Ein guter Draht für die Nanoelektronik
Silicium-Nanodrähte werden während ihres Wachstums mit unerwartet viel Aluminium dotiert, sodass ihre Leitfähigkeit steigt
Mit völlig reinem Silicium würde ein Chip kaum so funktionieren, wie wir ihn kennen. Erst wenn Fremdatome durch zusätzliche Elektronen oder positive Ladungen die Zahl der Ladungsträger in dem Halbleiter erhöhen, reicht seine Leitfähigkeit, damit in Transistoren Strom fließt. Daher dotiert die Halbleiterindustrie Silicium und andere Halbleiter: Sie mischt eine sorgfältig bemessene Menge fremder Atome in die Materialien. Wenn sie ihre Bauelemente künftig in den Nanobereich verkleinert, kommt ihr dabei vielleicht ein Effekt zuhilfe, den nun ein Team von Forschern des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik, der École Polytechnique im kanadischen Montréal sowie der Northwestern University im US-amerikanischen Illinois entdeckt hat. Bei der gängigen Methode, mit der Nanodrähte hergestellt werden, wird das Material nämlich en passant mit Aluminium dotiert.
„Dabei nimmt das Silicium sogar 10000 Mal mehr Aluminium auf als die Gesetze der Thermodynamik erlauben“, sagt Eckhard Pippel, einer der beteiligten Forscher des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik. Die Thermodynamik regelt unter anderem, welche Menge einer Substanz sich in einer anderen löst, und das gilt für Legierungen verschiedener Metalle genauso wie für Flüssigkeiten. Demnach dürfte in einem Silicium-Kristall nicht einmal ein Millionstel Teil der Atome durch Aluminium ersetzt sein. Tatsächlich stellten die Wissenschaftler aber fest, dass der Aluminium-Gehalt der Siliciumdrähte bei etwa vier Prozent liegt. Und die Aluminiumatome verteilen sich völlig gleichmäßig in dem Material. Das fanden die Forscher anhand einer Atomsonden-Tomografie heraus, die in nanoskopischen Proben die Art und Position jedes einzelnen Atoms enthüllt.
Die Nanodrähte können den chemischen Idealzustand nicht erreichen
„An dem Tag als ich die Ergebnisse sah, habe ich einen Luftsprung gemacht“, sagt Oussama Moutanabbir, der einen Großteil der Untersuchungen in seiner Zeit am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik machte und jetzt an der École Polytechnique in Montréal forscht. „Die Daten waren für uns zum einen wegen der hohen Konzentration überraschend, zum anderen weil das Aluminium keine Cluster im Silicium bildet.“ In Form von Clustern, also kleiner Aluminiumansammlungen, wäre der Aluminiumgehalt als Dotierung wertlos. Denn nur für gleichmäßig verteilte Aluminiumatome wird die Zahl der Ladungsträger im Silicium erhöht, was für elektronische Anwendungen wichtig ist.
Um die unerwartet starke Einlagerung von Aluminium kontrollieren und somit für mögliche technische Anwendungen ausnutzen zu können, suchten die Forscher nach einer Erklärung dafür. „Dass die Konzentration so stark von den Vorhersagen der Thermodynamik abweicht, beruht auf einem kinetischen Effekt“, sagt Stephan Senz, einer der beteiligten Forscher des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik. Die Thermodynamik beschreibt stets einen idealen Gleichgewichtszustand der Natur, in dem chemische Verbindungen nach einem möglichst niedrigen Energieinhalt streben und sich nicht mehr verändern wollen. Für Kristalle heißt das: Sie sollen möglichst wenig Fehler und Fremdatome enthalten. Die Kinetik muss dagegen immer herhalten, wenn dieser Idealzustand nicht erreicht wird. Dann läuft irgendeiner der Prozesse, durch die sich ein Material bildet, zu schnell oder zu langsam ab, als dass der ideale Gleichgewichtszustand erreicht werden kann. Genau das ist bei Entstehung von Silicium-Nanodrähten der Fall.
Nanodrähte aus Silicium züchten Forscher, indem sie zunächst Nanoinseln aus Aluminium auf einer Silicium-Oberfläche verteilen. Aluminium schmilzt bei einer niedrigeren Temperatur als Silicium. Und eben darauf kommt es an. Denn die mit den Aluminiuminseln gesprenkelte Siliciumscheibe platzieren die Forscher nun in einer Kammer, in die sie zum einen die leicht flüchtige Silicium-Verbindung Silan strömen lassen und die sie zum anderen gerade so hoch heizen, dass Aluminium schmilzt, nicht aber Silicium. Unter diesen Bedingungen wandelt sich das Silan in Silicium um und löst sich in den Aluminiumtröpfchen.
Eine mögliche Route zu exotischen chemischen Verbindungen
Sobald der Tropfen mit Silicium gesättigt ist, hört er aber keineswegs auf, Silicium aufzunehmen. Vielmehr verleibt er sich an seiner Oberfläche weiter Silicium ein, scheidet es unter sich auf dem Silicium-Untergrund aber wieder aus. Ähnlich wie ein Tintenstrahldrucker eine schwarze Fläche linienweise druckt, ordnen sich die Atome dabei Reihe für Reihe zu einer Siliciumschicht an. Sobald eine Lage unter dem Tropfen fertig ist, setzt sich die nächste zusammen. Allmählich wächst auf diese Weise unter jedem Aluminiumtröpfchen ein Nanodraht in die Höhe.
Um zu verstehen, warum dabei mehr Aluminium im Siliciumdraht landet als eigentlich zulässig, entwickelten die Forscher ein Modell, wie schnell der Prozess auf atomarer Ebene abläuft. „Entscheidend ist die Zeit, die Atome haben, um zwischen dem wachsenden Draht und dem Aluminiumtropfen hin und her zu springen“, erklärt Ousamma Moutanabbir. Ist die Zeit lang, sortieren sich die Atome solange, bis das chemische Gleichgewicht erreicht wird. Doch dafür reicht sie offensichtlich nicht. Vielmehr endet die Frist für den Atomtausch, sobald eine Reihe von Siliciumatomen komplettiert wurde. „Ein Aluminiumatom, das vorher eingebaut wurde, bleibt endgültig gefangen“, sagt Moutanabbir. „Bislang dachte man, dass die Atome solange zwischen Aluminumtropfen und Siliciumdraht getauscht werden können, bis eine ganze Siliciumlage fertig ist.“
Da die Forscher den Prozess nun aufgeklärt haben, sollte er sich nutzen lassen, um gezielt Nanodrähte zu dotieren. „Wir vermuten, dass der Effekt auch bei anderen Kombinationen von Halbleitern und Metallen auftritt“, sagt Moutanabbir. „Spannend finde ich aber auch, dass das Wachstum der Nanodrähte fernab vom chemischen Gleichgewicht stattfindet.“ Der Forscher hofft daher, dass sich in ähnlichen Prozessen Nanomaterialien mit exotischen chemischen Zusammensetzungen erzeugen lassen, die im thermodynamischen Gleichgewichtszustand unmöglich sind.
PH