Forschungsbericht 2014 - Max-Planck-Institut für Astronomie
Genaue Ortsbestimmung für die produktivsten Galaxien im Universum
Submillimeter-Galaxien wurden in den späten 1990er Jahren entdeckt. Darin entstehen derart viele neue Sterne, dass diese Galaxien für einen nicht unbeträchtlichen Bruchteil der gesamten Energiefreisetzung aller Galaxien in der Geschichte des Universums verantwortlich sind. Ein Nebeneffekt der Entstehung vieler, und darunter auch vieler massereicher Sterne ist freilich die Produktion beträchtlicher Mengen an Staub. Die meisten kosmischen Staubteilchen entstehen während der späten Entwicklungsstadien massereicher Sterne: Wenn sich die äußeren Schichten dieser Sterne ausdehnen (insbesondere auf dem „asymptotischen Riesenast”) können sich in diesen Schichten Moleküle aneinander anlagern. Für bestimmte Moleküle führt dies zur Entstehung von Staubkörnern. Sternwinde blasen solche Staubkörner hinaus in die Umgebung des Sterns. Supernovaüberreste, die entstehen, wenn massereiche Sterne ihr Leben in einer gigantischen Explosion beenden, sind ein weiterer Ort, an dem Staubkörner entstehen können. Große Sternentstehungsraten bedeuten, dass dort auch vergleichsweise viele massereiche Sterne entstehen und diese wiederum produzieren merkliche Mengen an Staub. Ob nun diese Staubproduktion verantwortlich ist oder ob die betreffenden Galaxien bereits vor der „hyperaktiven” Sternbildungsphase besonders staubig waren: Fakt ist, dass Submillimeter-Galaxien im Extremfall so komplett hinter Staubwolken verborgen sind, dass sie bei Beobachtungen mit sichtbarem Licht unsichtbar bleiben. Erst bei Beobachtungen mithilfe von Submillimeter-Strahlung – elekromagnetischer Strahlung mit Wellenlängen zwischen einigen Zehntel Millimetern und einem Millimeter – lassen sich diese Objekte und ihre Sternentstehungsaktivität vollständig erfassen. Weitere hilfreiche Daten liefern Infrarot- und Radiobeobachtungen.
Bisherige Submillimeter-Durchmusterungen dieser entfernten Objekte hatten mit mangelnder Detailschärfe zu kämpfen. Die Detailschärfe eines Teleskops – sein Auflösungsvermögen – hängt von der Größe des Teleskops ab: je größer das Teleskop, desto feiner die Details, die es zeigen kann. Andererseits spielt die Wellenlänge der empfangenen Strahlung eine Rolle: Um im Submillimeter-Bereich die gleichen Details zeigen zu können wie ein Teleskop für sichtbares Licht muss das Submillimeter-Teleskop mehr als hundert Mal so groß sein wie sein optisches Gegenstück!
Vor der Inbetriebnahme von ALMA hatten die Submillimeter-Astronomen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Für großangelegte Durchmusterungen kamen allenfalls Einzelteleskope (wie eben APEX in Chile) infrage, die dann allerdings keine besonders hohe Auflösung boten. Mit höherer Auflösung konnten Teleskopverbünde wie das Plataeu de Bure-Interferometer in Frankreich dienen. Doch deren im Vergleich zu ALMA geringere Empfindlichkeit macht es erforderlich, für jedes Beobachtungsziel gehörig viel Zeit zu verwenden. In einer Welt, in der Astronomen um die knappe Beobachtungszeit der existierenden Spitzenteleskope hart konkurrieren, ergab sich daraus, dass nur sehr wenige Submillimeter-Galaxien detailliert nachbeobachtet werden konnten (Abb. 1).
ALMA liefert gleichzeitig ein deutlich höheres Auflösungsvermögen und eine deutlich größere Empfindlichkeit – und das galt bereits für die bei dieser Durchmusterung genutzte vorläufige Konfiguration mit weniger als einem Viertel der 66 ALMA-Antennen. In der hier genutzten Konfiguration entspricht das Auflösungsvermögen von ALMA dem einer Einzelantenne mit 125 Metern Schüsseldurchmesser – eine Verbesserung von mehr als einem Faktor 10 im Vergleich zur vorangehenden Durchmusterung mit der 12-Meter-Schüssel von APEX. Im Vergleich zu den fast 20 Bogensekunden von APEX kommt die neue Durchmusterung auf eine Auflösung von bloßen 1,6 Bogensekunden. Dank der hohen Empfindlichkeit benötigte ALMA nicht mehr als zwei Minuten für jede der angepeilten Submillimeter-Galaxien. Das ermöglichte die hier beschriebene, großangelegte Durchmusterung mit mehr als 100 Beobachtungszielen (Abb. 2).
Mit diesen technischen Möglichkeiten hat eine Forschergruppe unter Leitung von Ian Smail (Universität Durham, GB), bei der auch mehrere Forscher des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) beteiligt waren, eine große und trotzdem detaillierte Durchmusterung von mehr als hundert Submillimeter-Galaxien veröffentlicht. Ziel der Beobachtungen, für die 15 der ALMA-Antennen zusammengeschaltet wurden, war eine Himmelsregion namens Extended Chandra Deep Field South, die einen vergleichsweise ungehinderten Blick in die Tiefen des Weltalls jenseits unserer Heimatgalaxie bietet und bei der es sich mittlerweile um eine der bestuntersuchten Himmelsregionen des Südhimmels handelt. Die Zielgalaxien waren bereits zuvor im Rahmen des LABOCA ECDFS Submillimeter Survey (LESS) mit dem APEX-Teleskop nachgewiesen worden, einem Einzelteleskop am gleichen Standort wie ALMA.
