Forschungsbericht 2014 - Max-Planck-Institut für Kernphysik

Moleküle im Weltraum

Molecules in Space

Autoren
Grussie, Florian; O’Connor, Aodh P.; Kreckel, Holger
Abteilungen

Forschungsgruppe Astrolab (ERC Starting Grant, Holger Kreckel)
Abteilung Gespeicherte und gekühlte Ionen (Klaus Blaum)

Zusammenfassung
Zwischen den Sternen befindet sich ein hoch verdünntes Gemisch aus Atomen und Molekülen mit einem kleinen Anteil makroskopischer Staubpartikel. In den dichteren Bereichen, den interstellaren Wolken, in denen Sterne und Planeten geboren werden, haben moderne Teleskope eine überraschende molekulare Vielfalt offenbart und sogar komplexe organische Moleküle gefunden. Am Max-Planck-Institut für Kernphysik werden weltweit einzigartige Laborexperimente entwickelt, mit denen man versucht, die Molekülbildung unter ähnlich extremen Bedingungen wie im interstellaren Raum nachzustellen und zu verstehen.
Summary
The space between the stars is filled with a dilute mixture of atoms and molecules with a small fraction of macroscopic dust. In the denser parts, the interstellar clouds, where stars and planets are being born, modern telescopes have revealed a surprisingly rich molecular chemistry, and even complex organic molecules have been found recently. At the Max Planck Institute for Nuclear Physics a unique laboratory is being developed, aiming to shed light on the formation of interstellar molecules under truly extreme conditions.

Die Chemie des Weltraums

In interstellaren Wolken herrschen Bedingungen, die im Vergleich zu terrestrischen Verhältnissen sehr extrem anmuten. Zum einen sind die Teilchendichten so gering, dass sie selbst in modernsten Ultrahochvakuum-Apparaturen kaum zu erreichen sind. Zum anderen sinken die Temperaturen sehr nahe an den absoluten Nullpunkt heran, bis auf –263 °C (bzw. 10 K). Kombiniert sorgen diese Randbedingungen dafür, dass die interstellare Chemie völlig andere Pfade geht, als wir sie hier auf der Erde gewohnt sind. Durch die niedrige Temperatur sind die meisten Prozesse, die eine Aktivierungsenergie benötigen, von vorneherein ausgeschlossen. Damit steht eine riesige Klasse von Reaktionen gar nicht erst zur Verfügung.

Trotz dieser widrigen Umstände wurden bereits mehr als 180 verschiedene Moleküle im Weltraum entdeckt. Insbesondere in den letzten Jahren haben Großprojekte wie das Weltraumteleskop Herschel und das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) immer komplexere Moleküle in den unwirtlichsten Umgebungen gefunden. Außerdem wird zunehmend deutlich, dass ein fundiertes Verständnis der Molekülbildung im interstellaren Medium und in protoplanetaren Scheiben – den Geburtsorten von Planeten – notwendig sein wird, um die Entstehung des Lebens auf unserem eigenen Planeten zu verstehen. Der rapide Fortschritt auf dem Gebiet der extrasolaren Planeten unterstreicht diesen Punkt noch, denn in der nahen Zukunft wird die Suche nach Molekülen als Anzeichen von Leben in planetaren Atmosphären außerhalb unseres Sonnensystems in den Fokus rücken.

Als Konsequenz dieser Beobachtungen stellt sich die Frage, wie interstellare Moleküle unter so feindlichen Bedingungen entstehen und überleben können. Als Schlüssel zur molekularen Vielfalt hat man bereits vor Jahren Prozesse zwischen geladenen Molekülen, den sogenannten Molekülionen, und neutralen Atomen und Molekülen ausgemacht [1]. Bei diesen Ionen-Neutral-Reaktionen entsteht eine anziehende Kraft dadurch, dass der geladene Kollisionspartner den neutralen polarisiert. Daher wird eine Reaktion sehr viel wahrscheinlicher. Zudem hat sich herausgestellt, dass viele Ionen-Neutral-Reaktionen keine Aktivierungsbarriere haben und somit auch bei tiefsten Temperaturen effektiv ablaufen können. Abbildung 1 zeigt einige typische Reaktionsketten, die verdeutlichen, wie durch Ionen-Neutral-Reaktionen immer komplexere Moleküle entstehen, bis hin zur Bildung von Wasser und organischen Verbindungen. Moderne astrochemische Modelle, mit denen man versucht, die Verhältnisse in interstellaren Wolken zu verstehen, beinhalten mittlerweile mehrere tausend Reaktionen, bei denen sehr häufig geladene Moleküle eine Rolle spielen. Nur ein Bruchteil der relevanten Reaktionsraten wurde bisher im Labor vermessen – meist ausschließlich bei Raumtemperatur, was keine Rückschlüsse auf etwaige Temperaturabhängigkeiten zulässt. So sind einige der fundamentalsten und häufigsten chemischen Reaktionen im Universum bisher noch experimentelles Neuland und theoretisch kaum verstanden. Um dem Abhilfe zu schaffen, werden am Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) neue experimentelle Methoden entwickelt, um astrochemische Prozesse unter interstellaren Bedingungen im Labor nachzumessen. Das Herzstück der Labor-Astrophysik am MPIK ist der kryogene Speicherring (Cryogenic Storage Ring – CSR) [2].

