Reißverschluss für Gehirnsignale

100.000 Euro Heinrich-Wieland-Preis für Reinhard Jahn

8. August 2014

Professor Reinhard Jahn erhält den internationalen Heinrich-Wieland-Preis 2014 für seine bahnbrechenden Arbeiten zu Membranfusion und Neurotransmitter-Ausschüttung – Prozesse, die u.a. ablaufen, wenn Körperzellen wachsen, Stoffe transportieren oder Signale senden. Mit dem 100.000-Euro-Preis ehrt die gemeinnützige Boehringer Ingelheim Stiftung die herausragenden Leistungen des Direktors am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Zum diesjährigen 50. Jubiläum des Preises veranstaltet die Stiftung am 21. Oktober 2014 in der Residenz München zusätzlich zur Preisverleihung ein hochkarätiges wissenschaftliches Symposium.

Rund 100 Milliarden Nervenzellen drängen sich im menschlichen Gehirn und tauschen ständig Signale miteinander aus. Zwischen den einzelnen Zellen klafft trotz ihrer hohen Dichte ein winziger Spalt, den jedes Signal in Form von sogenannten Neurotransmittern überwinden muss. Diese Botenstoffe warten in winzigen Vorratsbläschen der Nervenzelle, den synaptischen Vesikeln, auf ihren Einsatz. Um in den Spalt zu gelangen, müssen sie die Außenhülle der Zelle passieren, ohne diese zu durchbrechen, sonst könnte die Zelle absterben. Daher verschmelzen die Membranen, die Hüllen von Vesikel und Zelle nahtlos miteinander – sie fusionieren. Dieser Prozess der Membranfusion läuft nicht nur im Gehirn ab, sondern in allen Körperzellen, wenn sie wachsen, Materialien transportieren oder Hormone ausschütten.

Seit den frühen 1980er Jahren hat Reinhard Jahn unser Verständnis dieser grundlegenden Prozesse beständig erweitert. Er  gehört zu den Ersten, die nachgewiesen haben, dass sogenannte SNARE-Proteine, die auf den Membranen sitzen, entscheidend sind, um ein Signal von Nervenzelle zu Nervenzelle zu übertragen. Er fand heraus, wie die Gifte von Tetanus- und Botulinus-Bakterien ihre tödliche Wirkung entfalten: Sie zerschneiden die SNARE-Proteine, verhindern damit die Fusion zwischen Vesikel und Zellmembran und unterbrechen so die Signalübertragung. Aufbauend auf diesen Ergebnissen hat Reinhard Jahn ein bis heute gültiges Modell der Fusion zwischen Vesikeln und Zellmembran entworfen: Die SNARE-Proteine der beiden Membranen verhaken sich ineinander. Ähnlich wie ein Reißverschluss ziehen sie dann die beiden Membranen so nahe zusammen, dass diese schließlich verschmelzen. Neben den SNARE-Proteinen hat Reinhard Jahn zahlreiche weitere Proteine entdeckt und charakterisiert, die für die Membranfusion nötig sind. Zusätzlich hat er als Erster den Aufbau synaptischer Vesikel beschrieben, indem er ihre Bausteine analysiert hat.

„Reinhard Jahn hat das Feld der Membranfusion und Neurotransmitter-Ausschüttung ganz entscheidend geprägt und vorangebracht. Seine herausragenden Entdeckungen haben die Lehrbücher verändert“, sagt Professor Wolfgang Baumeister, Vorsitzender des Auswahlgremiums für den Heinrich-Wieland-Preis und Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Die Bedeutung der Forschung von Reinhard Jahn unterstreicht auch der letztjährige Nobelpreisträger Professor Thomas Südhof in seinem Nominierungsschreiben: „Jahns Beiträge zu unserem Feld waren fundamental und monumental. Ich kann mir keinen passenderen Kandidaten vorstellen für diesen renommierten Preis“.

Jubiläumssymposium 50 Jahre Heinrich-Wieland-Preis

Zum 50. Jubiläum des internationalen Heinrich-Wieland-Preis hat die Boehringer Ingelheim Stiftung das Preisgeld dauerhaft auf 100.000 Euro erhöht. Außerdem veranstaltet sie vor der festlichen Preisverleihung am 21. Oktober 2014 in der Münchener Residenz ein international besetztes wissenschaftliches Symposium, u.a. mit Reinhard Jahn und weiteren Trägern des Heinrich-Wieland-Preises wie dem Nobelpreisträger James Rothman. Nachwuchswissenschaftler können sich für Posterpräsentationen, Reisestipendien und einen informellen Austausch mit Sprechern und Preisträgern bewerben.

Professor Dr. Reinhard Jahn
Reinhard Jahn studierte Biologie und Chemie in Göttingen. Anschließend forschte er vier Jahre an der Universität Yale und der Rockefeller Universität in den USA. Im Jahr 1986 wechselte er als Junior-Gruppenleiter an das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in Martinsried. Es folgte die Berufung als Professor an die Yale School of Medicine, USA, sowie an das Howard Hughes Medical Institute. Seine jetzige Position als Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen hat er seit 1997 inne. Er wurde unter anderem ausgezeichnet mit dem wichtigsten deutschen Wissenschaftspreis, dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis (2000), dem Ernst Jung-Preis für Medizin (2006) und dem Wissenschaftspreis des Landes Niedersachsen (2010). Außerdem setzt er sich für bessere Bedingungen für Doktoranden ein und fungiert als Mentor für junge Wissenschaftlerinnen.

Heinrich-Wieland-Preis
Der internationale Heinrich-Wieland-Preis honoriert mit 100.000 Euro herausragende Forschung zu biologisch aktiven Molekülen und Systemen sowie deren klinischer Bedeutung in der Chemie, Biochemie und Physiologie. Der Preis ist nach dem deutschen Chemiker und Nobelpreisträger Heinrich Otto Wieland (1877–1957) benannt. Seit 1964 wird der Preisträger jährlich von einem wissenschaftlichen Kuratorium ausgewählt; seit 2011 dotiert die Boehringer Ingelheim Stiftung (BIS) die Auszeichnung. Zu den Preisträgern gehören u.a. die späteren Nobelpreisträger Michael Brown, Joseph Goldstein, Bengt Samuelsson sowie James Rothman. DieBIS ist eine eigenständige und gemeinnützige Stiftung zur Förderung der medizinischen, biologischen, chemischen und pharmazeutischen Wissenschaft.  

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