Das hohe Auflösungsvermögen der Durchmusterung hat bereits bei der Lösung eines Rätsels um die Submillimeter-Galaxien helfen können. Für diesen Teil der Studie war Alexander Karim federführend, ein ehemaliger MPIA-Doktorand, der jetzt am Argelander-Institut für Astronomie, Bonn und der Universität Durham forscht. Das Rätsel lautete wie folgt:
Früheren Durchmusterungen nach hatte es so ausgesehen, als würden sich in den hellsten Submillimeter-Galaxien mehr als tausend Mal schneller neue Sterne bilden als in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße: rund 1.000 Sonnenmassen an Materie, so die Abschätzung, würde in diesen Galaxien pro Jahr in Sterne umgesetzt werden. Doch Sterne – insbesondere massereiche, kurzlebige Exemplare, wie sie bei so hoher Entstehungsrate immer wieder nachgebildet werden – senden beträchtliche Mengen an Strahlung aus. Um neue Sterne zu bilden, müssen größere Materiewolken kollabieren. Hinreichend intensive Strahlung kann die Sternentstehung behindern, indem sie die Materiewolken aufheizt und/oder zerstreut. Die betreffenden Submillimeter-Galaxien liegen gefährlich nahe an der Grenze, jenseits derer keine weitere Sternentstehung möglich sein sollte – was die Frage aufwirft, wie sie eine solche physikalisch eigentlich unmögliche Sternentstehungsrate überhaupt erreichen können.
Die ALMA-Bilder konnten das Rätsel aufklären: Wo die alten Durchmusterungen eine einzelne, „hyperaktive” Galaxie gezeigt hatten, sind auf diesen Bilder jedes Mal mehrere kleinere Galaxien zu sehen, jede davon mit merklich moderaterer Sternentstehungsrate. Die früheren Aufnahmen waren schlicht nicht detailscharf genug gewesen, um die verschiedenen Galaxien auseinanderzuhalten. Mit der Erkenntnis, dass es sich um mehrere Galaxien handelt, war das Problem gelöst.
Die jetzt im Astrophysical Journal veröffentlichten Durchmusterungsdaten [1] liefern außerdem eine solide Basis, auf der weitere Untersuchungen von Submillimeter-Galaxien werden aufbauen können. Wer die Physik astronomischer Objekte verstehen möchte, braucht dazu in der Regel Daten aus verschiedenen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums. Das funktioniert nur, wenn sich die betrachteten Objekte in den Bilddaten eindeutig einander zuordnen lassen, wenn sich also z. B. ein Lichtfleck im Infrarotbild A eindeutig einem Lichtfleck im Submillimeter-Bild B zuordnen lässt. Aber das funktioniert nur, wenn sich Objekte am Himmel präzise lokalisieren lassen. Die neue Durchmusterung zeigt, dass bisherige Versuche, Submillimeter-Galaxien auch in Infrarot- und Radiobildern zu identifizieren, nicht selten zu falschen Ergebnissen – d. h. konkret in etwa einem Drittel der Fälle zu einer falschen Zuordnung – führten. Mit den neuen, positionsgenauen Submillimeter-Messungen können solche Fehler bei zukünftigen Studien vermieden werden (Abb. 3).
Die Arbeit von Smail, Hodge, Karim und ihren Kollegen [2] hat den Weg frei gemacht für die nächste Art von Untersuchungen: Beobachtungen bei noch höherer Auflösung, bei denen dann sämtliche 66 Antennen des inzwischen fertiggestellten ALMA-Antennenfeldes zum Einsatz kommen. Solche Beobachtungen versprechen Antworten auf die Frage, wie Submillimeter-Galaxien eigentlich entstehen: In dem aus heutiger Sicht plausibelsten Szenario sind sie das Ergebnis der Kollision großer Galaxien. Die gegenseitige Gravitationsanziehung während der Kollision führt dabei zu einer Phase intensiver Sternentstehung. Hochauflösende Aufnahmen könnten Aufschlüsse über die Form der Galaxien geben und damit Spuren solcher Galaxienkollisionen sichtbar machen (Abb. 4).
in Zusammenarbeit mit:
D. M. Alexander, A. L. R. Danielson, A. C. Edge, A. Karim, J. M. Simpson, I. Smail, A. M. Swinbank (Institute for Computational Cosmology, Durham University, United Kingdom)
A. D. Biggs (ESO), R. J. Ivison (UKATC and Institute for Astronomy, University of Edinburgh, Edinburgh, United Kingdom)
K. M. Menten, A. Weiss (Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn)
F. Bertoldi (Argelander-Institut für Astronomie, Universität Bonn)
W. N. Brandt (Institute for Gravitation and the Cosmos & Department of Astronomy & Astrophysics, Pennsylvania State University, University Park, USA)
S. C. Chapman (Institute of Astronomy, University of Cambridge, United Kingdom; Department of Physics and Atmospheric Science, Dalhousie University, Halifax, United Kingdom)
K. E. K. Coppin (McGill University, Montreal, Canada)
P. Cox (IRAM, Saint-Martin d'Héres, France)
H. Dannerbauer (Universität Wien, Österreich)
C. De Breuck (ESO)
T. R. Greve (University College London, United Kingdom)
K. K. Knudsen (Department of Earth and Space Sciences, Chalmers University of Technology, Onsala Space Observatory, Onsala, Sweden)
J. L. Wardlow (Department of Physics & Astronomy, University of California, Irvine, USA)
P. van der Werf (Leiden Observatory, Netherlands)