Forschungsbericht 2014 - Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns

Ein natürlich vorkommendes Zuckerderivat verlängert die gesunde Lebensspanne

A naturally occurring metabolite prolongs life

Autoren
Denzel, Martin S.; Winnen, Brit; Antebi, Adam
Abteilungen
Molekulare Genetik des Alterns
Zusammenfassung
Während des Alterns neigen Proteine im menschlichen Körper zur Aggregation, werden klebrig und verklumpen. Ab einem bestimmten Punkt wird diese Proteinaggregation schädlich und auch Nervenzellen werden in Mitleidenschaft gezogen - was zu neurodegenerativen Erkrankungen führen kann. Wissenschaftler haben jetzt entdeckt, dass ein körpereigenes Molekül die Abwehrmechanismen gegen neurodegenerative Erkrankungen stärken könnte. Wird der Fadenwurm Caenorhabditis elegans mit dieser Substanz gefüttert, bewirkt dies den Abbau der Proteinaggregate bei gleichzeitiger Verlängerung der Lebensdauer.
Summary
During ageing, human proteins tend to aggregate. At a certain point, protein aggregation becomes toxic, which can cause damage to occur also in neurons and may result in neurodegenerative diseases. By studying model organisms like the roundworm Caenorhabditis elegans, it is possible to uncover the mechanisms underlying neurodegeneration. Scientists recently found that a naturally occurring molecule enhances defence mechanisms against neurodegenerative diseases. Feeding this particular metabolite to C. elegans improves clearance of toxic protein aggregates in the body and extends life span. 

Caenorhabditis elegans: Ein idealer Modellorganismus, um den Alterungsprozess zu untersuchen

Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans lebt nicht lange - nach 20 Tagen ist meistens schon Schluss. Für Wissenschaftler macht ihn das zu einem idealen Forschungsobjekt, denn sie können so innerhalb kurzer Zeit den kompletten Lebenszyklus des Wurms untersuchen (Abb. 1). Zudem ist das Erbgut des aus weniger als tausend Zellen aufgebauten Organismus komplett analysiert und viele der Gene kommen in ähnlicher Form auch beim Menschen vor. Neurodegenerative Erkrankungen beim Menschen haben genetische Muster und pathologische Symptome, die man im Wurm simulieren kann. Man kann zwar bei Rundwürmern keine Demenz messen, aber man kann den Einfluss von Proteinen untersuchen, von denen bekannt ist, dass sie bei Krankheiten des Menschen wie etwa Alzheimer eine schädliche Rolle spielen. Beispielsweise haben Fadenwürmer, die das zur Erkrankung von Alzheimer führende Protein produzieren, eine deutlich verringerte Beweglichkeit aufgrund gehemmter neuromuskulärer Aktivität. Die Forscher wollen daher mithilfe von C. elegans grundlegende Fragen über Stoffwechselmechanismen beantworten, die die gesunde Lebensspanne verlängern könnten.

Die Qualitätskontrolle von Proteinen hat einen Einfluss auf den Alterungsprozess

Der Zellkern enthält die Erbinformation. Zwar beherbergt die DNA in den Zellkernen die Bauanleitung für Zellen, Gewebe und den Organismus;  am Ende sind es aber Proteine, die diese Information umsetzen. Sie bestehen aus langen, komplexen Ketten von Aminosäuren und werden an der Außenhülle des Kerns beziehungsweise im sogenannten endoplasmatischen Retikulum (ER) gebildet. Eine Aneinanderreihung von Aminosäuren macht aber noch kein funktionales Protein; erst muss dieses noch in die korrekte, dreidimensionale Form gefaltet werden. Somit ergibt sich die Funktion von Proteinen sowohl aus der Abfolge der Aminosäuren als auch aus ihrer Oberflächenform. Der genaue Prozess der Proteinfaltung ist immer noch nicht vollständig erforscht, aber es wurde beobachtet, dass die Faltung in Sekundenbruchteilen stattfindet und mit einer Qualitätskontrolle abschließt. Das ER ist damit, im übertragenen Sinne, eine Fabrik mit hohen Qualitätsmaßstäben, die kundengerecht Proteine unterschiedlichster Art in großen Stückzahlen ausliefert. Jedoch nimmt die Faltungsqualität der Proteine mit der Zeit ab. Der Qualitätskontrollmechanismus des ER wurde bereits seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter Forschern diskutiert und ist heute sehr gut beschrieben. Werden Proteine nicht korrekt gefaltet, so werden sie entsorgt und die weitere Produktion von Proteinen wird so lange unterdrückt, bis die fehlerhafte Herstellung behoben wurde. Kann eine fehlerhafte Herstellung nicht behoben werden, wird der automatische Zelltod eingeleitet. Im ungünstigsten Fall jedoch scheitert die Qualitätskontrolle und verklebte oder verklumpte Proteine, auch Proteinaggregate genannt, richten unter Umständen Schäden an. Dies ist zum Beispiel der Fall bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Huntington oder Parkinson.

