Medizinischer Fortschritt erfordert Experimente am Tier

8. Januar 2015

Die systematische Erforschung der Mechanismen des Lebens ist Grundlage für die moderne Medizin. Doch während bestimmte Krankheiten heute quasi bedeutungslos geworden sind, treten neue, unbekannte Krankheitsbilder auf. Ohne tierexperimentelle Forschung wird es nicht gelingen, neue Strategien zu entwickeln, um diese Krankheiten zu vermeiden oder zumindest zu lindern.

Niemand will, dass Geschöpfe leiden und niemand will Bilder sehen, die das Leid anderer zeigen - seien es Menschen oder Tiere. Deshalb bestürzen die Bilder von Versuchstieren, die von stern TV im September 2014 und nun erneut im Januar 2015 ausgestrahlt wurden. Aber einen wichtigen Aspekt blenden sie eben auch aus: Welche Bilder bekämen wir zu sehen, verzichteten wir darauf, das Wissen zu erwerben, das wir brauchen, um Leben zu schützen und Leid zu mindern?

Die Wissenschaftsgeschichte liefert eine Fülle von Belegen dafür, dass die systematische Erforschung jener Mechanismen, die unserem Leben zu Grunde liegen, schon jetzt zu einer Vielzahl von Strategien geführt hat, mit denen Erkrankungen vorbeugend verhindert, geheilt oder in ihrem Verlauf günstig beeinflusst werden können. Die Lebenserwartung eines Menschen hat sich alleine in den vergangenen einhundert Jahren nahezu verdoppelt. Krankheiten wie die Pest, die im Mittelalter ein Drittel der damaligen Bevölkerung in Europa ausgelöscht haben, spielen heute kaum mehr eine Rolle.

Dafür treten neue Krankheiten auf. So leiden wegen der zunehmenden Lebenserwartung immer mehr Menschen an degenerativen Erkrankungen des Nervensystems wie Alzheimer oder Parkinson, die sowohl für die Betroffenen wie ihr Umfeld mitunter dramatische Einschränkungen der Lebensqualität bewirken. Um solches menschliches Leid zu vermeiden oder zumindest zu lindern, sucht die Forschung nach neuen Therapieansätzen.

Ein Beispiel ist die Therapie der Bewegungsstörungen bei der Parkinsonschen Erkrankung durch Tiefenhirnstimulation. Vor etwa einem Jahrzehnt ist es gelungen, die Parkinsonsche Erkrankung an Rhesusaffen im Zeitraffer nachzubilden und die Ursachen der Bewegungsstörung genau zu erforschen. Dank dieser Erkenntnisse können die motorischen Störungen durch Stimulation einer Hirnstruktur mittels implantierbarer Elektroden nahezu vollständig beseitigt werden. Davon profitieren schon heute mehrere hunderttausend Patienten.

Sie sind aber noch nicht geheilt, weil die Ursachen der degenerativen Prozesse nach wie vor noch unbekannt und nicht behandelbar sind. Dies gilt leider auch für alle anderen degenerativen Erkrankungen. Entsprechend intensiv ist die Forschung an Tiermodellen, die auch für diese degenerativen Prozesse entwickelt werden konnten. Viel schwieriger gestaltet sich die Entwicklung wirksamer Therapien für die psychiatrischen Erkrankungen Schizophrenie, Depression und Autismus, da für diese komplexen Störungen geeignete Tiermodelle fehlen.

So bleibt zunächst nur die Möglichkeit, die Mechanismen jener hohen kognitiven Funktionen zu studieren, die bei diesen Krankheiten gestört sind. Dies erfordert die Arbeit mit nicht-menschlichen Primaten, weil nur in diesen die entsprechenden Funktionen ausgebildet sind. Aus diesem Grund werden die neuronalen Grundlagen komplexer Hirnleistungen weltweit an Rhesusaffen erforscht. Diese werden darauf trainiert, komplexe Aufgaben zu lösen, während ihre Hirnaktivität schmerzfrei gemessen wird. Solche Untersuchungen werden auch in der Max-Planck-Gesellschaft durchgeführt, weil sie für wichtige Bereiche der Hirnforschung unerlässlich sind.

Diese Unerlässlichkeit und die damit verbundene ethische Rechtfertigung finden in der europäischen und nationalen Gesetzgebung ihren Niederschlag. Experimente mit nicht-menschlichen Primaten werden sorgfältig nach wissenschaftlichen und ethischen Kriterien geprüft und die Genehmigungen unterliegen besonders strengen Auflagen, deren Einhaltung behördlich überwacht wird. Wichtig für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Tierversuchen sind neben ethischen Abwägungen die nüchternen Zahlen.

Nur 0,3 Prozent aller Tiere, die für menschliche Bedürfnisse getötet werden, wurden in der Forschung eingesetzt. Das Gros der Versuchstiere wiederum sind Nager, lediglich 0,05 Prozent sind nicht-menschliche Primaten. Und dabei sind auch jene Primatenexperimente eingerechnet, die zur Entwicklung effektiver Medikamente und Impfstoffe gegen Epidemien wie AIDS und Ebola unerlässlich sind.

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