Der kryogene Speicherring – ein eiskaltes Labor

Weltweit sind mehrere elektrostatische Speicherringe in Betrieb oder im Aufbau, die gegenüber Speicherringen mit magnetischer Ablenkung den Vorteil haben, dass sie einfach geladene Moleküle mit sehr viel größeren Massen speichern können. Daher sind diese Anlagen auch für Experimente mit schweren und komplexen Molekülen, bis hin zu biologisch relevanten Spezies, geeignet. Mit vielen Vorteilen gerade für astrochemische Untersuchungen ist der CSR (Abb. 2) das ambitionierteste Projekt seiner Art weltweit. Die gesamte innere Vakuumstruktur, mit einem Umfang von 35,4 m, wird durch einen geschlossenen Helium-Kreislauf auf weniger als 10 K (–263 °C) abgekühlt. Das ermöglicht Experimente mit kalten gespeicherten Molekülstrahlen, die von der Wärmestrahlung des Labors wirksam abgeschirmt sind. Die tiefen Temperaturen sind aber auch in anderer Hinsicht wichtig. Im CSR werden an besonders kalten Punkten sämtliche übrig gebliebenen Reste atmosphärischer Gase festfrieren. Dadurch entsteht in den inneren Kammern ein extremes Vakuum, wie es in dieser Qualität in einer so großen Anlage noch nie erzeugt wurde. Nach ersten Tests erhofft man sich Dichten von nur einigen tausend Teilchen pro Kubikzentimeter. Das entspricht einem Druck von <10-16 Atmosphären. Diese hochreine, tiefkalte Umgebung kommt in der Tat nahe an interstellare Verhältnisse heran, und ist somit ideal geeignet, um die Molekülbildung im Weltall im Labor zu simulieren.

Neutrale Atomstrahlen für gezielte Experimente

Eine besondere Herausforderung stellen Reaktionen zwischen Molekülionen und neutralen Atomen dar, weil beide Reaktionspartner erst aufwendig präpariert werden müssen und sehr reaktiv sind. Nur die Edelgase und Quecksilber liegen unter terrestrischen Verhältnissen einatomig vor. So ist es für uns selbstverständlich, dass Sauerstoff-Behälter O2 statt atomarem O enthalten. Ebenso liegen Wasserstoff und Stickstoff als zweiatomiges H2 und N2 vor. Bei reinem Kohlenstoff findet man feste Formen wie Graphit oder Diamant. Im Weltraum hingegen zählen atomarer Wasserstoff (H), Sauerstoff (O) und Kohlenstoff (C) zu den fundamentalen Bestandteilen interstellarer Wolken, und Reaktionen mit diesen neutralen Atomen im Grundzustand sind von enormer Bedeutung. Um diese Prozesse unter realistischen Bedingungen nachzustellen, wird der CSR mit einem besonderen Atomstrahl-Experiment gekoppelt. Dazu werden zunächst in einer Ionenquelle negative Ionenstrahlen des gewünschten Elements erzeugt. Aus einer Cäsium-Sputterquelle lassen sich zum Beispiel intensive H-, D-, C- und O-Strahlen extrahieren. Bei einer Energie bis zu 300 keV werden die negativen Ionen zunächst in einem Magneten massenselektiert und dann von elektrostatischen Ablenkern in Richtung CSR geführt. Bevor jedoch die negativen Ionen den Speicherring erreichen, durchqueren sie ein starkes Laserfeld (Abb. 3) [3]. Hier wird durch die Photonen bei bis zu 10% der Ionen das äußere Elektron entfernt und somit ein neutrales Atom im elektronischen Grundzustand erzeugt [4]. Die restlichen negativen Ionen können einfach elektrostatisch abgelenkt und in einem Faraday-Cup gesammelt werden, während der neutrale Atomstrahl unbeeindruckt in den CSR hinein weiterfliegt.

