahme getestet sowie die ersten Messinstrumente zur Untersuchung des Plasmas in Betrieb genommen, darunter Interferometer, Laserstreuungs- und Videodiagnostik sowie Röntgenspektrometer.
Das erste Wasserstoff-Plasma folgte am 3. Februar 2016 im Rahmen eines Festakts mit zahlreichen Gästen aus Wissenschaft und Politik (Abb. 2). Auf Knopfdruck von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel verwandelte ein 2-Megawatt-Puls der Mikrowellenheizung rund ein Milligramm Wasserstoff-Gas in ein ultradünnes, heißes Wasserstoff-Plasma. Die Plasma-Ionen erreichten eine Temperatur von rund 10 Millionen Grad Celsius, die Plasma-Elektronen ungefähr 100 Millionen Grad Celsius.
Die Entladungen waren charakterisiert durch sehr hohe Elektronentemperaturen zu Beginn des Mikrowellenpulses – ungefähr 10 keV, d. h. 100 Millionen Grad Celsius, bei einer Dichte von rund 1019 Teilchen pro Kubikmeter und 4 Megawatt Mikrowellenleistung, gefolgt von steigenden Dichten und Ionentemperaturen – bis zu 1020 Teilchen pro Kubikmeter bzw. 2 keV (Abb. 3). Die an der Wandverkleidung gemessenen moderaten Temperaturen sprechen dafür, dass noch keine stationären Verhältnisse erreicht wurden und ein großer Teil der Heizleistung in die Steigerung der Plasmaenergie fließt.
Forschungsaufgaben von Wendelstein 7-X
Ziel der internationalen Fusionsforschung ist es, ein klima- und umweltfreundliches Kraftwerk zu entwickeln, das die Verschmelzung von Atomkernen zum Energiegewinn nutzt [2]. Für den magnetischen Käfig haben sich zwei verschiedene Bauweisen durchgesetzt, Tokamak und Stellarator. Das IPP ist das einzige Institut weltweit, das beide Anlagentypen parallel untersucht: den Stellarator Wendelstein 7-X in Greifswald (Abb. 4) und den Tokamak ASDEX Upgrade in Garching. Dies gibt die Möglichkeit des direkten Vergleichs.
Gegenwärtig traut man nur einem Tokamak – dem internationalen Testreaktor ITER, der zurzeit in weltweiter Zusammenarbeit in Cadarache aufgebaut wird – ein energielieferndes Plasma zu. Wendelstein 7-X, die weltweit größte Fusionsanlage vom Typ Stellarator, wird keine Energie erzeugen. Trotzdem soll die Anlage beweisen, dass auch Stellaratoren kraftwerkstauglich sind. Mit Wendelstein 7-X soll die Qualität des Plasmaeinschlusses erstmals der eines Tokamaks ebenbürtig werden. Mit 30 Minuten langen Entladungen soll die Anlage das wesentliche Plus der Stellaratoren vorführen, die Fähigkeit zum Dauerbetrieb. Dagegen können Tokamaks ohne aufwendige Zusatzmaßnahmen lediglich in Pulsen arbeiten.
Zur Erreichung dieses Zieles spielen die modularen Spulen zur Erzeugung des Magnetfeldes eine Schlüsselrolle. Mit ihrer gekrümmten Form erzeugen sie den kompletten Magnetfeldkäfig, ohne – wie der Tokamak – einen Strom im Plasma zu benötigen. Zudem lässt sich mit den nichtebenen Spulen das Magnetfeld des Stellarators relativ frei formen, sodass dessen lokale Stärke und Krümmung optimal an die physikalischen Gesetze des heißen Plasmas angepasst werden konnte.
Sieben aus den Kraftwerkserfordernissen abgeleitete Forderungen soll das optimierte Magnetfeld gleichzeitig erfüllen: Verlangt ist erstens eine geringe Rückwirkung des Plasmadrucks auf das einschließende Magnetfeld und zweitens eine gute Qualität des Magnetfeldes und Robustheit gegenüber möglichen Feldstörungen. Drittens ist die für ökonomischen Kraftwerksbetrieb notwendige Energiedichte des Plasmas bei nicht zu hohem Magnetfeld verlangt. Viertens sollen die Wärmeverluste des Plasmas in der richtigen Größe liegen – in den früheren Stellaratorkonzepten wären die Wärmeverluste unakzeptabel hoch gewesen. Fünftens muss der sogenannte „Bootstrap”-Strom vernachlässigbar klein sein. Dieser Ringstrom entsteht durch den radialen Dichte- und Temperaturabfall und könnte das Magnetfeld unerwünscht verformen. Sechstens müssen auch schnelle Teilchen gut eingeschlossen bleiben – eine besondere Schwachstelle „klassischer” Stellaratoren. Denn in einem späteren Kraftwerk müssen die bei der Fusion entstehenden schnellen Heliumkerne das Plasma auf der Fusionstemperatur halten, wenn die äußere Heizung abgeschaltet ist. Schließlich soll siebtens der Magnetfeldkäfig durch ein System modularer supraleitender Spulen technisch möglichst einfach und kostengünstig herzustellen sein.
Diese sieben Kriterien verlangten die Formulierung neuer komplexer Rechencodes. Voraussetzung war außerdem die Entwicklung passender Rechenmethoden, um die großen Codes mit brauchbarer Geschwindigkeit durch den Computer zu schleusen. Insgesamt wurde die Optimierung erst durch die Supercomputer-Generationen der 1980er Jahre möglich.
Ausblick
Die im Februar begonnenen Experimente werden bis Mitte März 2016 fortgesetzt [3]. Danach wird das Plasmagefäß wieder geöffnet, um Kohlenstoffkacheln zum Schutz der Gefäßwände zu montieren. So ausgerüstet, werden höhere Heizleistungen, höhere Temperaturen und längere Entladungen von etwa einer Sekunde möglich. Stufenweise sind weitere Ausbauten geplant, bis in rund vier Jahren 30 Minuten lange Entladungen erzeugt werden können und bei voller Heizleistung von 20 Megawatt überprüft werden kann, ob Wendelstein 7-X seine Optimierungsziele erfüllt.