Ein Blick unter magnetische Oberflächen

SPEELS-Messungen liefern auch Informationen über magnetische Eigenschaften unter Oberflächen von Materialien, die für die Spintronik interessant sind

1. Oktober 2013

Oberflächliche Betrachtungen helfen selten weiter – das hat sich auch ein Team des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik in Halle, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie der Universität Leipzig zu Herzen genommen: Die Wissenschaftler erforschen Kombinationen aus magnetischen und nichtmagnetischen Materialien, aus denen Bauelemente für die Spintronik hergestellt werden können – eine vielversprechende Variante der Elektronik, die besonders schnelle und effiziente Datenspeicher ermöglicht, da sie sowohl die Ladung als auch den Eigendrehimpuls („Spin“) von Elektronen ausnutzt. Wie die Forscher aus Halle und Leipzig jetzt zeigen, liefert die Untersuchungsmethode „SPEELS“, mit der sich die magnetischen Eigenschaften von Materialien untersuchen lässt, anders als bisher angedacht nicht nur Informationen über die Oberflächen magnetischer Strukturen liefert. An einem mit einer dünnen Eisenschicht bedeckten Iridium-Kristall weisen sie vielmehr nach, dass zum SPEELS-Signal nicht nur die Oberfläche beiträgt, also die Grenze zwischen Eisen und Vakuum, sondern auch die tiefer liegende Grenzfläche zwischen Eisen und Iridium

Die wirklich interessante Information liegt oft unter der Oberfläche verborgen. Für Archäologen ist das trivial. Aber auch in der Mikrostrukturphysik hat dieser Satz seine Berechtigung. Zum Beispiel bei dünnen Schichten oder Nanostrukturen eines ferromagnetischen Materials auf einem nichtmagnetischen Untergrund; solche Strukturen könnten sich für Bauelemente der Spintronik eignen. Das Verhalten eines solchen mikrostrukturierten magnetischen Bauelements wird vielfach nicht nur durch die Oberflächeneigenschaften der Struktur bestimmt, sondern auch durch die Wechselwirkungen, an der tiefer liegenden Grenzfläche zwischen magnetischem und nichtmagnetischem Material.

Allerdings wurde bislang meist nur die Oberfläche einer magnetischen Struktur untersucht. Als experimentelle Methode nutzen Physiker dafür eine Methode namens SPEELS („spin polarized electron energy loss spectoscopy“). Dabei wird eine Probe mit spin-polarisierten Elektronen bestrahlt, also mit Elektronen, deren Spin in eine ganz bestimmte Richtung zeigt. Diese Elektronen werden an den Atomen der magnetischen Struktur gestreut und regen darin eine Spinwelle (ein Magnon) an. Der Spin der Elektronen, die schließlich von der Probe wieder abgestrahlt werden, zeigt in die entgegengesetzte Richtung.

Alle Elementarmagnete eines Materials tragen zu Magnonen bei

Indem Wissenschaftler die eingestrahlten und die gestreuten Elektronen vergleichen, können sie die Eigenschaften der Magnonen ermitteln und somit den Magnetismus der Struktur untersuchen. Genau das sei bislang nur für die Oberfläche möglich – dachten die Forscher: Da Elektronen schätzungsweise nur einige wenige Atomlagen in das bestrahlte Material eindringen, so wurde argumentiert, regten sie auch nur Oberflächen-Magnonen an. Nur die magnetischen Momente der Oberflächenatome seien also an der Spinwelle beteiligt. Wie sollte man da Informationen aus der tiefer liegenden Grenzschicht erhalten?

Genau diese Frage beantworten jetzt die Forscher um Khalil Zakeri und Jürgen Kirschner vom Max-Planck-Institut für Mikrostukturphysik in Halle. „Ein Magnon ist eine kollektive Anregung aller magnetischen Momente in dem Material, alle Elementarmagnete tragen dazu bei. Man darf die Interpretation der Messungen daher nicht auf Oberflächen-Magnonen beschränken“, gibt Khalil Zakeri zu bedenken. Er und seine Mitarbeiter haben das an einer sechs bis neun Atomlagen dicken Eisenschicht demonstriert, die sie auf nicht-magnetisches Iridium aufgebracht hatten.

Ein Magnon macht sich in einem SPEEL-Spektrum bemerkbar als Spitze oder zumindest Erhöhung. „So haben wir zunächst einmal die Energien aller Magnonen bestimmt“, erläutert Zakeri. „Von dem Magnon mit der niedrigsten Energie hatten wir schon vermutet, dass es einer Spinwelle entspricht, die sich im wesentlichen an der Grenzfläche zwischen Eisen und Iridium befindet.“

Der Vergleich zwischen Theorie und Experiment belegt den Tiefenblick

Um die Vermutung in Gewissheit zu verwandeln, verglichen sie die Messungen mit ab-initio-Berechnungen, die ihre Kollegen Arthur Ernst, Leonid Sandratskii und Pawel Buczek von der Theorie-Abteilung des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik und von der Universität Leipzig angestellt haben, also mit Simulationen, die an keine Messwerte angepasst werden und in denen lediglich Naturkonstanten benutzt werden. Der Vergleich zwischen berechneten und gemessenen Energien der Magnonen belegte tatsächlich, dass die SPEELS auch in die Tiefe eine Materials blickt, weil die Rechnungen die Spinwelle niedrigster Energie an der Grenze zwischen Eisen und Iridium verorteten.

Das Ergebnis lässt sich auch anschaulich erklären: Die Energie, die in einer Spinwelle (einem Magnon) steckt, entspricht – vereinfacht gesprochen – der Stärke der Austauschwechselwirkung, die die magnetischen Momente aneinander koppelt. Dementsprechend befindet sich das Magnon mit der geringsten Energie im Wesentlichen an der Grenzfläche zwischen Eisen und Iridium, also dort, wo magnetische und nicht-magnetische Atome zusammentreffen und die magnetische Wechselwirkung im Vergleich zur Oberfläche abgeschwächt ist. Indem die Forscher aus Halle und Leipzig gezeigt haben, dass sie anhand von SPEELS-Messungen auch unter die Oberfläche schauen können, haben sie die Spektroskopie an magnetischen Strukturen und damit möglicherweise die Entwicklung von Bauelementen für die Spintronik ein großes Stück voran gebracht.

she/PH

Zur Redakteursansicht