Als Stoßpartner für die gespeicherten Molekülionen werden die neutralen Atome mit dem umlaufenden Strahl des CSR überlagert. Die Geschwindigkeiten der Atome und Ionen werden genau aneinander angeglichen und so kommt es zu Ionen-Neutral-Kollisionen im Ultrahochvakuum und bei Temperaturen um 10 K, also unter echten interstellaren Bedingungen. Als wichtiger Beispielprozess sei hier der Einbau von schwerem Wasserstoff (Deuterium) in dreiatomige Wasserstoffmoleküle genannt, gemäß H3+ + D → H2D+ + H. Das deuterierte H2D+-Produkt ist schwerer als das ursprüngliche H3+-Ion und wird daher direkt nach seiner Entstehung durch die elektrischen Felder des CSR vom gespeicherten Strahl abgetrennt. Mit Teilchendetektoren an geeigneten Stellen im CSR werden die H2D+-Ionen dann einzeln nachgewiesen und gezählt, um die Reaktionsrate zu bestimmen. Die obige Reaktion ist vor allem in diffusen interstellaren Wolken wichtig, da sie Deuteriumatome über das hochreaktive dreiatomige Wasserstoffion in das chemische Netzwerk einbringen kann. In Folgereaktionen können die Deuteriumatome anschließend an andere Reaktionspartner weitergegeben werden, was letztendlich zu einer Anreicherung von Deuterium in interstellarem Wasser führen kann. Das D/H-Verhältnis im Weltraum spielt eine wichtige Rolle bei der Frage nach dem Ursprung des Wassers in unseren eigenen Ozeanen auf der Erde. Der oben beschriebene fundamentale Deuterium-Austauschprozess ist noch nie unter interstellaren Bedingungen nachgemessen worden, und für Modellrechnungen müssen bisher Schätzwerte herangezogen werden.

Eine ähnlich problematische Situation liegt auch bei der Bildung einfacher organischer Moleküle vor. Da die Produktion von atomaren Kohlenstoffstrahlen bisher mit großen Schwierigkeiten verbunden war, gibt es praktisch keine verlässlichen experimentellen Reaktionsraten für die gesamte Klasse von Reaktionen zwischen neutralen C-Atomen und geladenen Molekülionen, obwohl diese Prozesse in Modellrechnungen als wichtige Pfade für den Beginn der organischen Chemie im Weltall eingehen.

Laborastrophysik der nächsten Generation

Zum Studium all dieser Fragen durch präzise, energieaufgelöste Messungen – neben Atomen auch mit Elektronen als Stoßpartner – wird der CSR in der nahen Zukunft als weltweit einzigartiges Labor zur Verfügung stehen. Zusammen mit den großen Fortschritten im Bereich der Beobachtung von Molekülen, und dem Potential der ALMA-Teleskope im Besonderen, steht somit eine spannende Zeit auf dem Feld der molekularen Astrophysik bevor.

Literaturhinweise

Herbst, E.; Klemperer, W.
The formation and depletion of molecules in dense interstellar clouds
Astrophysical Journal 185, 505-533 (1973)
von Hahn, R.; Berg, F.; Blaum, K.; Crespo Lopez-Urrutia, J. R.; Fellenberger, F.; Froese, M.; Grieser, M.; Krantz, C.; Kühnel, K.-U.; Lange, M.; Menk, S.; Laux, F.; Orlov, D. A.; Repnow, R.; Schröter, C. D.; Shornikov, A.; Sieber, T.; Ullrich, J.; Wolf, A.; Rappaport, M.; Zajfman, D.
The electrostatic Cryogenic Storage Ring CSR - Mechanical concept and realization
Nuclear Instruments and Methods in Physics Research B 269, 2871-2874 (2010)
Kreckel, H.; Bruhns, H.; Cizek, M.; Glover, S. C. O.; Miller, K. A.; Urbain, X.; Savin, D. W.
Experimental results for H2 formation from H- and H and implications for first star formation
Science 329, 69-71 (2010)
Bruhns, H.; Kreckel, H.; Miller, K. A.; Lestinsky, M.; Seredyuk, B.; Mitthumsiri, W.; Schmitt, B. L.; Schnell, M.;  Urbain, X.; Rappaport, M. L.; Havener, C. C.; Savin, D. W.
A novel merged beams apparatus to study anion-neutral reaction
Review of Scientific Instruments 81, 013112 (2010)
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