Bewegliche Bildschirme aus Papier

Mit Flexpad werden flexible Materialien zum Bildschirm und Eingabeinstrument für Computer

6. September 2013

Auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin zeigen Elektronikkonzerne in den kommenden Tagen neuartige Bildschirme, die dünn, sogar gekrümmt, aber teuer sind. In Saarbrücken sind Informatiker schon weiter. Flexpad heißt ihr preiswerter Ansatz, mit dem sich selbst ein einfaches Din A4 Papier in ein bewegliches, flexibles Display verwandeln lässt. Schon jetzt könnten Patienten damit beispielsweise die Ergebnisse einer Computertomografie besser begutachten. Langfristig wollen die Informatiker damit herausfinden, welche neuen Anwendungen ultradünne, verformbare mobile Endgeräte in Zukunft eröffnen und wie sie sich am besten bedienen lassen.

Rötlich schimmern menschliche Organe auf einem Papier. Dieses zeigt den Unterleib eines Menschen im Längsschnitt. Wirbelsäule und Beckenknochen bilden als gelbe Inseln den Kontrast dazu. Als das Papier an seinen Enden nach unten gebogen wird, scheinen die Knochen hervorzutreten, während die Weichteile zurückweichen (siehe Video). Was auf den ersten Blick an Science-Fiction erinnert, ist das Ergebnis der Forschungsarbeit „Flexpad“, die unter Leitung von Jürgen Steimle am Media Lab des US-amerikanischen Massachusetts Institute of Technology und am Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken in Kooperation mit der  Christians-Albrechts-Universität zu Kiel entstand. Inzwischen leitet Steimle die Forschungsgruppe „Embodied Interaction“ am Cluster of Excellence „Multimodal Computing and Interaction“.

„Im Alltag verformen wir Objekte ganz intuitiv und auf vielfältige Weise. Wir biegen Bücherseiten, drücken Bälle zusammen, falten Papier oder modellieren Ton“, erklärt Jürgen Steimle und führt weiter aus: „Indem wir Bedienelemente auf greifbare, verformbare Objekte projizieren, können wir Computer und andere technische Geräte einfacher und besser steuern.“

Eine Tiefenkamera filmt die Bewegungen der Hände und des Papiers

Damit sein Vorhaben in der digitalen Welt funktioniert, ist inzwischen nur noch ein wenig Technik, dafür umso mehr Denk- und Programmierarbeit erforderlich. „Zum einen nutzen wir einen Projektor, der ein Bild oder einen Film auf einem Blatt abbildet“, beschreibt Steimle den Ansatz. „Zum anderen arbeiten wir mit einer Kinect aus dem Hause Microsoft. Die Tiefenkamera lässt Personen per Bewegung Computerspiele steuern, bei uns filmt sie Hände plus Papier und stellt so deren Position im Raum fest.“ Um die Bewegungen der Hände und des Papiers zu erfassen, sind Projektor und Kamera an der Zimmerdecke über dem Benutzer angebracht.

Damit arbeitet Flexpad wie folgt: Die Tiefenkamera filmt Nutzer und Papier und erfasst die Verformungen und Bewegungen des Papiers. Damit dies trotz der recht groben Bilddaten der Kinect präzise und zeitnah geschieht, haben die Forscher zwei Rechenverfahren ausgearbeitet und programmiert. Das erste rechnet zunächst störende Finger und Hände des Benutzers heraus. Bewegt er nun das Papier – egal ob, nach links, nach rechts, ob gebogen oder wellenförmig –, registriert die Kamera dies. Daraufhin beschreibt ein speziell entwickeltes Computermodell diese Bewegungen in Sekundenbruchteilen, damit der Projektor sie nahezu in Echtzeit auf dem Blatt wiedergeben kann.

Mit Flexpad werden medizinische Diagnosegespräche einfacher

Allerdings hat Flexpad gewisse Grenzen: Der Nutzer muss, damit das System funktioniert, in einem bestimmten Bereich unter der Kamera und dem Projektor stehen. Er kann sich also nicht frei im Raum bewegen.

„Das Papier übernimmt in unserem System gleich zwei Funktionen“, erläutert Steimle. „Es ist Bildschirm und Eingabeinstrument zugleich.“ Ähnlich wie eine Maus einen Computer steuert, kann der Benutzer auf diese Weise mit dem Gerät interagieren. Neben Papier eignen sich aber auch andere Materialien, beispielsweise Bögen aus Kunststoff und Plastik. Wichtig ist nur, dass sie eine gewisse Verformbarkeit und Flexibilität besitzen.

Einen Schritt weiter gehen so genannte aktive, flexible Displays. Laut der Studie „OE-A Roadmap for Organic and Printed Electronics“ des Industrieverbandes Organic and Printed Electronics Association werden diese in knapp zehn Jahren für Endanwender verfügbar sein. „Unsere Konzepte, die wir mit Flexpad erforschen, können auf diesen neuen Bildschirmtyp übertragen werden“, erklärt Steimle. Doch schon jetzt seien aufgrund der preiswerten Technik Anwendungen denkbar: „Bei der medizinischen Diagnostik kann der Arzt etwa Ergebnisse einer Computertomografie schnell und einfach mit dem Patienten besprechen. Außerdem kann das System als eine Art interaktives Kinderbuch fungieren, in dem sich bestimmte Figuren, wie zum Beispiel ein Goldfisch, bewegen“, so Steimle.

GB/PH

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