N-Acetylglucosamin verbessert die Kontrollmechanismen der Proteinfabrik in Fadenwürmern

Kürzlich konnte erstmals nachgewiesen werden, dass ein Zuckermolekül mit der Bezeichnung N-Acetylglucosamin (GlcNAc) die zuvor beschriebenen Kontrollmechanismen der Zelle auf lange Zeit stärkt und die Produktion verklumpter Proteine verzögert und verringert. GlcNAc regt offenbar die körpereigenen Abwehrmechanismen gegen die Toxizität, die durch Proteinaggregate entsteht, an. Das besondere an GlcNAc ist, dass es ein geläufiges Stoffwechselprodukt darstellt, das ganz natürlich im Organismus vorkommt (Abb. 2). Sobald ein Rundwurm damit gefüttert wurde, konnte ein allgemeiner Effekt beobachtet werden, der die für neurodegenerative Erkankungen beim Menschen mitverantwortliche und schädliche Proteinaggregation lindert. Dabei verlängerte sich sogar die Lebensspanne der Würmer.

Während ein erwachsener Wildtyp-Fadenwurm eine durchschnittliche Lebenserwartung von 21 Tagen hat, so hat ein genetisch veränderter Fadenwurm, der deutlich höhere Dosen an GlcNAc in seinen Zellen herstellen kann, eine Lebensspanne von durchschnittlich 30 Tagen. Der gleiche Effekt wird erreicht, wenn zusätzliches GlcNAc dem Wurm über die Nahrung zugeführt wird. Offenbar spielt diese Substanz eine entscheidende Rolle bei der Qualitätskontrolle: Einerseits wird verhindert, dass Proteine verklumpen, andererseits konnten in einigen Fällen sogar bereits existierende Proteinaggregate beseitigt werden (Abb. 3). Ein weiteres Ergebnis der Studie zur Neurodegeneration zeigte, dass nach Gabe von GlcNAc auch Lähmungserscheinungen verzögert auftraten. Wie genau das Molekül alle diese Effekte erzielt, ist noch unklar.

Somit hat GlcNAc im Fadenwurm nicht nur eine präventive, sondern auch eine therapeutische Wirkung. Der Umstand, dass die Prozesse zur Herstellung von GlcNAc bei Fadenwurm und Mensch weitestgehend identisch sind, macht diese Ergebnisse auch für die Humanmedizin sehr wertvoll. Ob N-Acetylglucosamin zur Behandlung von Demenzen oder anderen altersbedingten Krankheiten des Menschen verwendet werden kann, ist jedoch noch eine offene Frage. Weitere, detaillierte Studien werden folgen.

Literaturhinweise

Fielenbach, N.; Antebi, A.
C. elegans dauer formation and the molecular basis of plasticity
Genes and Development 22, 2149-2165 (2008)
Denzel, M. S.; Antebi, A.
Hexosamine pathway and (ER) protein quality control
Current Opinion in Cell Biology 33C, 14-18 (2014)

Denzel, M. S.; Storm, N. J.; Gutschmidt, A.; Baddi, R.; Hinze, Y.; Jarosch, E.; Sommer, T.; Hoppe, T.; Antebi, A.

Hexosamine pathway metabolites enhance protein quality control and prolong life
Cell 156, 1167-1178 (2014)
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